hatte Babs ihn auch kennengelernt, als sie nach einem originellen Geburtstagsgeschenk für ihre Schwägerin suchte, die alte Märchenbücher sammelte. Clemens Edel hatte sie super beraten und sich als ein sehr charmanter Verkäufer erwiesen. Unaufdringlich hatte er sie nach ihrem Namen gefragt und ob er sie denn mal auf einen Cappuccino einladen dürfe, und Babs hatte sich seine Handynummer geben lassen. Zweimal hatten sie sich in der Mittagspause auf dem Tübinger Marktplatz getroffen und Babs hatte festgestellt, dass sie sich seinem Charme einfach nicht entziehen konnte. Steffen und seine Tussi waren vergessen.
Dies gelang Linda nicht. Für sie war nach Scotts Fernbleiben eine Welt zusammengebrochen. Alle Freude, alle Lebenslust schienen aus ihr gewichen zu sein. Sie stürzte sich in Arbeit, Tag und Nacht, nur um nicht an Alan Scott denken zu müssen. Kein Lebenszeichen, war Lindas einziger Kommentar, wenn Babs sie darauf ansprach. Kein Lebenszeichen – was immer das zu bedeuten hatte. Sie musste mit ihr darüber sprechen, heute und hier.
Babs sah zur Uhr. Kurz nach halb elf. Sonst war Linda immer pünktlich. Sie sah zum Fenster hinaus. Neckar, Platanen, Hölderlinturm. Ein paar Zeilen aus einem Gedicht des Romantikers, der 36 Jahre bis zu seinem Tod psychisch krank in einem Zimmer in dem gelb getünchten Turm verbracht hatte, fielen ihr ein:
Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom,
Von Inseln fernher, wenn er geerntet hat;
So kam auch ich zur Heimat, hätt ich
Güter so viele, wie Leid, geerntet.
Plötzlich war Linda da. Kam direkt auf sie zu und nahm ohne Worte an ihrem Tisch Platz.
»Wartest du schon lange?«, fragte sie, nachdem sie eine Latte macchiato bestellt hatte.
»Zehn Minuten«, entgegnete Babs und rührte ihren Cappuccino um. Sie überlegte, ob sie gleich mit der Tür ins Haus fallen oder erst mal abwarten sollte. Wer eröffnet das Spiel? Offen oder verdeckt? Selten hatte sie sich so unsicher gefühlt. Was ist eigentlich mit dir los? Schon wollte sie fragen, doch stattdessen schluckte sie nur trocken. Sie kannte ja die Ursache für Lindas schlechte Laune. Wie begegnete man Liebeskummer am besten? Verdammt!, schoss es ihr durch den Kopf, jetzt sitzt sie dir gegenüber und du weißt nicht, was du sagen sollst! Warum war das Leben manchmal nur so kompliziert?
»Ich muss wohl ziemlich unausstehlich sein in letzter Zeit«, Linda spielte ihr den Ball offen zu. »Sorry, ich hab mich einfach schlecht im Griff«, schob sie gleich noch eine Entschuldigung nach. Babs hatte sofort eine Antwort auf der Zunge und spuckte sie aus, ohne lange zu überlegen:
»Unausstehlich ist noch gelinde ausgedrückt«, unterstrich sie und erschrak über den harten Klang ihrer Stimme. »Du bist zur Zeit ein echter Kotzbrocken!«, hörte sie sich sagen und wäre sich am liebsten im selben Moment über den Mund gefahren; doch jetzt war es heraus.
»Tut mir leid«, sagte Linda und legte ihre Hand auf Babs Unterarm. »Ich komm einfach nicht damit klar, dass er so überhaupt nichts von sich hören lässt.«
Er, dachte Babs, sie nennt schon nicht mal mehr seinen Namen!
»Aber das ist doch kein Grund, alle Welt dafür verantwortlich zu machen«, sagte sie, »ich hätte dir so gern geholfen in den letzten Tagen, aber du hast ja keinen Menschen an dich herangelassen.«
»Ich wollte eben allein sein«, entschuldigte sich Linda. »Es tut so weh, weißt du …«
Babs nickte. »Ich versteh dich doch, das ist es ja gerade. Und ich hätte dich so gern getröstet. Aber du hast immer nur gearbeitet und dich abgeschottet. Hast du denn inzwischen mal etwas von ihm gehört?«
Linda schüttelte den Kopf. »Er meldet sich nach wie vor nicht. Das hat mich zuerst traurig gemacht, dann wütend, und manchmal weiß ich überhaupt nicht, was ich tun soll.«
Babs sagte nichts, denn sie spürte, dass ihre Freundin noch einiges loszuwerden hatte.
»Als er nicht kam, vorletzten Sonntag mit der Maschine aus Kenya, du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich da gefühlt habe. Er hatte es mir doch so versprochen! Er hatte mir die Flugdaten durchgegeben, und wir hatten verabredet, dass ich ihn in Stuttgart abholen sollte. Als er nicht in der Maschine war, hab ich mich ins Auto gesetzt und geflennt wie ein fünfjähriges Mädchen, das nicht auf den Spielplatz darf.«
»Und dann hast du die Blumen weggeworfen, die du für ihn gekauft hattest.«
»Woher weißt du?«
»Ich war am Sonntagabend noch am Märchensee spazieren. Da trieben rote Rosen auf den Wasserlinsen am Ufer, und ich wusste, dass du öfters am Märchensee warst, wegen der Geschichte mit Marius Steyn.«
Linda nickte. Marius Steyn; man hatte die Leiche des alten Richters im Märchensee bei Wendelsheim gefunden, wenige Wochen erst war das her; zum selben Zeitpunkt war Alans Hilferuf aus Südafrika gekommen. Sie hatten ihn für schuldig am Tod eines Mannes gehalten, und Linda war, ohne viel zu zögern, nach Johannesburg gereist, um ihm aus der Patsche zu helfen.
»Hast du denn irgendetwas herausgefunden, weshalb er nicht in der Maschine war?«, fragte Babs jetzt, doch Linda verneinte.
»Ich habe alles versucht, was von hier aus möglich ist«, sagte sie. »Ich bekomme nur die Meldung, dass seine Nummer nicht zu erreichen ist, wenn ich ihn auf seinem Handy anrufe; meine SMS bleiben unbeantwortet. Das hat aber nichts zu bedeuten, in vielen Gegenden Kenyas gibt es kein Netz, und wer weiß, wo er sich herumgetrieben hat.«
»Und was ist mit der Farm, auf der er arbeitet?«
»Auf Simba King ist er gewesen, wie verabredet. Er hat seine Klamotten gewechselt, hat dort Bescheid gesagt, dass er für unbestimmte Zeit nach Deutschland wollte und ist dann mit seinem Landcruiser über Nairobi zurück nach Mombasa gefahren, um dort noch einiges zu regeln. Dort liegt ja noch immer sein Boot, und er hat seine Wohnung an der Südküste.«
»Dort, wo du ihn damals kennengelernt hast?«
Linda nickte. »Er hat ein paar Leute, die den Laden dort für ihn schmeißen, mit den Touristen zum Hochseeangeln fahren und die Surfbretter vermieten. Aber die wissen auch nicht, wo er stecken könnte.«
»Weißt du das sicher?«
»Ja. Ich habe Rob gebeten, sich dort mal umzusehen.«
»Du hast deinen Ex angerufen?«
»Ja, warum denn nicht? Er lebt ja noch immer mit Georgia Marsh zusammen, auf der Shamba Kifaru bei Isiolo, wenn er nicht gerade im Ruwenzori nach Gorillas sucht. Rob war vor ein paar Tagen geschäftlich in Ukunda, südlich von Mombasa, und hat sich in dem Hotel umgesehen, für das Alan arbeitet. Seine Hütte war abgeschlossen, der Landcruiser fehlte. Er ist wie vom Erdboden verschluckt, seit er die Simba King Lodge verlassen hat. Ich kann dir sagen, dass mich das ziemlich beunruhigt. Rob hat ihn jetzt offiziell als vermisst gemeldet.«
Babs holte Luft. Es war also mehr als nur Liebeskummer! Linda machte sich ernsthaft Sorgen um Alan Scott.
»Glaubst du denn, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte?«, fragte Babs vorsichtig.
Statt einer Antwort rann eine Träne über Lindas Wange.
»Ich sitze hier wie auf Kohlen. Ich weiß nicht, wie ich auf andere Gedanken kommen soll.«
»Hast du dich deshalb aus der Redaktionsschicht und aus dem Moderationsplan rausnehmen lassen, damit du jederzeit weg kannst?«
Linda nickte.
»Okay, das erklärt manches. Jetzt weiß ich, weshalb du nur Kurzbeiträge und Umfragen gemacht hast, und trotzdem Tag und Nacht im Sender warst.«
Linda bemühte sich nicht weiter, ihre Tränen zurückzuhalten. »In Südafrika war alles so … so schön. Wir waren so glücklich. Ich versteh das alles nicht.«
»Du solltest nicht gleich das Schlimmste denken«, sagte Babs, »du musst dich ablenken.«
Linda nickte. »Was glaubst du, warum ich mich so in die Arbeit stürze? Daheim fällt mir nur die Decke auf den Kopf.«
»Und