Werner Stilz

Darum in die Ferne schweifen


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in die Welt der Konzerte und des Theaters ein. An Angeboten fehlte es in Stuttgart nicht. Zweimal waren wir im Staatstheater, als das Stuttgarter Ballett, damals berühmt geworden unter dem 1973 verstorbenen Choreographen John Cranko, auftrat. Schwanensee und Romeo und Julia gefielen auch mir blutigem Laien.

      In der Urlaubszeit unternahmen wir angenehme Reisen. Eine davon führte uns das Rhone-Tal hinunter in die traumhaft schöne Camargue und zu den Kulturstädten Arles, Orange, Nîmes und Avignon. Wir konnten uns an den römischen Ruinen und Amphitheatern, an den alten Kirchen und Palästen der Kirchenfürsten kaum sattsehen. Margret war in Geschichte belesener als ich und klärte mich über manche historische Begebenheit auf. Hin und wieder blätterten wir zusätzlich im DuMont-Reiseführer, den wir vorsichtshalber mitgenommen hatten. Die kleine Stadt Aigues Morte konnte man von der alten Stadtmauer aus bestens überschauen. Das morbide Flair dieses Städtchens beeindruckte uns so nachhaltig, dass wir dort in einer einfachen Pension übernachteten, damit wir am nächsten Morgen noch einmal auf die Stadtmauer klettern und durch die engen Gassen flanieren konnten.

      Auf unserer weiteren Fahrt kamen wir an die Côte d’Azur. Eine andere Welt voller Glanz und Glitzer tat sich plötzlich auf. Unsere Geldbeutel sendeten uns aber ein klares Signal: Das Casino von Monte Carlo ist für uns nur zum Schauen und Staunen da! Wir hatten ein Zelt dabei, was den Aufenthalt preiswerter, aber auch romantischer machte. Baden im Meer kostete ohnehin nichts. Einmal blieb mein Mercedes allerdings völlig im Sand stecken, als wir wieder einmal wild an einem einsamen Strand gezeltet hatten. Nur mit viel Mühe und zerfetzten Fußmatten, die wir in der Not unter die Hinterreifen legten, kamen wir aus dem sandigen Untergrund wieder heraus.

      Im Jahr darauf besuchten uns Martha, meine amerikanische Cousine, und ihr Mann Bob. Wir fuhren mit ihnen bis nach Venedig. Schon die Überquerung der Alpen, meistens auf Nebenstraßen, war ein aufregendes Erlebnis. Wir überwanden Pässe, die es in sich hatten. Manchmal waren wir uns nicht sicher, ob und wie die Straße weiterging.

      Venedig ließ uns ins Schwärmen geraten: Der Markusdom, der Markusplatz mit seinen unzähligen Tauben, der Dogenpalast mit der Campanile, eine Gondelfahrt auf dem Canal Grande, unter pittoresken Brücken hindurch und vorbei an prächtigen herrschaftlichen Häusern – das alles sind Eindrücke, die man nie mehr vergisst. In Erinnerung blieb aber auch der überteuerte Kaffee, den wir uns auf dem Markusplatz gönnten, um das venezianische Flair auf uns wirken zu lassen. Venedig ist und bleibt eine Stadt, wie es sie kein zweites Mal gibt. Wobei uns die vorgelagerten Inseln wie Murano oder die Friedhofsinsel mit ihrem besonderen Charme nicht weniger gut gefielen. Von der Friedhofsinsel aus betrachteten wir einen grandiosen Sonnenuntergang über dem stillen Wasser.

      Bob hatte sich einen Schrittzähler gekauft, den er an seinem Gürtel befestigte. Er staunte nicht schlecht, wie viele Kilometer Wegstrecke er in Venedigs Gassen zurücklegte. Zuhause in den USA setzt man sich schon ins Auto, wenn das Ziel mehr als ein Häuserblock entfernt ist. Bob, der erfolgreiche Banker, war nicht nur ein humorvoller und netter Zeitgenosse, sondern auch sehr anspruchsvoll. In unserem Vier-Sterne-Hotel, das Margret und mir sündhaft teuer erschien, verschaffte er seinem Unmut lautstark Luft und zerschnitt voller Wut seine Diners Card, weil man diese nicht akzeptieren wollte. Andererseits war er eher belustigt, als wir auf dem Hinweg in Oberitalien, da wir nichts Besseres fanden, in einem schäbigen Zimmer übernachteten, bei dem die »Toilette« sich als übelriechendes Plumpsklo auf dem Flur offenbarte.

      Ohne Margret, die arbeiten musste, unternahm ich mit den beiden nach unserer Rückkehr noch eine Spritztour an die Mosel. Wir fuhren über Ludwigshafen, um Hermann Rühle und seine Freundin Claudia abzuholen. Er hatte nach seinem Abschluss als Diplom-Betriebswirt ein Studium der Psychologie in Mannheim begonnen. Hermann, Martha und Bob kannten sich bereits seit unserem Besuch auf Long Island. An der schönen Mosel erfreuten wir uns an den beeindruckenden Steillagen auf beiden Seiten des Flusses, an denen die Rebstöcke wuchsen. Martha und Bob fanden immer mehr Gefallen an dem süffigen, feinherben Moselriesling, unsere Stimmung war prächtig. Ein Abstecher galt einem Weingut in Zeltingen, das von einem Cousin meines Freundes Hans geführt wurde. Hans hatte mich förmlich dazu gedrängt. Cousin Martin bot uns eine exklusive Weinprobe. Zum Glück war unser Hotel nur einige Meter vom Weingut entfernt. Wir hatten den verschiedenen guten Tropfen nämlich kräftig zugesprochen und waren froh, dass wir uns schnell ins Bett fallen lassen konnten. Die Reise ging weiter moselaufwärts bis Trier, der alten Römerstadt, wo wir die Porta Nigra, den jüdischen Friedhof und das Geburtshaus von Karl Marx besichtigten.

       Bosch

       Zurück auf die Schulbank

      Mein Privatleben entwickelte sich erfreulicher als das Berufsleben. Inzwischen war ich schon sechs Jahre bei der Daimler-Benz AG. Meine Arbeit als Gruppenleiter im Exportkundendienst wurde mit der Zeit etwas öde, ich fühlte mich unterfordert. Nicht länger Serviceliteratur, sondern glitzernde Mercedes-Autos wollte ich verkaufen, doch meine internen Bewerbungen blieben erfolglos. Offenbar gab es für Gruppenleiter im Bereich Export keine offenen Stellen. Herr Lenk, mein Abteilungsleiter, stellte mir zwar eine zusätzliche Personalverantwortung durch die Eingliederung eines zweiten Teams und damit die Schaffung einer Hauptgruppe in Aussicht, doch ich hatte meine Entscheidung schon getroffen. Ich kündigte im Jahr 1974, auch weil ich das Gefühl hatte, dass ich als Vorgesetzter nicht wirklich geeignet war.

      Nachdem ich bei Daimler ein gutes Gehalt bekommen hatte und davon einiges ansparen konnte, fiel es mir nicht schwer, eine Auszeit zu nehmen. Ich drückte noch einmal die Schulbank. Der Deutsche Gewerkschaftsbund bot ein zweijähriges betriebswirtschaftliches Studium mit dem Abschluss »staatlich geprüfter Betriebswirt« an. Ich meldete mich und wurde aufgenommen. Das Studium war nicht übermäßig schwer. Zudem konnte ich, wie auch viele meiner Mitschüler, bereits praktische Erfahrung vorweisen. Außer mit Rainer Gansert, meinem Nebensitzer, blieb mein Kontakt zu meinen Mitschülern begrenzt. Rainer war ein uriger Typ aus Ravensburg, mit dem ich einmal seine schöne Heimatstadt besuchte. Sein Vater hatte dort eine kleine Lackfabrik, die er später übernehmen sollte. Er besaß ein schnelles Motorrad der Marke Honda. Eines Tages lud er mich zu einer Spritzfahrt um Stuttgart herum ein, die ich so schnell nicht vergaß. Er fuhr rasant und schnell. Mir wurde auf dem Rücksitz angst und bange. Als ich endlich wieder auf festem Boden stand, sagte ich zu ihm: »Mit dir bin ich zweimal gefahren – das erste und letzte Mal«.

      Dann war da noch Erika, eine zurückhaltende junge Dame, die jedoch die besten Noten schrieb. Sie lud mich einmal zum Essen in ihre geschmackvoll eingerichtete Wohnung ein. Es war ein netter Abend. Da auch ich zurückhaltend war, blieb es dabei. Ich hatte mich schon für Margret entschieden.

      Die Studienkosten für dieses »Schmalspurstudium« waren nicht hoch. Überdies gab es Zuschüsse zu den Lebenshaltungskosten vom Arbeitsamt. Im Unterrichtsfach Deutsch war einmal die aktuelle »Nelkenrevolution« Aufgabe einer schriftlichen Abhandlung. Ich hatte mich intensiv mit diesem großartigen und fast unblutigen Umsturz in Portugal beschäftigt und so kam mir das Thema wie gerufen. Umso perplexer war ich, als der Lehrer mir eine schlechte Benotung für meinen Aufsatz gab. Auf meinen Einwand hin meinte er: »Diese Gedankengänge können nicht von Ihnen stammen, sie haben von Zeitungen abgeschrieben.«

      Das stimmte nicht, ich hatte ausführlich recherchiert. Von diesem ignoranten Lehrer ließ ich mir die Herabwürdigung nicht gefallen. Schließlich konnte er nicht anders, als mir doch eine Eins zu geben.

      Abgesehen von diesem Vorfall gab es nur am Schluss noch Grund zum Widerspruch. In der Endabrechnung der Schule stellte ich fest, dass mehr Unterrichtstunden berechnet als tatsächlich gegeben wurden. Es gab Unterrichtsausfälle aus verschiedenen Gründen, meistens wegen Krankheit der Lehrer. Aus einer alten Gewohnheit heraus hatte ich mir während der ganzen zwei Jahre die Unterrichtszeiten notiert. So konnte ich leicht nachweisen, wie viele Stunden ausgefallen waren. Entsprechend kürzte ich die Zahlung der ausstehenden Gebühren. Der Deutsche Gewerkschaftsbund schickte Mahnungen, ich legte Widerspruch ein. Die Gegenseite wollte aber nicht nachgeben und schaltete ihre Anwälte ein. Ich war mir meiner Sache so sicher, dass ich meinerseits auf einen Anwalt verzichtete, als der DGB eine Klage einreichte. Der Fall wurde in Abwesenheit der Streitparteien verhandelt. Ich gewann den Prozess, nicht zu 100 Prozent, aber immerhin zu 80 Prozent. Dies war eine Genugtuung, und ich will den Stolz, den ich empfand, nicht verhehlen. Für mich war es ein Beweis,