K.R.G. Hoffmann

AUFRECHT IN BERLIN


Скачать книгу

Lange“ mit Frau Elke, Holzapfel und natürlich 'Wölkchen' pflegten über mindestens 10 bis 50 Jahre die Freundschaft zu Roland. Gute Bekannte, die kurz oder über längere Phasen Rolands Weg gekreuzt hatten, komplettieren die Leichenschmaus-Gesellschaft. Jene, die Rolands Wesen mit formten und nicht in dieser Runde sitzen, bilden vielleicht im Universum Spalier?

      „Nun erzähl doch endlich, wie kommt die Säule auf das Grab?“, verlangt Winfried.

      „Gemach, gemach, ihr seht doch, meine Zigarre braucht noch den Zündel! -Pause- Also, in mein Blickfeld kam die Säule, als wir gelegentlich wegen einer Besorgung an ihr vorüberfuhren und Roland mich auf sie aufmerksam machte. Seit zehn Jahren führte sein Weg des öfteren an dieser rotbraunen übermannshohen Granitsäule mit baumdickem Durchmesser vorbei. Sie stand auf dem Hof eines Steinmetzes in Berlin Pankow direkt an der B96a. Roland hatte sich in den Kopf gesetzt, diese Säule als seinen Grabstein haben zu wollen, sofern es sie noch gäbe, wenn er nicht mehr sei.

      Roland hatte für den Tag X überhaupt keine Vorkehrungen getroffen. Wir wollten ja hundert Jahre alt werden. Für mich war die Säule ein Gedanke, dem Freund bei seinem Heimgang von dieser Welt einen letzten Freundschaftsdienst zu erweisen. Ich machte mich also auf den Weg, der eher eine Suche war. Die Säule stand immer noch auf dem Grundstück eines Steinmetz-und Bildhauermeisters, der auch über den Bezirk hinaus ein bekannter Steinrestaurator ist. Als ich den Mann aufsuchte, stand vor mir die personifizierte Steinmetz-Dynastie von Pankow. Seine Vorfahren gehörten bereits zur Steinmetz-Zunft, und sein Bruder und ein Neffe haben auch ihre Betriebe in fußläufiger Nähe. Mein Interesse an der Säule wurde, ich hatte es kaum ausgesprochen, zweifelsfrei und bestimmt gekontert:

      „Die Säule ist unverkäuflich! So lange ich lebe, wird die nicht verkauft!“

      „Na, da kann man doch sicherlich etwas regeln, lassen Sie mich erklären…..“

      „Da gibt es nichts zu erklären. Die Säule ist ein Andenken an meinen Vater. Der hat sie aus den Trümmern der Reichskanzlei geborgen, sozusagen vor ihrer Zerstörung gerettet.“

      „Hören Sie mir doch wenigstens zu! Ich will die Säule für meinen verstorbenen Freund, der sie sich zu Lebzeiten als Grabstein ausgesucht hat.“

      „Ihr Freund? Wer war denn das? Hier war mal jemand, das mag bestimmt schon sechs sieben Jahre her sein, der genau das vorhatte. Seinen Namen habe ich vergessen, aber Fliege trug er. Daran erinnere ich mich.“

      „Kein Zweifel, das war Roland!“

      „Ich habe dem damals genau das Gleiche gesagt, wie Ihnen heute. Er ließ aber nicht locker. Er meinte, es sei gut zu hören, dass ich die Säule nicht verkaufen würde. Er wüsste auch gar nicht, was er solange mit ihr machen solle. Sowohl bei mir als auch bei ihm würde das mit dem Tod ja noch ein Weilchen dauern. Könnte ja sein, meinte er, dass, wenn ich eines Tages in Rente ginge, die Säule dann vielleicht doch verkäuflich sei. Er würde immer mal wieder vorbeischauen.

      Das war´s, seitdem habe ich nichts mehr von Ihrem Roland gehört oder gesehen.“

      „Und jetzt bin ich hier. Wenn Sie gestatten, ich komme mit einer Leseprobe aus dem Manuskript über Rolands Leben vorbei. Wenn Ihnen die Person „Roland“ gefällt, reden wir noch einmal über die Säule.“

      „Einverstanden, aber ich verspreche nichts!“

      Auf der Heimfahrt überlegte ich, welche Passagen geeignet seien, um sie als Leseprobe für den Steinmetz auszudrucken. Ich entschied mich für die Vorbereitung der zweiten, letztendlich erfolgreichen Flucht Rolands von Ost- nach West Berlin 1966.

      Zwei Tage später war ich wie verabredet wieder bei Steinmetzmeister Carlo. Die Leseprobe werde er sich zu Gemüte ziehen. Wir verabredeten uns an Ort und Stelle für dieselbe Woche.“

      Ich erhebe mein Glas in Richtung Steinmetz:

      „Carlo, ich begrüße dich herzlich in dieser Runde! Ich will es kurz machen, unser Roland hat dir gefallen, und so wechselte die Säule ihren Besitzer.“

      „Moment, Moment“, unterbricht mich Carlo:

      „Roland war ein ordentlicher Typ, aber eine Szene, die er beschreibt, ging mir zu Herzen. Er hatte seinem Freund das Ehrenwort gegeben. Sie hatten einander versprochen, einer holt den anderen innerhalb eines Jahres nach, wenn einem die Flucht in den Westen ohne den Freund gelänge. Das hat er geschafft. Darum gab ich die Säule.“

      „Danke, Carlo!

      Die Säule war also da, aber mit ihr auch ein neues Problem. Die Friedhöfe in Berlin haben Satzungen, die die Errichtung einer Säule ausschließen. Ich musste also einen Friedhof finden, der Rolands Säule erlauben würde. Denkt daran, wenn ihr euren Hinterbliebenen Wünsche hinterlasst. Früher konnten die Hinterbliebenen sogar kleine Paläste auf den Gräbern errichten. Heute stehen sie unter Denkmalschutz. Vier Friedhöfe habe ich angefragt, und genauso viele Absagen habe ich mir eingehandelt. Inzwischen waren drei Monate vergangen, und das Beerdigungsinstitut wurde ungeduldig. Wie und wann es mit der Urne weitergehen sollte hatte ich von der Aufstellung der Säule auf Rolands Grab abhängig gemacht. Carlo lieferte dann letztlich die Säule mit der allumfassenden Insigne „Vita militare“ und den Friedhof mit Genehmigung gleich mit. Eine Skulptur von Carlo auf diesem Gelände bedeutete nämlich diesem hier einen Prestigegewinn. Carlo! Dir dafür einen freundlichen Zutrank außer der Reihe. Ende gut, alles gut. Bitte sich zu erheben!“

      Wir stoßen an:

      „Vivat crescat floriat in memoriam Roland.“

      Dem Gescharre der Stühle und dem Klingen der Gläser folgt eine kurze erwartungsvolle Stille. Das Essen wird hereingetragen.

      Die letzten Esser haben mittlerweile auch ihr Dessert verspeist.

      Ich erteile Raucherlaubnis.

      „Das passt!“, ist Remuss zu vernehmen.

      „Du hast ja mit Roland das Thema 'Zigarre und Genuss derselben' kultig gehandhabt. Eine 'Havanna' gehörte zu eurer definierten allumfassenden Lebensqualität. Innerlich muss ich jetzt schmunzeln. Roland gab, bezogen auf die propagierte Gefährlichkeit des Zigarrenkonsums, eine These zum Besten. Er hätte eine medizinische Studie gelesen, die bei den 1,6 Millionen Kubanern heute schon dreitausend über Hundertjährige festgestellt habe. Als Ursache für die statistisch lange Lebenserwartung vermuteten die Mediziner, dies hinge mit dem jahrzehntelangen Embargo zusammen, welches die USA, Präsident EISENHOWER 1960, über Castros Reich verhängt hätten. Damit waren die Kubaner von allen in der übrigen Welt gebräuchlichen Antibiotika abgeschnitten. Spöttisch lächelnd trug Roland in Bezug auf das Gelesene seine Gegenthese vor.

      Kubas geomorphologischer Untergrund ist vulkanischen Ursprungs. Der dortigen roten Erde wird landläufig, quasi als Alleinstellungsmerkmal, der Geschmack der kubanischen Tabakpflanze zugeschrieben. In Kuba laufen die Menschen über die Generationen hinweg, Männlein und Weiblein gleichermaßen, von morgens bis abends mit einem Zigarrenstummel im Mund herum. Vielleicht haben diese Tabaks Spurenelemente in sich, die das Leben länger währen lassen. Als Beispiel nannte er dich und sich. 'Wir rauchen seit fünfzig Jahren täglich Kuba-Zigarren' sagte er, und von unserem bevorstehendem Ableben kann überhaupt keine Rede sein. Hätte ich das Geld, würde ich aus reiner Forschungslust eine Vergleichsstudie auf den Kanaren initiieren, um bei gleicher geomorphologischer Ausgangslage statistisch Signifikantes aufzuspüren.' Verrückt genug dazu war er ja.“

      „Na zumindest in Einem hatte er recht. Ich habe auf Kuba die ständig rauchenden oder Zigarre nuckelnden Einheimischen gesehen“, wirft Werner ein.

      Frenzel, als nichtrauchender Arzt:

      „Ohne Zigarrenrauchen säßen wir vielleicht nicht zum Leichenschmaus hier. Vielleicht würde Roland noch leben.“

      Ich erwidere:

      „Das ist ja wohl nicht dein Ernst. Unser Genießen kubanischen Tabaks, von dir als lasterhaft bespöttelt, zeitigte weder bei Roland noch bei mir Beeinträchtigungen.“

      „Jetzt will ich es genau wissen, weshalb oder wie ist Roland denn nun in die ewigen Jagdgründe gegangen?“, fragt