und wirtschaftliche Lage der Arbeiter kurzfristig fühlbar verbesserten und dadurch wahrscheinlich entscheidend zur Beruhigung der politischen Lage beitrugen.82 Langfristig bilden die Gesetze bis heute die Grundlage des modernen Sozialstaats. Allen Aufforderungen von Seiten der ungarischen Räteregierung, ihrem Beispiel zu folgen, erteilte die österreichische Sozialdemokratie eine klare Absage.
Durch die Parlamentswahlen von 1920 wurden die Christlichsozialen zur stärksten Partei. Im Gesamtstaat auf die Oppositionsrolle beschränkt, behielt die Sozialdemokratische Partei die unangefochtene politische Kontrolle über die Bundeshauptstadt Wien, wo weitreichende soziale Reformmaßnahmen verwirklicht wurden („Rotes Wien“). Die Neuausrichtung der politischen Strategie wurde durch die Oppositionsrolle entscheidend geprägt.
In der Opposition bestimmte Otto Bauer den politischen Kurs der Partei. In seinem Buch Die österreichische Revolution (1923) hatte er die Beteiligung an einer Regierungskoalition mit einer der bürgerlichen Parteien von der Bedingung abhängig gemacht, „ob die Koalitionsregierung ein zweckdienliches, ein wirksames Mittel im Klassenkampf sein kann.“83 Für die Erreichung einer absoluten Mandatsmehrheit bei Parlamentswahlen hätte die Partei allerdings die Stimmen beträchtlicher Teile der bäuer-lichen und „kleinbürgerlichen“ Bevölkerungsgruppen gewinnen müssen. Das bedeutete reformistische Politikangebote, großteils ohne „revolutionäres Potenzial“, in Spezialprogrammen (Sozialdemokratisches Agrarprogramm 1925, Angestelltenpolitik) und im neuen Parteiprogramm (Linzer Programm) 1926.
Die Zielsetzung, für nicht-proletarische Arbeitnehmerschichten wählbar zu werden, wurde durch die revolutionär-marxistische Terminologie des Programms konterkariert. Es bekräftigt das Ziel der Sozialdemokratie, „die Mehrheit des Volkes unter der Führung der Arbeiterklasse zu sammeln … und der Arbeiterklasse die Herrschaft in der demokratischen Republik zu erobern.“ Heftigen Widerspruch in der Öffentlichkeit und bei den anderen Parteien, aber auch Bedenken in den eigenen Reihen rief die Aussage hervor, „die Arbeiterklasse wäre gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen“84, sollte diese nach einem Wahlsieg der Sozialdemokratie versuchen, den planmäßigen Umbau der Gesellschaft zu sabotieren. Besonders an dieser Stelle zeigt sich eine krasse Fehleinschätzung der realen Machtverhältnisse, die sich bald danach noch massiv zu Ungunsten der Sozialdemokratie verschlechterten. Dies zeigte sich, als im Februar 1934 der Versuch der bewaffneten Organisation der Partei, des Republikanischen Schutzbundes, die Republik gegen den Zugriff der autoritär-faschistischen Kräfte zu verteidigen, mit der vollständigen Niederlage endete.
EINIGE SCHLUSSFOLGERUNGEN ÜBER DEN „WEG ZUM SOZIALISMUS“ IM RÜCKBLICK
In den abschließenden Betrachtungen nehme ich Bezug auf die von Engels konzipierte Politikstrategie zur Erreichung des Endziels einer sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und auf die Frage einer Synthese von revolutionärer Zielsetzung und Reformismus.
Engels’ Politikstrategie beruhte auf der langfristigen Perspektive der Entwicklung des Kapitalismus, die Marx im ersten Band des Kapital als einen sich mit ökonomischer Gesetzmäßigkeit vollziehenden Prozess dargestellt hatte, dessen einzelne Bestimmungsfaktoren Engels aber den seither eingetretenen Veränderungen entsprechend durchaus unterschiedlich gewichtete. Unbeirrt festgehalten hat er an der Erwartung einer Eliminierung der kleinbürgerlichen und bäuerlichen Mittelschichten durch die von Konkurrenz und technischer Entwicklung angetriebene Tendenz zur Konzentration und Zentralisation des Kapitals mit der Folge einer immer weitergehenden Polarisierung der Gesellschaft, bei der am Ende eine sozial homogene, nivellierte Arbeiterklasse, die den überwältigenden Teil der Bevölkerung ausmacht, einer kleinen Zahl von Kapitaleigentümern gegenübersteht, welche die Staatsmacht innehaben. An der These der „Verelendung“ der Masse der Proletarier hat Engels angesichts der mangelnden Bestätigung durch die reale Entwicklung kaum noch festgehalten, seine Erwartung war auf die Entwicklung eines Klassenbewusstseins des Proletariats gerichtet, auf dessen auf der „Wissenschaftlichkeit“ der Marx’schen Theorie beruhende revolutionäre Siegesgewissheit durch kontinuierliches Anwachsen der in Partei und Gewerkschaft politisch organisierten Arbeiterbewegung. Für Engels war es keine Frage des „ob“, sondern eine Frage der Zeit, dass das Proletariat ein solches Übergewicht im Anteil der Bevölkerung erlangt, dass es eines Tages auch die Mehrheit im Parlament des kapitalistischen Staats bilden wird – deswegen trat er konsequent für den Kampf um das allgemeine Wahlrecht und die Nutzung aller politischen Möglichkeiten, die sich den Repräsentanten des Proletariats dadurch boten, ein.
Wenn die dem Kapitalismus innewohnende Dynamik aus sich selbst Formen der ökonomischen und gesellschaftlichen Organisation hervorbrachte, welche dem Übergang zum Sozialismus Vorschub leisteten, so wehrte sich Engels dennoch immer gegen die Vorstellung eines friedlichen, d. h. bruchlosen Hineinwachsens in den Sozialismus. Diese Transformation blieb für ihn ein revolutionärer Akt, vollzogen nach der politischen Machtübernahme durch das Proletariat, wobei er offenließ, ob mit oder ohne Gewaltanwendung.
Engels betonte Funktion und Wirkungen der Krise im Rahmen der Entwicklung des Kapitalismus, vor allem in Bezug auf die Tendenz der Konzentration und Zentralisation des Kapitals. Relativ geringe Bedeutung in seiner Politikstrategie hat die Marx’sche These von einer zunehmenden Verschärfung der periodisch wiederkehrenden Krisen.
Schon zu Lebzeiten von Engels, immer deutlicher in den darauffolgenden Jahrzehnten bis zum Beginn des Weltkriegs mehrten sich die Anzeichen, dass die Entwicklung des Kapitalismus nicht dem von Marx und Engels entworfenen Bild entsprach. Die Auf- und Abschwünge der Konjunktur entsprachen dem Bild der periodisch wiederkehrenden Krisen, zeigten aber keine Tendenz zur Verschärfung. Die These von der Tendenz zur Konzentration und Zentralisation des Kapitals fand in der realen Entwicklung zwar ihre Bestätigung, aber in ihrer konkreten Ausprägung waren die Folgen nicht so wie von Marx und Engel erwartet. Zum einen erwiesen sich die besitzenden kleinbürgerlichen Schichten als wesentlich stärker anpassungs- und überlebensfähig, besonders in der Landwirtschaft, aber auch in Handwerk, Gewerbe und Handel. Langfristig noch wichtiger war das starke Wachstum einer neuen Angestellten- und Beamtenschicht. In der Erwerbsbevölkerung kam es nicht zur Polarisierung zwischen einer kleinen Zahl von Kapitalisten einerseits und einer homogenen, vom Typus des Industriearbeiters geprägten proletarischen Arbeiterschaft. Die Struktur der Gesellschaft veränderte sich, aber ihre Differenziertheit nahm eher zu als ab, das Proletariat wurde nicht zur Bevölkerungsmehrheit. Das Fundament der Engels’schen Politikstrategie, die Entwicklung eines unwiderstehlich zur Mehrheit werdenden, immer stärker vom Klassenbewusstsein geprägten revolutionären Proletariats, wurde zunehmend unrealistisch.
Die nicht zu übersehende Tatsache, dass die besitzenden kleinbürgerlichen und bäuer-lichen Bevölkerungsschichten auf absehbare Zeit weiterhin einen beträchtlichen Anteil in der sozialen Struktur behalten würde, ließ sich auch nicht mit dem Argument kleinreden, diese Schichten seien wirtschaftlich abhängig von kapitalistischen Großunternehmungen und/ oder Banken und hätten dadurch ihre Selbstständigkeit eingebüßt,85 ihr sozialer Status habe sich dadurch jenem der Proletarier angenähert. Um ihren Mandatsanteil bei Parlamentswahlen weiter zu steigern, mussten sich sozialdemokratischen Parteien entweder um Stimmen von Kleinbürgern und Bauern werben, oder versuchen, Koalitionen mit anderen Parteien einzugehen. Beides förderte die von Engels immer bekämpfte Neigung zum Reformismus.
Es erscheint als Paradoxon, dass gerade der problematische Teil der Marx/Engels’schen Theorie der kapitalistischen Entwicklung, dass diese mit quasi naturgesetzlicher Notwendigkeit zum Sozialismus führe, wesentlich zu den Erfolgen der sozialdemokratischen Bewegung in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beitrug.86 Das Bewusstsein von der Sieghaftigkeit der Bewegung, von der historischen Mission des Proletariats, die Menschheit von Unterdrückung und Ausbeutung zu befreien und in eine glückliche Zukunft zu führen, wie es in unzähligen Schriften, Gedichten und Liedern immer wieder bekräftigt und beschworen wurde, bildete eine unabdingbare Grundlage dafür, dass immer mehr in ursprünglich niedrigen und elenden Verhältnissen lebende Menschen in eine organisierte Arbeiterbewegung ihre Hoffnungen setzten und sich ihr anschlossen. So gelang die Organisation einer Massenbewegung, die sich weit über den politischen Bereich hinaus erstreckte, und die, auch wenn sie von der Teilhabe