verurteilte Arius erscheint. Warum dies so ist, werden wir bei der Untersuchung der Gotteslehre und Christologie der Zeugen Jehovas betrachten.
Russell starb bei einer seiner zahlreichen Reisen, und zwar am 31. Oktober 1916 in einem Eisenbahnwagen in der Nähe von Pampa/ Texas. Eine Autokolonne von über hundert Wagen, ein Meer von Blumen sowie 17 Grabreden prägten seine Bestattung in New York.
Beziehungen zur Freimaurerei
Einige Fragen im Zusammenhang mit der Biographie Russells sind noch ausführlicher zu betrachten. Die erste Frage lautet: War Russell Freimaurer oder zumindest für freimaurerisches Denken offen? Besonders der ehemalige Zeuge Jehovas Erich Brüning hat sich der Untersuchung dieser Frage gewidmet. In seinem Buch 3 Systeme. Was verbindet Freimaurer, New Age und Jehovas Zeugen? (1994 b) zitiert er ausführlich aus einer Rede, die Russell 1913 vor Freimaurern, Ernsten Bibelforschern und Zuhörern verschiedener Denominationen gehalten hat. Diese Tempelansprache ist erschienen im „International Biblestudents Souvenir, Convention Report 1913“, S. 359 ff. Daraus einige Auszüge. Russell sagte:
„Ich freue mich, die besondere Gelegenheit zu haben, einiges über Dinge zu sagen, in denen wir mit unseren freimaurerischen Freunden übereinstimmen, denn wir befinden uns hier in einem Gebäude, das der Freimaurerei geweiht ist. Und auch wir sind Freimaurer. Ich bin ein freier Freimaurer. Ich bin ein freier und anerkannter Freimaurer, wenn ich das in voller Länge ausführen darf … Ich glaube, wir alle sind es. Aber nicht gerade im Stil unserer freimaurerischen Brüder… Tatsächlich sind einige meiner besten Freunde Freimaurer, und ich schätze es, dass es einige wertvolle Wahrheiten gibt, die unsere freimaurerischen Freunde besitzen.“
Im Folgenden führt Russell aus, dass Jesus Christus „der große Meister unseres Hohen Ordens der Freien und anerkannten Freimaurerei“ und Begründer des Tempels sei. Punkt für Punkt vergleicht Russell die Gemeinde mit einem freimaurerischen Tempel. Schließlich meint er:
„Ihr wisst, dass man in Freimaurerorden von Stufe zu Stufe fortschreitet und dabei mehr und mehr lernt. So gibt es denn Freimaurer im 32. Grad, die viel mehr wissen als die im 14. und 16. Grad… So ist es auch im geistlichen Tempel. Der Apostel drängt uns, höher zu steigen. Er sagt, wir sollen in der Gnade und in der Erkenntnis wachsen und dem Herrn charakterlich ähnlicher werden, ihm, dem großen Hauptbefehlshaber, dem großartigen Hohenpriester unserer Berufung, dem größten aller Tempelritter“ (zit. nach Brüning, 1994 b, S. 62 ff.).
Solche Äußerungen dürften heutigen Zeugen Jehovas weitgehend unbekannt sein. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass Russell entweder selber Freimaurer war oder deren Gedankengut zumindest nicht ablehnte. Eine wichtige Gemeinsamkeit lag sicherlich darin, dass sowohl Freimaurer als auch Russell die göttliche Wesensart Jesu Christi im Sinne der Trinität bestritten. Ferner versuchte Russell, abseits von den Dogmen der Kirchen eine neue Religion zu gründen. Freimaurerisches Gedankengut kommt nicht nur in der zitierten Tempelansprache Russells zum Ausdruck, sondern auch in der von ihm häufig gewählten Symbolik der Pyramide, welche ein wichtiges Symbol der Freimaurerei darstellt. Man denke etwa an den dritten Band der Schriftstudien, wo ein ganzes Kapitel der Pyramide von Gizeh gewidmet ist. Später haben die Zeugen Jehovas Russells Pyramidenlehre fallen gelassen, wie sie auch offiziell nichts mit Russells freimaurerischen Ambitionen zu tun haben wollen. Dennoch stellt dieser Einfluss eine bedeutende Größe der Anfangszeit war, welche sich nicht leugnen lässt.
Ob Russell Mitglied einer Freimaurer-Loge war – darüber gehen die Ansichten auseinander. Brüning selber äußert sich widersprüchlich. Einerseits schreibt er:
„Über Russells Zugehörigkeit zu einer Loge weist das Drei-Punkt-Symbol vor seinem Namen in dem Freimaurerverzeichnis in ´Lady Queenborough` hin“ (ebd., S. 68).
Andererseits meint er:
„Es muss hier nicht polemisiert werden, ob Russell initiierter Freimaurer war oder nicht. Seine Weltanschauung, die Verehrung freimaurerischer Embleme, die Anwendung freimaurerischen Vokabulars und Umdeutung biblischen Gedankenguts in freimaurerische ´Theologie` dürften zur Beurteilung der Grundhaltung Russells genügen. Man spricht hier auch von ´Maurer ohne Schurz`“ (ebd.).
In Einklang mit Brünings letzter Aussage teilte mir Hans-Jürgen Twisselmann in einem Brief vom 6.2.1996 folgendes mit:
„Russell war, wie ich über eine deutsche Freimaurer-Loge in Erfahrung bringen konnte, nie Freimaurer. Dass er aber beste Kontakte zu Einzelpersonen und Freimaurer-Einrichtungen unterhielt, dürfte unbestritten sein.“
Adventistische Einflüsse
Ein weiterer interessanter Aspekt sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Russells Lehre und dem frühen Adventismus, aus dem er ja hervorgegangen ist. Übernommen wurde zumindest prinzipiell die Schrifthaltung, der Glaube an die göttliche Inspiration der Bibel, wenn auch auf eine eigenwillige Art (dazu später mehr), ferner die Vorstellung von einer inhaltlichen Gleichwertigkeit von Altem und Neuem Testament. Die biblischen Aussagen werden – trotz vordergründig geschichtlichem Denken – nicht in ihrem heilsgeschichtlichen Fortschreiten betrachtet und ernstgenommen, sondern geradezu steinbruchmäßig aus dem Textzusammenhang herausgebrochen und nach eigenen Vorstellungen miteinander kombiniert. Auf die sogenannte Rösselsprung-Methode bei den Zeugen Jehovas werde ich noch ausführlicher eingehen. Die Gleichordnung des Alten Testamentes mit dem Neuen führt zum Beispiel bei den Adventisten zur Sabbat-Heiligung, bei den Zeugen Jehovas zu einem sehr gesetzlichen Denken insgesamt, besonders auffallend etwa in Gestalt des Blut-Verbots.
Ein weiteres gemeinsames Kennzeichen ist der Versuch, den Termin der Wiederkunft Christi zu berechnen. Nach dem Nichteintreffen der sichtbaren Wiederkunft verlegten sich sowohl adventistische Kreise als auch Russell auf eine unsichtbare Wiederkunft oder Gegenwart Christi.
Gemeinsam ist ferner die Vorstellung, dass der Mensch nicht eine Seele hat, sondern eine Seele ist. Damit hängt die Ablehnung jeder Behauptung einer Unsterblichkeit der Seele zusammen. Da der Mensch als ganzer eine Seele sei, könne er den leiblichen Tod nicht überdauern, sondern sterbe ganz. Nach dem Tod gebe es keine Weiterexistenz. Auferstehung bedeute Neuschaffung. Diese Ganztod-Theorie findet sich heute sowohl bei den Siebenten-Tags-Adventisten als auch bei den Zeugen Jehovas. Eng damit zusammen hängt die Verwerfung der Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen. Die Hölle sei nur das Grab, ein Ort der Ruhe und der Hoffnung, wo weder Bewusstsein noch Empfindung vorhanden sei.
Worin sich Russell von den Adventisten unterscheidet, ist vor allem seine Ablehnung der Lehre von der Dreieinigkeit, aber auch der Sabbat-Heiligung, darüber hinaus manche eigenen Terminberechnungen, nicht zuletzt die Einbeziehung der Cheops-Pyramide in seine Zeitalter-Lehre. Aber die Gemeinsamkeiten mit Ansichten in der adventistischen Bewegung des 19. Jahrhunderts sind doch auffallend. Von Russells Neuerungen hat nur weniges seinen Tod überlebt. Seine Terminberechnungen wurden von seinen Nachfolgern umgedeutet oder „aktualisiert“, die Berücksichtigung der Cheops-Pyramide wurde fallengelassen. Dietrich Hellmund bemerkt in seiner Dissertation „Geschichte der Zeugen Jehovas“ zu Recht:
„Nun gibt es freilich einige Glaubenslehren, die unverändert oder doch nur mit ganz geringen Korrekturen den Tod des Gründers überdauern und bis heute bei den Zeugen Jehovas vertreten werden: die Seelenlehre, die Höllenlehre, die Ablehnung der Trinitätslehre, die praktische Bevorzugung des Alten Testaments. Im weiteren Sinn wären dazu auch das chronologische Zeitschema (Adams Erschaffung um 4.000 vor Christus), das endzeitliche Bibelverständnis, die Lehre vom Läuterungscharakter des Millenniums, auch das Schriftprinzip zu rechnen. Mit alleiniger Ausnahme der Gotteslehre sind alle diese Anschauungen adventistischen Ursprungs oder durch Adventisten vermittelt.“
Im 1993 veröffentlichten Geschichtsbuch „Jehovas Zeugen – Verkündiger des Königreiches Gottes“ werden die Einflüsse anderer Personen und Gruppierungen, insbesondere der Adventisten, auf Russell offen zugegeben:
„C. T. Russell erkannte dankbar die Hilfe an, die ihm George W. Stetson aus Edinburgh (Pennsylvanien) beim Studium der Heiligen Schrift geleistet hatte … George W. Stetson war … Pfarrer der Adventistisch-Christlichen Kirche … C. T. Russell fühlte sich George Storrs, der etwa 56 Jahre