K.R.G. Hoffmann

AUFRECHT IN BERLIN


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dekoriert mit dem „Parteiabzeichen in Gold“. Das bekam man für den frühzeitigen NSDAP-Beitritt mit niedriger Mitgliedsnummer oder für besonderen Einsatz in der Auseinandersetzung mit den Kommunisten. Die machten es der NSDAP in den Zwanzigern und Anfang der dreißiger Jahre schwer, sich in Berlin zu behaupten.

      Auch Rudolf besaß das „Parteiabzeichen in Gold“. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, hatte er es zum Kleinunternehmer gebracht. Die Bestimmungen des Versailler Vertrages empfand er als nationale Schmach. Aus der Wanderbewegung kommend, gaben ihm die nationalen und sozialistischen Ideale der „Bewegung“ Hoffnung. Er vertraute auf die Kraft der Gemeinschaft, die Deutschland stark unter den Völkern würde werden lassen.

      Als Samenhändler verband er das Gute mit dem Nützlichen. So beriet er die Kleingärtner, wie sie, dem Gedanken nach autarker Versorgung der Familie mit Obst und Gemüse folgend, ihre Gartenflächen optimal im Sinne einer ertragreichen Nutzung bewirtschaften konnten. Eine fünfköpfige Familie konnte mit einer Fläche von ca. 400 m2 Größe ihren Jahresbedarf an Obst und Gemüse decken. Er organisierte Vorträge und Vorführungen, wobei ihm das eigene Grundstück in Buckow-West als Demonstrationsfläche diente. Sein Engagement wurde als vorbildlich für die Hilfe und für den Zusammenhalt unter Volksgenossen wahrgenommen.

      Zugleich war Rudolf auch aktives Mitglied im „Britzer-Heimatverein von 1890“, heute „Bürgerverein Berlin-Britz“. Dieser Verein bildete die gesellschaftliche Mitte in Britz. Mitglied in diesem Verein zu sein gehörte zum guten Ton. Die Ämter im Verein wurden nach strengen Maßstäben vergeben. Bei anstehenden Festlichkeiten, wie Erntedank, Hochzeiten, Jubiläen und anderem mehr wurde gegessen, getanzt und getrunken. Letzteres beförderte auch Händel unter den Teilnehmern. Rudolf kannte seine Pappenheimer. Als Festwart fühlte er sich in der Pflicht, für Schlichtung zu sorgen. Zu vorgerückter Stunde waren die Prügelattacken eines bestimmten Bauern oft ein zu erwartender Programmpunkt. Rudolf bezog bei seinen von diesem Bauern schon regelrecht erwarteten Schlichtungsversuchen des öfteren mehr Blessuren, als sie die zuvor raufenden Kontrahenten davongetragen hatten. Ehefrau Else oblag dann die Pflege ihres verwundeten Helden.

      Für die ärztliche Betreuung und Versorgung der Familie war der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Levi zuständig. Das Verhältnis zwischen Rudolf und dem Familienarzt ging über das übliche Verhältnis zwischen Verkäufer und Kunde, zwischen Arzt und Patient hinaus. Für Rudolf war es eine gesellschaftliche Grenzüberschreitung, dass er als kleiner Kaufmann ohne höheren Schulabschluss mit dem Akademikerhaushalt des Doktors in freundschaftlicher Beziehung stand. Für den Doktor gaben wohl Rudolfs kaufmännische Reputation sowie dessen soziale Aktivitäten den Ausschlag für das vertrauliche Verhältnis. Dr. Levi war der Kommandeur der „Britzer Sanitätskolonne“, zu der Rudolf als Rettungssanitäter gehörte. Ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse hatte er im ersten Weltkrieg als Sanitäts-Gefreiter den Gaseinsatz erlebt. Die „Britzer Sanitätskolonne“ war eine motorisierte Notarztversorgung. Mit der hatte es in Britz seine Besonderheiten. In ihr halfen nämlich auch die Gattin des Doktors und Rudolfs Ehefrau Else als Schwestern bei Großveranstaltungen mit. Die Männer waren alle Mitglieder in der Kameradschaft des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK). Diese Vereinigung war aus dem ADAC hervorgegangen. Die Aufnahme in das NSKK setzte zwar keinen Führerschein und Kenntnisse über Kraftfahrzeuge voraus, aber nur Personen mit Ariernachweis wurden Mitglieder. Doktor Levis gesellschaftlicher Status als ein angesehener Arzt und ehemaliger Offizier im Feld überwog das Fehlen eines nicht zu erlangenden Ariernachweises. Er kommandierte die Noteinsätze gut und richtig. Alle waren zufrieden.

      Gelegentlich half der Doktor bei der inhaltlichen Ausarbeitung von Reden für Rudolf, und es war zwischen ihnen klar, dass keine Pflanze in die Erde des Kleingartens oder in die Blumenkästen des Doktors kam, die nicht ihre vorherige Bewilligung durch Rudolf erhalten hatte. Das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden ging so weit, dass der Doktor während ihres Bereitschaftseinsatzes bei den Olympischen Spielen 1936 zu ihm sagte:

      „Rudi, wir planen nach New York zu übersiedeln. Das Klima hier ist für uns beunruhigend. Unser Sohn ist ja, wie du weißt, schon im zweiten Jahr dort. Er kümmert sich um unsere Einreise.“

      Die folgenden Ereignisse überrollten beide.

      Die Verhaftungswelle gegen die Juden in Berlin war 1938 angelaufen. Telefonisch wurde Dr. Levi, dessen Frau "arisch" war, gewarnt, dass zumindest er unmittelbar mit der Verhaftung zu rechnen hätte. Es war am Donnerstag, dem 10. November. Der Anruf erreichte Rudolf kurz vor Ladenschluss.

      „Rudi, Eispickel (Spitzname im Kiez, weil er in einem speziellen Lastauto Kunsteis in Stangenform an seine Kundschaft ausfuhr) hat mich angerufen. Ich soll abgeholt werden.“

      „Ich komme!“

      Else rief er, im Gehen begriffen, zu:

      „Muss mal schnell zum Levi, den wollen sie verhaften.“

      „In Ordnung, bring dich nicht in Schwierigkeiten!“

      Raus aus dem Laden, und schnell brachte er die etwa eineinhalb Kilometer zwischen Laden und Levis Wohnung hinter sich. Nach Luft schnappend trat er durch die offene Wohnungstür bei den Levis ein und platzte in die Verhaftung des Dr. Levi durch die Parteigenossen. Schnaufend, über die augenscheinlich rüde Situation erregt, keuchte er wütend:

      „Macht, dass ihr hier rauskommt, aber dalli! Ganz Britz und Neukölln kennt den Doktor als Kommandanten unserer Sanitätskolonne. Eispickel! Egon! Jahrelang fahrt ihr schon die Noteinsätze mit.“

      „Der steht genauso auf der Liste wie die anderen Itzigs in Britz“, entgegnete ein ihm unbekannter SA-Mann.

      „Ich sage euch nochmals, macht, dass ihr rauskommt. Doktor Levi auf der Liste - das ist ein Irrtum, und wehe, ihr klaut hier, ich zeige euch alle in der Kameradschaft an!“

      Die Anwesenden, vier SA-Leute, von denen drei aus Rudolfs NSKK-Kameradschaft waren, hielten in ihrem Tun inne und blickten abwartend auf ihren Anführer. Rudolfs Auftritt brachte tatsächlich einen ruhigeren Verlauf in die Verhaftungsaktion – er war ja schließlich nicht irgendwer, sondern genaugenommen einer von ihnen. Weiteres Stöbern in Schränken und Schubladen hatte ein Ende. Dr. Levi hatte sich einen Mantel übergeworfen, umarmte kurz seine Frau und sagte zu Rudolf gewandt:

      „Danke, Rudi, hoffentlich bekommst du jetzt nicht auch noch meinetwegen Schwierigkeiten. Vielleicht klappt es noch mit Amerika.“ Bevor der Trupp, mit Dr. Levi in seiner Mitte, die Wohnung verließ, war noch vieldeutig vom Anführer zu vernehmen:

      „Wir bringen den Juden zur Sammelstelle in die General-Pape-Straße, aber mit dir, Parteigenosse, sind wir noch nicht fertig!“

      Frau Levi stand Rudolf gegenüber, ihre Augen voller Tränen.

      „Bitte, lieber Rudolf, nehmen Sie doch einige recht wertvolle Sachen an sich, die ich zusammen mit den Besteckkästen in zwei kleinen Handkoffern verstaut habe. Ich habe ja solche Angst, dass die Leute noch einmal zurückkommen, wenn Sie aus dem Haus sind.“

      „Wegen der Leute brauchen Sie sich heute keine Sorgen mehr zu machen. Die haben genug andere auf der Liste. Zu Ihrer Beruhigung – ich nehme die Sachen mit. Morgen werde ich mich nach Ihrem Mann erkundigen. Ich glaube nicht, dass es heute hier mit rechten Dingen zugegangen ist.“

      Rudolf, zurück in seiner Wohnung - der Laden war inzwischen geschlossen - war gerade dabei, seinen Mantel aufzuhängen, als Else schon im Flur stand:

      „Was war los, haben sie den Doktor tatsächlich verhaftet?“

      „Else, stell dir vor, die eigenen Kameraden waren dabei. Eispickel, Egon und Kalles Ältester, der Stift vom Steinmetz, kennst se ja alle. Angeführt wurden sie von einem Wichtig, Hermann heißt der, aus Neukölln. Ich komme da an und sehe, wie die in Levis Sachen rumwühlen, als wenn der was verbrochen hätte. Da bin ich dazwischen, kannst' de dir ja vorstellen. Mitgenommen haben sie ihn dann trotzdem!“

      „Rudi, da haste dir sichalich wat einjehandilt, aba ick varsteh det. Ausjerechnet unsa Dokta Levi, der hat doch nu wirklich sein Herz uff`n richtchen Fleck.“

      „Else, ich pauke den da raus, er ist mein Freund und unser Kommandant - gleich