Werner Stilz

Darum in die Ferne schweifen


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und Oliver wedelten uns bald schon davon. Vor allem Tobias konnte es nicht schnell genug den Hang hinuntergehen. Einmal wäre es fast schiefgelaufen. Wir waren bei Grindelwald im Skigebiet Männlichen mit der Gondel unterwegs zur Bergstation. Oben angekommen, konnte Tobias einmal mehr nicht warten, bis wir anderen bereit waren, und fuhr allein los. Als wir unten an der Talstation ankamen, war kein Tobias weit und breit zu sehen. Wir warteten, er kam nicht. Schließlich fuhren wir wieder hinauf. Unterwegs konnten wir ihn von der Gondel aus neben der Piste erkennen. Als wir schließlich bei ihm ankamen, hatte er nur noch einen Ski. Bei einem Sturz war die Bindung des anderen aufgegangen. Er war verschwunden. Wir stocherten und stocherten im Schnee mit unseren Stöcken, bis ich ihn tatsächlich wiederfand. Er lag in einem kleinen Bachlauf neben der Piste. So konnten wir auch diese Abfahrt glücklich zu Ende bringen.

       In die weite Welt

       Der Alltag in meinem neuen Job

      Im Jahr 1978 war ich erstmals in den wichtigen Märkten Singapur, Malaysia, Indonesien, Thailand und Philippinen unterwegs, um unsere Auslandsvertretungen kennenzulernen. In Singapur und Malaysia hatte Bosch eine eigene Regionalvertretung. Ich besuchte auch wichtige Kunden, die Großhändler im Kfz- Ersatzteilgeschäft, um mir ein Bild der jeweiligen Märkte zu verschaffen. In den meisten Fällen erlebte ich engagierte und überaus kooperative Händler.

      Interessant ist in dem Zusammenhang zu erwähnen, dass fast alle Händler in dieser Branche chinesischer Abstammung sind. Dies trifft auf Singapur, Malaysia, Philippinen, Thailand und auch Indonesien zu. Meist ist es die dritte oder vierte Generation von Auswanderern, die einst in die umliegenden Länder aufgebrochen waren, um sich neue Existenzen dort aufzubauen. In den meisten Fällen stammten sie aus der bitterarmen Provinz Fuchian, deren Menschen als besonders fleißig und erfinderisch gelten.

      In der neuen Heimat erwiesen sich die Chinesen in der Regel erfolgreicher als die Einheimischen, waren aber oft der Willkür und Benachteiligung durch die jeweiligen Regierungen ausgesetzt. In Thailand und Indonesien mussten sie ihre chinesischen Namen ablegen und einheimische Nachnamen annehmen. In Indonesien verübte die einheimische Bevölkerung vereinzelt sogar Pogrome gegen die chinesischen Einwanderer. Gleichwohl hielten und halten diese Menschen bis heute an ihrer ursprünglichen Identität fest. Noch immer schicken sie ihre Kinder, wenn es irgendwie geht, in chinesische Schulen und leben auf chinesische Art, am besten in Chinatown.

      Ich baute ein gutes Verhältnis zu diesen Kunden auf. Traf ich bei Besuchen in Manila ein, luden mich einige der großen Händler sogleich zu einem opulenten chinesischen Begrüßungsessen ein. In Thailand war es ähnlich, nur wurde ich dort zum Abschluss fürstlich bewirtet. Man könnte nun annehmen, dass sie dies nur mit dem Hintergedanken machten, um geschäftliche Vorteile dadurch zu erreichen. Sie hätten aber bald gemerkt, dass sie bei mir damit auf Granit beißen würden. Mein schwäbischer Spar- und Gerechtigkeitssinn kam mir ganz eindeutig zugute.

      Mit der Regionalgesellschaft Singapur/Malaysia und mit den Auslandsvertretungen in den anderen Ländern gestaltete sich die Zusammenarbeit sehr zufriedenstellend. Die Ansprechpartner waren damals größtenteils Bosch-Mitarbeiter, die als Verkaufsleiter oder Serviceleiter die Geschäfte für die Vertretungen betrieben. Preisverhandlungen und Zielvereinbarungen über Umsatz- und Absatzzahlen wurden dadurch jedoch nicht einfacher, im Gegenteil: Die dortigen Bosch-Kollegen setzten sich vehement für das Wohl ihrer Firma ein, zu der sie entsandt wurden und für deren Erfolg sie verantwortlich zeichneten. Die Verträge für solche Auslandseinsätze waren meist auf drei bis fünf Jahre begrenzt.

      In den Philippinen wurden wir durch die schweizerische Handelsgruppe F. E. Zuellig vertreten. Verkaufsleiter war Bosch-Mann Gerhard Seeler, den ich aber in dieser Zeit erst kennenlernte. Er wollte mir wohl imponieren und bereitete mir einen außerordentlichen Empfang bei der ersten Visite. Das fing schon damit an, dass er mich bei der Ankunft in Manila direkt am Flugzeug abholte, mir einen Blumenkranz um den Hals hängen ließ und mich an den üblichen Kontrollen vorbei zum Auto brachte. Im noblen Mandarin Hotel hatte er ein Superior Zimmer für mich bestellt, das allerdings um die Mittagszeit, als wir ankamen, noch nicht gerichtet war. Das bedeutete für ihn einen herben Schlag in seinem Bestreben, mich zu beeindrucken. Er veranstaltete einen kleinen Aufstand an der Rezeption und bestand darauf, dass er und sein Gast so lange in der Bar kostenlose Drinks zu sich nehmen, bis das Zimmer bezugsfertig ist. Ich gebe zu, dass mir der Singapore Sling und der Mai Tai hervorragend schmeckten, auch wenn mir das übertriebene Getue meines Gastgebers peinlich war. Doch war dies nicht der einzige Fall, bei dem ich erlebte, wie sich Expats – wie die die ins Ausland entsandten Manager genannt wurden – gegenüber der einheimischen Bevölkerung daneben benahmen. Viele hielten sich für etwas Besseres und schauten auf die Leute herab, bei denen man doch eigentlich zu Gast, ja, ein »Gastarbeiter« war.

      Übrigens: Als das Zimmer bezugsfertig war, lagen auf dem Schreibtisch edles Briefpapier und Leder-Kofferanhänger, jeweils mit meinem Namen in Goldschrift darauf. Später erfuhr ich: Herr Seeler war nebenbei der Präsident des Deutschen Clubs in Manila, welcher öfter mal im Mandarin tagte. Daher meinte er, gewisse Privilegien zu besitzen.

      Zur Ankurbelung der Umsatzzahlen waren Verkaufswettbewerbe mit Incentive-Reisen nach Deutschland und andere europäische Länder für die Kunden mit den besten Verkaufszahlen ein zugkräftiges Mittel. Gern nahm ich die Aufgabe wahr, zusammen mit Reisebusunternehmen geeignete Routen auszuarbeiten und die Kunden bei diesen Reisen zu begleiten.

      Unsere Abteilung Verkauf Übersee (KH/VUB) veranstaltete zudem regelmäßig Konferenzen in unterschiedlichen Ländern, zu denen wir Inhaber, Verkaufsleiter und andere Manager unserer Vertretungen aus ganz Südostasien und Ozeanien einluden. Bei diesen Konferenzen referierten wir über die Ziele und Pläne unseres Geschäftsbereichs, stellten neue Produkte vor und zeigten neue Wege in Werbung und Verkaufsförderung auf. Dabei wurden auch Workshops eingerichtet, in denen die Teilnehmer mitzuarbeiten und zu verschiedenen Themen ihre Beiträge zu leisten hatten. Die Vorbereitung solcher Konferenzen brachte für mich und meine Kollegen viel Arbeit mit sich, die sich bis zur Hotelbuchung, den Einladungen und sogar der Erstellung entsprechender Logos für die einzelnen Tagungen erstreckte. Diese großen Konferenzen, für die natürlich auch ein buntes Abendprogramm ausgearbeitet wurde, waren das Sahnehäubchen unserer Arbeit.

      Manchmal veranstalteten wir diese Marketing-Meetings auch in Deutschland, einmal sogar im Winter am schönen Schliersee. Ein Teil der Gäste aus den tropischen Ländern Südostasiens war begeistert vom Schnee, der andere Teil war dem »Erfrieren nahe«. Da halfen auch nächtliche Fackelwanderungen mit Hütteneinkehr wenig – trotz reichlich Jagertee und Glühwein zum Aufwärmen.

      Besonders im Gedächtnis blieb eine Konferenz, die unsere Abteilung Übersee zusammen mit der Exportabteilung Europa in Paris veranstaltete. Höhepunkte waren eine nächtliche Lichterfahrt auf der Seine und eine Tour durch die Stadt mit Besuch des Eiffelturms und der vielen anderen Sehenswürdigkeiten. Am Abend gab es ein vorzügliches Varieté-Programm, in dem ein Zauberer unseren Abteilungsleiter Europa, Otto Oesterle, von der Bühne verschwinden ließ. Sekunden später stieg er von einer weit entfernten Treppe fröhlich herab. Herr Oesterle gab das Geheimnis dieses »Tricks« nicht preis. Er hatte es dem Zauberer versprochen. Selbst der Genuss etlicher Gläser Champagner konnte ihn nicht umstimmen.

       In Surabaya, Indonesien

      Zu meiner Länderverantwortung in Südostasien gehörte auch Indonesien. Unsere dortige Auslandsvertretung Eldimo Primo hatte ihren Sitz in Surabaya auf der Insel Java, mit Niederlassungen in Jakarta und auf Bali. Der Inhaber der Firma war Hari Hartono, ein erfolgreicher und reich gewordener Auslandschinese, der seinen Laden mit harter Hand führte. Seine Angestellten mussten viel arbeiten, hatten aber nichts zu sagen. Er allein hielt die Fäden in der Hand. Das führte natürlich auch mit uns zu gewissen Spannungen, da er manchmal meinte, unsere Vorgaben ignorieren zu können. Er war aber ein wichtiger Kunde, da er über exzellente Kontakte zum Militär verfügte. Für die Militärfahrzeuge lieferten wir zahlreiche Bosch-Erzeugnisse, hauptsächlich Ersatzteile für Diesel-Einspritzpumpen.

      In Hartonos Firma herrschten organisatorische Defizite. Mein Abteilungsleiter bat mich, vor Ort einige Dinge in Ordnung zu bringen, die unsere Zusammenarbeit betrafen. 1982 ging ich für einige Monate nach Surabaya. Für asiatische Verhältnisse war