Werner Stilz

Darum in die Ferne schweifen


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Gespräch zwar gelobt, das Produkt selbst aber nicht gezeigt werden.

      Die meisten Restaurants hatten keine Lizenz für den Ausschank von alkoholischen Getränken. Wer dennoch auf ein Glas Wein zur Mahlzeit nicht verzichten wollte, musste in besondere BYO einkehren – »Bring your Own«. Dort war es möglich, gegen ein Korken-Geld den selbst mitgebrachten Wein zu verzehren. Bis heute sind Wein und andere alkoholische Getränke nur in staatlichen Läden, den Liquor Stores, erhältlich. Damals musste man mindestens 21 Jahre alt sein, wenn man dort einkaufen wollte. Inzwischen wurde das Mindestalter auf 18 oder 19 reduziert – das ist in den einzelnen Provinzen unterschiedlich. Bier gibt es mittlerweile auch im Supermarkt.

      Faszinierend fand ich die Drive-In Restaurants von A&W, den Vorläufern von McDonalds. Im Auto sitzend gab man über die Lautsprecher-Anlage seine Bestellung auf und parkte dann auf dem Restaurantgelände. Hübsche junge Mädchen in adretten Uniformen brachten das Bestellte – meistens Hamburger – direkt ans Auto. Das Tablett wurde einfach an der Fensterscheibe eingehängt. Etwas Bequemeres konnte ich mir nicht vorstellen. Auch die Drive-In-Kinos waren sehr beliebt. Leider hatte ich zu der Zeit keine Freundin, mit der ich dabei hätte schmusen können.

      Eindrücklich waren auch die Winter. In Manitoba kann es verdammt kalt werden. Bei klarem Himmel sinken die Temperaturen häufig auf bis zu minus dreißig Grad Celsius. Daher waren an Parkplätzen vor den Supermärkten Steckdosen für Autos und LKWs installiert. Durch ein Kabel stellte man die Verbindung zu einer Heizspirale her, die das Öl direkt im Ölbehälter aufwärmte, damit es nicht einfrieren konnte. Einmal, als ich morgens zu Fuß auf dem Weg ins Geschäft war, hatte ich vergessen, meine Ohrmuffen aufzusetzen. Die Ohren schmerzten so sehr vor Kälte, dass ich nicht wusste, ob ich weiterrennen oder besser umkehren sollte. Zum Glück trugen die Ohren keine bleibenden Schäden davon.

      Inzwischen ging mein Aufenthalt in das dritte Jahr. Meinen Eltern hatte ich aber versprochen, nur ein Jahr wegzubleiben. Ich bekam langsam ein schlechtes Gewissen und nahm mir vor, bald die Heimreise anzutreten.

       Jetzt noch nach Vancouver

      Allein wegen der strengen Winter war Winnipeg kein Ort zum Verweilen. Doch bevor es zurück nach Deutschland gehen sollte, wollte ich mir noch Vancouver in British Columbia anschauen. Als ich meinem Kollegen Will vorschlug, dorthin zu ziehen, war er gleich einverstanden. Mit unseren Autos machten wir uns auf dem Trans-Canada-Highway auf den Weg gen Westen. Der Verkehr war zu dieser Zeit nicht sehr stark, so dass kaum Gefahr bestand, dass wir uns verlieren konnten. Außerdem betrug die Höchstgeschwindigkeit 90 Meilen pro Stunde. Die Fahrt war unvergesslich schön. Zuerst ging es durch die kanadische Prärie, topfeben, links und rechts riesige Getreidefelder, ab und zu ein rot gestrichenes Farmhaus. Dann erreichten wir die Rocky Mountains. Die Fahrt dauerte drei Tage. Wir übernachteten in Motels, die es überall am Straßenrand vor den Ortschaften gab. Am dritten Tag bogen wir vom Highway ab und nahmen die südliche Route entlang der amerikanischen Grenze. Wir passierten herrliche Seen und mächtige Berge. Auf dem Highway kurz vor Vancouver passierte es dann doch: Will machte eine Pinkelpause, wir verloren uns aus den Augen. Erst in der Stadt, im Kaufhaus Hudsons Bay, trafen wir uns schließlich wieder. Die Hudsons Bay Company gab es in jeder großen Stadt. Unabhängig voneinander hatten wir die gleiche Idee: Das ist der beste Ort, um uns wieder zu finden.

      Wer einmal in Vancouver war, wird mir Recht geben: Es ist eine bezaubernde Stadt. Allein die Lage ist überwältigend. Hier der Pazifische Ozean, dort die Berge der Grouse Mountains. Nicht weniger bezaubernd ist die Umgebung. Da ist zum Beispiel der Fraser River, wo jedes Jahr Millionen von Lachsen ihre anstrengende Wanderung zu ihren Laichplätzen machen und für die Bären zur leichten Beute werden. Außerdem gibt es, nur ein paar Stunden mit dem Fährschiff entfernt, das wunderschöne Vancouver Island mit der Landeshauptstadt Victoria.

      Als Will und ich uns wiedertrafen, galt es zunächst, eine Unterkunft und einen Job zu finden. Ich landete zunächst im Straßenbau. Mit einem Pressluftgerät planierte ich im Bau befindliche Straßen. Diese Arbeit war anstrengend und daher sehr gut bezahlt. Die frische Luft tat mir gut – bis zu dem Zeitpunkt, als der Regen kam. Es regnet häufig in Vancouver. Ich kündigte und fand eine Anstellung als Vertreter für Lebensversicherungen bei der Zurich Insurance Company. Der Erfolg in dieser neuen Tätigkeit hielt sich allerdings in Grenzen, vor allem, weil ich selbst vom Produkt und vom Nutzen für die Kunden nicht voll überzeugt war. Die hohen Gewinne für die Versicherungsgesellschaft aber blieben mir nicht verborgen.

      Will indes war wieder bei K-Mart eingestiegen. Er war ein Gutmensch und Mitglied der Heilsarmee, die in Kanada traditionell viele Anhänger hat. Eine seiner Aufgaben bestand darin, abends in Bierkneipen die Spendenbüchse herumzureichen. Mit den Einnahmen wurden Speisen für die ganz Armen finanziert. Eines Tages traf er auf Sylvi, wie er Mitglied der Heilsarmee. Später heirateten die beiden und zogen in den kalten Norden, nach Flin Flon, wo Will Leiter eines K-Mart-Stores wurde. Wir blieben lange in Briefkontakt. (Viele Jahre später, ich wohnte damals mit Frau und Kindern in Leonberg, lag ein Zettel der beiden im Briefkasten. Sie waren auf Europareise und wollten uns besuchen, doch wir waren gerade für ein paar Tage verreist. Da wir nur unsere Heimatadressen kannten und nicht die Telefonnummern, kamen wir leider nicht zusammen.)

      Auch in Vancouver genoss ich mein ungebundenes Leben. Ich fand einen netten Freundeskreis und bändelte mit einem hübschen Mädchen philippinischer Abstammung an. Meist in Gruppen mit anderen Filipinos zogen wir zum Picknick und zum Camping hinaus in die Wildnis oder an einen Fluss. Es waren sorglose Tage. Irgendwann aber wollte die junge Dame mehr als nur Picknick machen. Sie wollte eine feste Beziehung und dachte bereits an eine Heirat. Dazu war ich noch nicht bereit. So kamen drei Gründe zusammen, dass ich mich nach einem Jahr in Vancouver entschloss, dieses schöne Land endgültig zu verlassen: Der Job, der mich nicht wirklich befriedigte, das Mädchen, das mich zu sehr bedrängte, vor allem aber das Versprechen an meine Eltern, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Schließlich waren die beiden nicht mehr die Jüngsten. Sie hatten es verdient, dass ich mich um sie kümmere.

      Aus einem Jahr in Kanada wurden vier. Vier Jahre, in denen ich beruflich nicht vorankam. Doch war das auch nicht mein Ziel. Ich lernte ein Land mit freundlichen Menschen, grandiosen Landschaften und einer gut funktionierenden Demokratie kennen. (Der damalige Premierminister hieß übrigens Pierre Trudeau und war vor allem bei Frauen wegen seines guten Aussehens beliebt. Heute ist sein Sohn Justin Trudeau Kanadas Premierminister. Auch er gibt, meistens, eine gute Figur ab.)

      Eines hatte ich versäumt: In die Provinz Quebec zu gehen, um neben der englischen Sprache auch Französisch zu erlernen. Das hätte mir später in meinem Beruf sehr genützt. Doch dafür war es nun zu spät.

       Die Heimreise

      Da ich in Kanada stets möbliert wohnte und auch sonst bescheiden lebte, passten meine Habseligkeiten in zwei Koffer. Mit diesen reiste ich per Bus nach Kelowna im Okanagan Valley in British Columbia, wo sich inzwischen mein Bruder Rolf mit Friedel und den damals zwei Kindern, Jeff und Rod, niedergelassen hatte. Auch ihnen war das raue Klima in Winnipeg auf Dauer zu lästig geworden. Ich verbrachte noch zwei Wochen bei ihnen, bevor ich mich mit dem Flugzeug in Richtung New York verabschiedete. Von dort aus wollte ich den Atlantik mit dem Schiff überqueren.

      Nach einem letzten Besuch bei Tante Mina und ihrem Christian auf Long Island, logierte ich mich auf der »United States« ein, damals der schnellste Dampfer, ausgezeichnet mit dem blauen Band. Am 10. Oktober 1968 begann die viertägige Reise nach Le Havre, Frankreich. Dieses Luxusschiff begeisterte mich. Doch zuerst wurde ich seekrank. Mir war furchtbar übel, ich konnte mich nur noch ins Bett legen. Dieser Zustand dauerte einen ganzen Tag und eine Nacht. Als ich erstmals an der Bar saß und einem anderen Passagier von meiner Not berichtete, riet er mir, Whisky zu trinken. Ob es wirklich half, weiß ich nicht, doch die Seekrankheit verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Danach konnte ich den Luxus dieses Schiffes voll genießen. Die Speisen waren vom Allerfeinsten. Den Swimmingpool nutzte ich gern, wobei man entweder bergauf oder bergab schwamm, gerade so wie draußen der Wellengang war. An den Bars traf ich interessante Gesprächspartner. Abends an der Reling zu sitzen und die Sonne untergehen zu sehen, war ein schönes Erlebnis.

      Bei der Ankunft in Le Havre wartete mein Freund Hermann auf mich, der mit seinem Citroën 2CV den weiten Weg auf sich genommen hatte, um