Dorle war es furchtbar peinlich. Ein tüchtiger Handwerker brachte das Malheur rasch in Ordnung und freute sich sichtlich über den Verdienst in Westmark.
Die Propaganda der regierenden SED war unübersehbar. Auf riesigen Plakaten wurden die Errungenschaften des Sozialismus gepriesen oder Lobgesänge auf den großen Bruder gesungen. Ein Spruch blieb mir besonders in Erinnerung: »Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen.«
Genauso unübersehbar waren die Warteschlangen vor Gaststätten und besonders vor Ladengeschäften. In Hoyerswerda sah ich eine besonders lange. Ich fragte einen der Anstehenden, was es da Besonders gibt. »Raufasertapeten«, war seine kurze Antwort. Eines Abends verfolgte ich mit großem Interesse die Fernsehsendung »Der schwarze Kanal« von Eduard von Schnitzler. Tante Dorle konnte es kaum fassen, dass wir diesen schlimmen Agitator sehen wollten. Tatsächlich war es schon »starker Tobak«, was er seinen Zuschauern wöchentlich an Lügengeschichten über die kapitalistische BRD und ihre ausbeuterische Regierung auftischte.
Als Gastgeberin war unsere neue Tante perfekt. Thomas und Ursula luden uns in ihre Datsche ein, es gab Gegrilltes und viel Bier. Wir schlossen sie alle ins Herz. Zurückhaltender waren verständlicherweise Hans und seine Frau Erika, von Beruf Lehrerin. Für sie war es heikel, mit uns zusammen zu sein. Auch die Leute auf der Straße verhielten sich seltsam zurückhaltend uns gegenüber. Schon an der Kleidung waren wir als Leute aus der »BRD« erkennbar. Trotzdem sollte dieser Ausflug in eine andere Welt nicht der letzte gewesen sein.
Eine folgenreiche Überraschung
Im Frühjahr 1977 überraschte mich Margret mit der Nachricht: »Werner, ich bin schwanger.«
Darauf war ich nicht vorbereitet. Die Pille hatte sie bereits seit einiger Zeit abgesetzt. Ihre Erklärung dazu war, dass sie sie nicht gut vertrug. Der wahre Grund lag wohl tiefer: Sie war jetzt 34 Jahre alt und wollte nicht länger nur eine Freundschaft, sie wollte eine Familie. Aus ihrer Sicht war das durchaus verständlich. Gleichwohl fühlte ich mich überrumpelt.
Unvorbereitet, wie ich war, hatte ich plötzlich Zweifel, ob Margret wirklich die Frau ist, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Auf langen, einsamen Spaziergängen versuchte ich, die richtigen Schlüsse zu ziehen und die richtige Entscheidung zu treffen. Ich vertraute mich keinem an, nicht einmal Hermann Rühle, dem Diplom-Psychologen, der mir vielleicht einen guten Rat hätte geben können.
Auf die Idee, ohne Trauschein zusammen zu leben, wie es heutzutage fast normal ist, um auszuprobieren, ob es mit uns auf längere Sicht klappen könnte, kam ich überhaupt nicht. Es steckte wohl unterschwellig noch in mir das pietistische Gedankengut: ein uneheliches Kind! Das gehört sich nicht, was sollen Familie, Verwandtschaft und die Nachbarn denken! Nur so viel war klar: Meiner Verantwortung als Vater wollte ich mich stellen. Das Kind sollte es guthaben.
Am 12. August 1977 heirateten wir im kleinstmöglichen Rahmen. Als wir uns auf dem Standesamt Leonberg das Jawort gaben, waren nur meine Eltern und Margrets Familie dabei. Anschließend gab es ein festliches Mittagessen im Hotel Hirsch. Eine zünftige Hochzeitsparty für unseren Freundeskreis folgte eine Woche später. Zwischendrin waren wir zur »Hochzeitsreise« für drei Tage in Bad Wimpfen. Ironie des Schicksals: Bei Margret Eins (die vom Tanzkurs) machte ich den dummen Scherz: »Wir müssen nicht heiraten.« Und jetzt, bei Margret Zwei, passiert es tatsächlich.
Unser Sohn Oliver Bernd kam am 18. September 1977 im Kreiskrankenhaus Kirchheim/Teck zur Welt. Wir hatten uns für diese Entbindungsklinik entschieden, weil in Kirchheim Margrets Mutter und Geschwister wohnten und ich zur Zeit der erwarteten Geburt Geschäftskunden aus Thailand auf einer Incentive-Reise begleiten musste. Die frohe Kunde erreichte mich im Gasthof Adler in Nagold im Schwarzwald beim Abendessen. Als sie von meinem Vaterglück erfuhren, war der Jubel unter den thailändischen Kunden groß, vor allem weil das Erstgeborene ein Junge war. Ich kam nicht umhin, die Gläser extra voll zu füllen und die Zigarrenkiste des Hotels kreisen zu lassen, nach guter thailändischer Sitte. (Die Abrechnungsstelle für die Firmenspesen zeigte sich später großzügig ob dieser ungewöhnlichen Kosten.) Meine Kunden schenkten Oliver danach einen riesigen Hund als Plüschtier. Zwei Tage später konnte ich mein kleines Söhnchen in die Arme nehmen. Ich war erstaunt, wie klein und zerbrechlich die Babys am Anfang doch sind.
»Dann ruft jeder freudiglich: Gott sei Dank, sie haben sich!«
Nach einer Wohnung hatten wir schon zuvor Ausschau gehalten. Unser erstes gemeinsames Zuhause bezogen wir in Leonberg, nur eine Autoviertelstunde von meiner Firma entfernt. Es war eine Dreizimmerwohnung im ersten Stock eines Vierfamilienhauses, in der wir uns mit neuen Möbeln und fehlendem Hausrat einrichteten. Hinter dem Haus gab es eine Rasenfläche, groß genug für Sandkasten und Schaukel.
Bald nach uns zogen Kurt und Ruth Epple in die Wohnung über uns ein. Kurt, wie ich ein »Boschler«, war kurz zuvor mit seiner Familie von einem Auslandseinsatz in Ägypten zurückgekehrt. Ihre beiden Mädchen, Manuela und Alexandra, kümmerten sich liebevoll um unser Baby. Mit den Epples pflegten wir eine gute nachbarliche Freundschaft.
Obwohl wir darüber nie ernsthaft debattiert haben, stand außer Frage, dass Margret ihren Beruf als Kinderkrankenschwester im Olga-Krankenhaus aufgeben wird. Sie wollte eine gute Mutter und Hausfrau sein. Das war für mich absolut in Ordnung. Um den Lebensunterhalt der jungen Familie bestreiten zu können, verdiente ich genug. 15 Monate nach Oliver kam sein Bruder Tobias zur Welt. Das Familienglück war damit komplett.
Kurz vor Tobias’ Geburt gaben sich auch Hermann und Claudia in Augsburg das Ja-Wort. Ich durfte Trauzeuge sein. Hermann war damals nach Beendigung seines Psychologiestudiums an der Uni Augsburg angestellt. Georg hatte seine Hannelore zwei Jahre früher geheiratet. Somit waren wir drei in kurzen Abständen »unter der Haube« gelandet.
Tischtennis und Weinwanderung
Obwohl keiner von uns Kumpels besondere Begabung dazu hatte, spielten wir gerne Tischtennis. 1977 erwuchs daraus eine langjährige Tradition. Wir hoben das »Leonberger Tischtennis-Turnier« aus der Taufe. Einmal im Jahr trafen sich von nun an die Stuttgarter Freunde Hans, Georg, Carlos, Werner L. bei uns im Garten, um den Wanderpokal »Der Goldene Schläger« auszuspielen. Den Pokal, bestehend aus einem schönen Holzstück, in dem ein mit goldenem Kupfer überzogener Holzschläger steckte, ließ Hans in einer Lehrwerkstatt bei Daimler anfertigen; er war für die Ausbildung gewerblicher Lehrlinge mit zuständig. Der jeweilige Sieger wurde mit einer kleinen Plakette, die am Pokal angebracht wurde, verewigt. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass während der vielen Jahre eine Plakette mit meinem Namen noch nie darauf angebracht werden musste! Es waren jedes Jahr heiß umkämpfte Spiele, bei denen wir alles gaben. Werner L. war trotz seiner Leibesfülle ein heißer Favorit; später kam Hartmut dazu, ein besonders sportlicher Typ. Er und Werner L. spielten meistens um den Turniersieg. Das änderte sich erst, als unsere Jungs mitspielten. Wir Männer waren schließlich in die Jahre gekommen und mussten letztendlich der Jugend den Vortritt lassen. Jetzt lautet das Endspiel meistens Oliver gegen Tobias, wobei Tobi häufiger als Sieger von der Platte geht.
Das Turnier wurde jeweils umrahmt von einer Grillparty mit Bier aus dem Party-Fass. Danach gab es Kuchen, den die mitgekommenen Frauen gebacken hatten. Als Siegerpreise hatte ich für jeden diverse sinnvolle oder sinnlose Werbe- und Juxgeschenke parat, dazu bekam jeder seine Urkunde. Diese Tradition hält bis heute an. Georg kann »wegen Rücken« nicht mehr aktiv teilnehmen, ich beschränke mich jetzt auch nur noch auf die Gastgeber- und Zuschauerrolle.
Zwei Jahre später brachen wir dann erstmals zu einer Weinwanderung auf. Georg, Hans, Jörg und ich waren seit jeher Freunde eines guten Tropfens. Im Spätsommer des Jahres 1979 hatten wir beschlossen, nicht immer nur in heimischen Besenwirtschaften verkehren zu wollen, sondern über den schwäbischen Weinglasrand hinauszuschauen. Außerdem waren wir geneigt, ein wenig sportlichen Ehrgeiz an den Tag zu legen.
Die Geburtsstunde unserer Weinwanderung ist in einer Festschrift festgehalten, die Hans und ich aus Anlass unseres 25. Jubiläums erstellten:
»Warum