Jetzt lagen Schinken, Brot und andere Lebensmittel schön verstreut auf dem Boden. Er hatte die Kühlbox einfach aufgebrochen. Wir wollten den Braunbären mit Steinen verjagen, doch der ließ sich nicht weiter stören. Wenn er sich aufrichtete, konnten wir erst erkennen, wie groß er war. Wir beschlossen, ihn weiter unsere Vorräte fressen zu lassen, so ließ er zumindest uns in Ruhe. Rolf entzündete eine Kerze, die er auf den Tisch stellte. Lichtflackern mögen Bären nicht besonders. Daher gingen wir davon aus, dass er nach seiner Mahlzeit weitertrotten würde. Mit dem geruhsamen Schlaf war es aber vorbei.
Hermann und ich genossen noch für ein paar Tage unseren Urlaub in Kanada, bevor es wieder zurück nach Deutschland und an die Arbeit ging, für Hermann an der Uni Mannheim, für mich bei Daimler.
Das Junggesellenleben in Stuttgart
Durch Georg lernte ich andere Daimler-Mitarbeiter in meinem Alter kennen. Es gab eine Gruppe von Jungingenieuren, die zusammen in Köln studiert hatten. Dazu gehörten Willi Müller, die Kölsche Frohnatur, Jörg Hochgeschwender von der hessischen Bergstraße, Werner Ludwig aus Bonn, Carlos Höller mit spanischen Wurzeln und Hans Schömann-Finck von der Mosel, der als einziger schon verheiratet war. Er und seine Frau Anita hatten ein entzückendes dreijähriges Töchterchen, Susanne.
Die neuen Freunde waren – außer Carlos – auch Gründungsmitglieder der Weinwandergruppe, von der im Vorwort schon die Rede war. In diesem Kreis wurde ich freundlich aufgenommen. Wir gingen zusammen zum Kegeln und trafen uns auch sonst zu verschiedenen Anlässen. Geburtstage, zum Beispiel, wurden ausgiebig gefeiert. Mir oblag dabei die »ehrenvolle« Aufgabe, dazu die passenden Gedichte auf den Jubilar zu machen und vorzutragen. Dabei mussten die Geehrten auch manche Spitze ertragen, die man lyrisch viel besser als in Prosa neben den ganzen Lobhudeleien unterbringen kann.
Stuttgart ist eine Stadt der Besenwirtschaften. Es dauerte nicht lange, bis ich die meisten von ihnen ganz gut kannte. Im »Besen« schenken Weingärtner ihren eigenen Wein aus und dazu gibt es kleine »Besen-Gerichte«, gute Hausmacherkost. Da die Besenwirtschaften sehr beliebt sind und nur an bestimmten Tagen des Jahres geöffnet haben, geht es oft sehr eng darin zu. Reichen Stühle und Bänke nicht aus, stellt der Wirt manchmal sogar Obstkisten als Sitzgelegenheit dazu.
Sonntagvormittags ging ich mit Georg und Hans gerne ins Mineralbad Berg, eine Stuttgarter Institution, zwar schon in die Jahre gekommen, bei Stammkunden aber äußerst beliebt. Neben Schwimmen im prickelnd kalten Mineralwasser war bei uns immer Tischtennis im Garten des Bads angesagt. Anschließend kehrten wir im jugoslawischen Restaurant »Kronprinz« ein.
Skilaufen im Montafon und eine Bekanntschaft
Nach meiner Rückkehr aus Kanada gönnte ich mir zusammen mit Hermann zum ersten Mal einen Skiurlaub in Bartholomäberg bei Schruns im österreichischen Montafon. Hermann konnte schon ganz gut Ski fahren. Ich meldete mich bei einem Skikurs für Anfänger an. Auf der Piste lernten wir eine junge Dame kennen. Sie hieß Ingeborg. Wir verabredeten uns zu einem Tanzabend. Mir gefiel Ingeborg. Beim Tanzen musste ich allerdings feststellen, dass sie lieber bei meinem Freund Hermann in den Armen hing. Das war natürlich enttäuschend und ärgerlich, zumal Hermann nur wenig Interesse zeigte. Mit seinen vollen schwarzen Haaren war er aber, wie ich zähneknirschend zugeben muss, der Attraktivere von uns beiden. Gleichwohl, wir trafen uns ein paarmal mit ihr im Ferienhäuschen, in dem sie mit ihren Eltern während der Ski-Ferien wohnte. Es waren heimelige Abende am Kamin, wenn Papa seine Klampfe hervorkramte und wir zusammen alte Volks- und Berglieder sangen.
Mit Ingeborg, die am Bodensee bei den Eltern wohnte, traf ich mich später noch öfter, doch meine Avancen blieben letztendlich erfolglos. Sie hatte sich für einen anderen entschieden. Pech für mich. Doch blieb ich der Familie noch lange verbunden, vor allem mit Ingeborgs Schwester Uschi. Ich wurde Taufpate ihrer beiden ersten Söhne.
Skifreizeit im Wallis
Beim Stöbern durch alte Unterlagen fand ich ein kleines Notizbüchlein, das ich im Jahr 1973 als Tagebuch verwendete. Stichwortartig schrieb ich darin auf, was gerade los war. Dort entdeckte ich etliche Namen von jungen Frauen, die längst aus meinem Gedächtnis verschwunden sind. Man feierte öfter mal eine Party oder man ging zusammen essen. Mehr lief aber auch nicht.
Laut Eintrag in dieses Tagebuch fuhr ich mit Georg am 3. März 1973 zu einer Skifreizeit des CVJM Stuttgart nach Saas-Almagell im Wallis. Auf den berühmten Skihängen von Saas-Fee gab es Skikurse verschiedener Schwierigkeitsgrade. Ich stellte mich gar nicht so ungeschickt an und konnte gute Fortschritte erzielen. Die Abfahrten am Felskinn erwiesen sich als ziemlich schwierig, und es ging nicht ohne Stürze ab. Sie machten aber großen Spaß, auch wenn das sogenannte Kanonenrohr einem alles abverlangte. Abends war immer etwas los in unserer bunt gemischten Gruppe. Wir aßen Fondue, spielten, tanzten, tranken und machten Blödsinn. Unter den weiblichen Teilnehmern war eine junge hübsche Dame aus Reutlingen namens Mechthild. Ich achtete darauf, dass wir in der gleichen Gruppe unseren Skikurs machten, denn wir konnten uns gut leiden. So vergingen zwei schöne Wochen.
Wieder zuhause, telefonierten wir, besuchten uns gegenseitig und schrieben uns Briefe. In einem der Briefe teilte sie mir mit, dass sie schon einen festen Freund habe. Ich war wieder mal traurig, trug ihr das aber nicht nach. Wir trafen uns trotzdem ab und zu, ich lernte auch ihren Freund kennen. Eckhart war angehender Assistenzarzt in der Klinik in Reutlingen, wo sie als Krankenschwester arbeitete. Ich lud den sympathischen Eckhart später auch ein, an unseren Weinwanderrungen teilzunehmen, was er gern tat. Nach einigen Jahren jedoch hatte er Schwierigkeiten mit dem Tempo unserer Wandergruppe und schied wieder aus. Er war nämlich, nachdem er Mechthild ehelichte, etwas in die Breite gegangen, und dazu noch ein starker Raucher – als Arzt, der sich schon längst mit einer eigenen Praxis selbständig gemacht hatte.
Meine politische Orientierung
Der geneigte Leser könnte den Eindruck gewinnen, mein Leben hätte in jenen Jahren nur aus Partys bestanden. Deshalb will ich rasch gegensteuern und anmerken, dass ich auch politisch interessiert war. Nach meiner Rückkehr aus Kanada abonnierte ich die Wochenzeitung »Die Zeit« und schrieb ab und zu sogar einen Leserbrief. Die berühmten 1968er-Krawalle gingen allerdings spurlos an mir vorbei, da ich erst im Oktober des Jahres zurückkehrte. Zu diesem Zeitpunkt war die heiße Phase der Studentenrevolte um Rudi Dutschke gegen das verstaubte Establishment in Deutschland schon abgeklungen.
In unserer Clique führten wir hitzige Debatten über politische Themen. Die meisten meiner Kumpels waren – als katholische Rheinländer – überzeugte CDU-Anhänger, ich entlarvte mich als der Außenseiter mit meinen Ansichten. Die rasch wachsende Umweltbewegung der Siebzigerjahre fand ich zum Beispiel nicht unsympathisch, während sie von den meisten anderen als linke Spinnerei bezeichnet wurde. Ich war schon damals der Meinung, dass aus dieser Gruppe einmal eine ökologische Partei mit neuen Ideen zum Umweltschutz und für den Atomausstieg entstehen könnte. So kam es schließlich auch. Im Jahr 1980 wurde in Karlsruhe die Partei »Die Grünen« gegründet.
Damals sympathisierte ich jedoch mit den Freien Demokraten. Die FDP hatte eine starke Basis im Remstal. Aus Schorndorf stammte der einzige FDP-Ministerpräsident, den es in der alten Bundesrepublik gab: Reinhold Maier. Das war gleich nach der Gründung der Bundesrepublik. Die Umstände seiner Wahl waren etwas dubios. Er überrumpelte die stärkste Partei, die CDU, in dem er schnell ein Bündnis mit der SPD und dem BHE schloss und sich zum Ministerpräsidenten wählen ließ. Allerdings war er auch die treibende Kraft, die zu dazu führte, dass Baden und Württemberg nach zwei Volksabstimmungen zu einem Bundesland vereint wurden.
Selten versäumten mein Freund Hans und ich das jährlich stattfindende Dreikönigstreffen der Liberalen im Stuttgarter Staatstheater. Die FDP hatte damals hervorragende Köpfe wie Karl Hermann Flach, Ralf Dahrendorf oder Hildegard Hamm-Brücher. Mit ihrem Grundsatzprogramm von 1971, den Freiburger Thesen, in dem der Begriff »Sozialer Liberalismus« geprägt wurde, konnte ich mich anfreunden. Auch von Hans-Dietrich Genscher hielt ich große Stücke, bis zum Spätsommer 1982, als er und seine Parteifreunde die Koalition mit Helmut Schmidts SPD aufkündigten und zur CDU Helmut Kohls wechselten. Für mich war das ein unverzeihlicher Verrat. Mit einer Partei, die ihr Fähnchen in den Wind hielt, wollte ich nichts zu tun haben. Die FDP bekam keine Stimme mehr von mir. Günther Verheugen