freien Blick auf den Fischimbiss. Ist doch auch was.« Petra lachte. »Wenn es nicht schlimmer wird – damit kann ich leben.«
»Na, wenn du meinst. Wenn es meine Hochzeit wäre …«
»Ist es nicht. Es ist meine. Und auf einschlägige Erfahrung im Hochzeitmachen kannst du nicht zurückgreifen, wenn ich mich recht erinnere.«
Ihre Mutter stand auf und verließ mit kurzen Stakkatoschritten das Hotelzimmer.
Die würde sie so bald nicht wiedersehen. Was hatte sie da nur wieder angerichtet?! Aber ihre Mutter ging ihr manchmal schrecklich auf die Nerven. Besonders jetzt. Wo sie so viel zu organisieren hatte. In ein paar Tagen würde ihre und Jörgs Verwandtschaft über die Insel hereinbrechen. Tante Olga. Onkel Peer. Marianne mit den Zwillingen. Sie mochte nicht daran denken. Am allerliebsten lieber wäre sie mit Jörg ins Niemandsland gefahren. Ganz allein. Aber mit dieser Idee war sie so ziemlich gegen alle Wände gelaufen. Jeder, dem sie ihren Wunsch anvertraut hatte, hatte sie mit vorwurfsvollem Blick angesehen. Auch Jörg.
So hatte sie geschwiegen und sich langsam an den Gedanken an eine Hochzeit im Kreise der Lieben gewöhnt. Wenigstens hatte sie durchgesetzt, dass der schönste Tag im Leben auf Baltrum stattfinden würde. Schön weit weg auf einer Insel. Da würden immerhin nicht alle erscheinen, die sich sonst einen Abend für lau nicht entgehen ließen. Wenn man mal vom Hochzeitsgeschenk absah. Aber das fiel bei diesen Leuten meistens nicht gerade üppig aus.
Sie hatte sich über Jörgs Einwände, dass der Sommer die wichtigste Zeit für seine Auftritte sei, hinweggesetzt. »Mach du deine Arbeit. Ich kümmere mich um alles«, hatte sie ihm entgegengehalten. Und so war es gekommen. Sie hatte sich Urlaub genommen und klärte alles ab, was sie nicht von zu Hause hatte erledigen können. Jörg dagegen machte seine Tour, von Esens nach Langeoog, dann hatte er einen Auftritt in Bensersiel, bis er über das Sturmfrei in Neßmersiel schließlich am nächsten Tag auf Baltrum ankommen würde. So war es zumindest geplant.
Es konnte allerdings sein, dass er ganz spontan für einen Kindergeburtstag gebucht wurde. Diese Feste kamen für manche Mütter immer so plötzlich. Rechtzeitig anfragen war da absolut nicht drin. Und nein sagen natürlich auch nicht, hatte Jörg ihr erklärt. Ganz zu Anfang ihrer Beziehung. Als aus einem geplanten Schmusewochenende mal wieder nichts geworden war. Aber das würde sie ihm schon noch abgewöhnen. Schließlich hatte er jetzt sie. Und ihr relativ festes Einkommen. Da brauchte er nicht mehr hinter jedem konsumüberschütteten Balg herzulaufen. Sie hatte sich zu Hause in Hannover einen florierenden Antiquitätenhandel aufgebaut. Am Rande der Stadt verkaufte sie in einem alten Bauernhaus, das sie nach und nach restauriert hatte, viele schöne Exponate. Und was dort keinen Abnehmer fand, bot sie über ihre Homepage an.
Kritisch strich sie sich über den Bauch. Da könnte was weg. Auch an den Hüften hatte sich eine Kleinigkeit zu viel angesammelt. In der Nordseeluft entwickelte sie grundsätzlich einen unkontrollierbaren Appetit, aber dass ein paar Tage schon so viel ausmachten, wunderte sie doch. Hoffentlich passte das beige Kleid noch. Sie nahm es vom Bett und strich es glatt. Dann hielt sie es vor sich und betrachtete sich im Spiegel.
So besehen passte es. Keine Frage. Den Anziehtest würde sie verschieben. Kurz vor dem großen Ereignis war früh genug. Und bis dahin hatte sie ein paar Tage Zeit abzunehmen. So schlank wie ihre Freundin Amelie würde sie dadurch nicht werden, aber Amelie hatte schon immer mehr auf ihr Äußeres geachtet. Amelie hatte gleich drei verschiedene Kleider an ihrem Hochzeitstag getragen. Eines für die standesamtliche, eines für die kirchliche Trauung und eines für die Feier danach. Das würde Petra im Traum nicht einfallen.
Doch jetzt waren andere Dinge wichtiger. Sie musste unbedingt zu Stadtlander. Haarfarbe kaufen. Hatte sie doch, kurz bevor ihre Mutter an ihrer Tür Sturm trommelte, ein paar graue Strähnen in ihren blonden Haaren entdeckt. Ausgerechnet jetzt. Vor dem wichtigsten Tag in ihrem Leben.
Es blieben ihr noch genau zwanzig Stunden, bis das Schiff mit ihrem Jörg drauf anlegte.
Auf dem Flur traf sie Birgit Ahlers. Die Chefin des Hotels Sonnenstrand goss gerade den Hibiskus, der seine großen rot-gelben Blüten zum Fenster reckte. »Frau Ahlers, wo ich Sie gerade sehe: Mein Mann kommt morgen. Wir würden gerne ein Probeessen veranstalten. Jörg, meine Mutter und ich.«
Langsam drehte sich Birgit Ahlers zu ihr um. »Ein Probeessen? Wie soll ich das verstehen?«
»Na, ja, alles, was wir für den Hochzeitsabend bestellt haben, möchten wir vorher gerne probieren. Das ist so üblich, oder?« Wollte Frau Ahlers sie nicht begreifen? Von einer Hotelbesitzerin sollte man eigentlich ein wenig mehr Engagement erwarten. Langsam wurde Petra ungeduldig. Sie hatte eine einfache Frage gestellt in der Erwartung einer einfachen Antwort.
»Natürlich ist mir bewusst, was ein Probeessen ist«, erwiderte Frau Ahlers. »Aber ich hätte gerne etwas mehr Vorlauf. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie ein paar Fischsorten bestellt, die ich nicht auf der Karte habe und bis morgen nicht bekomme. Da werden wir also improvisieren müssen. Womit Ihnen natürlich nicht gedient ist, wenn ich das richtig verstehe.«
Petra nickte. Warum musste alles so schwierig sein? Ein bisschen Spontaneität sollte man einem Dienstleister zutrauen können. Sie bemühte sich um ein Lächeln. »Sie bekommen das schon hin. Danke auch.« Es ist nicht verkehrt, sich mit diesen Leuten gut zu stellen, zumindest bis nach der Hochzeit, dachte sie. Außerdem: Sie hatte nun mal auf der Insel heiraten wollen, und das beschauliche Baltrum war nicht Sylt, wo man eine gehobenere Gastronomie pflegte. Amelie hatte dort den Bund fürs Leben geschlossen. Mit allen Drum und Dran.
Zuvor hatte Petra mit ihr und vier weitere Freundinnen zwei Tage in Hamburg im Brautmodengeschäft verbracht, abgefüllt mit Kaffee und Sekt, bis Amelie endlich entschieden hatte, welches Kleid zu ihrem großen Tag passte. Petra dachte mit Grauen an diese endlose Sitzung. Und an den Junggesellinnenabschied. Sie hatten sich zwar nicht wie all die anderen dämlich verkleideten Grüppchen an irgendeinem Bahnhof eingefunden, wo Amelie den Reisenden Schnapsfläschchen zur Finanzierung der eigenen Feier hätte verkaufen müssen. Was schon schlimm genug gewesen wäre. Nein, sie waren standesgemäß nach London geflogen, inklusive eines Abstechers nach Ascot zum Pferderennen. Das hochnäsige Gehabe der Menschen im Hotel und auf der Rennbahn war Petra unglaublich auf die Nerven gegangen. Und was dieser Wochenendtrip gekostet hatte – daran wollte sie nie mehr erinnert werden.
Amelies Verlobter und seine Freunde hatten stattdessen ganz bodenständig den Junggesellenabschied im Harz gefeiert und zur Krönung des Wochenendes ihr Holzfäller-Diplom gemacht. Sie hatten sich im Genauigkeitssägen, Ringnageln und Jodeln gemessen. Auch das Holzscheibenwerfen war eine wichtige Disziplin zur Erlangung der begehrten Urkunde gewesen. Die Jungs hatten bei der Feier begeistert von dem Wochenende erzählt.
Die Hochzeit selber hatte alles übertroffen, was Petra sich je unter dem schönsten Tag des Lebens vorgestellt hatte. Alles gab es im besten Haus am Platze im Überfluss. Das hatte auch Amelie feststellen müssen, als bereits am frühen Abend ihr Mann, in jedem Arm eine ihrer Cousinen, restlos betrunken vor sich hin lallte. Nein, dann lieber Baltrum und eine Feier im kleinen Familienkreis. Petra mochte diese Insel. Wenn sie ihren Urlaub darauf verbrachte. Doch im Moment wurde ihr alles zu viel.
Hoffentlich hatten die bei Stadtlander überhaupt die passende Haarfarbe. Sonst müsste sie womöglich ans Festland fahren. Und das war das Letzte, was sie sich vor ihrer Hochzeit vorstellen mochte.
In der Drogerie-Abteilung schaute sie sich suchend um. Aber außer Nagelfeilen, Scheren und Hornhautraspeln sah sie nur Frotteehandtücher und andere Dinge, die im Moment überhaupt nicht in ihr Beuteschema passten.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Energisch schüttelte Petra den Kopf. Das würde gerade passen, dass sie der Verkäuferin ihr Problem schilderte! Auf der anderen Seite sparte es Zeit. Und Zeit war genau das, was ihr fehlte. Noch neunzehn Stunden und Jörg würde vor ihr stehen. Es war noch so viel zu tun.
»Ich – ich hätte gerne Haarfarbe«, sagte sie zu der Verkäuferin, die gerade im Begriff war, wieder zu gehen.
»Gerne. Welche Farbe soll es denn sein?«
Petra Bramlage stutzte. »Na, Blond