Patricia Vandenberg

Dr. Norden (ab 600) Box 2 – Arztroman


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      »Er wird sich eher freuen, ein so geehrtes Mitglied der Familie Aldamare als Mitarbeiter zu haben. Wenn nicht, stehen andere schon Schlange, um mit dir ins Geschäft zu kommen. Du bist doch ein Schnelldenker und würdest im Handumdrehen alles lernen, was ein Konzernchef wissen muß. Mein Vater hatte bestimmt anfangs nicht deine Intelligenz und hat es so weit gebracht.«

      »Ich hätte ihn gern kennengelernt«, sagte Niklas gedankenverloren. »Es gibt nur wenige, die aus dem Nichts soviel erreichen. Ich bin voller Bewunderung.«

      Etwas Schöneres konnte er Antonia nicht sagen. »Er muß auch ein guter Mensch gewesen sein, sonst würden sie ihn nicht so ehren. Wir werden morgen zu seinem Grab fahren. Jetzt bin ich soweit, ohne jeden Zwiespalt an ihn zu denken.«

      Sie betrachteten das große Foto, das ihnen überreicht worden war. Sie sahen ein Gesicht, dem ein hartes Leben Furchen eingegraben hatte, Augen, in denen eine unerfüllte Sehnsucht stand.

      »Warum hat Mama ihn nicht festgehalten?« flüsterte Antonia.

      »Liebes, wir wissen nicht, was damals wirklich war«, sagte Niklas weich.

      »Wenn man Abstand gewonnen hat, sieht man alles in einem anderen Licht. Deine Mutter hatte wohl auch gewisse Vorstellungen von ihrer Zukunft, die er ihr nicht erfüllen konnte. Erst später ist ihr bewußt geworden, daß sie ihn wirklich geliebt hat.«

      »Aber sie hätte nicht sagen dürfen, daß er tot ist. Jedes Kind hat das Recht, die Wahrheit über seine Eltern zu erfahren, wenn sie aus welchen Gründen auch immer aus ihrem Leben verschwunden sind.«

      »Manchmal wird Kindern aber auch viel erspart, wenn sie die Wahrheit nicht erfahren. Es ist nichts mehr zu ändern. Sie leben beide nicht mehr, und deinem Vater war es vor allem wichtig, dich zu finden.«

      »Ich hätte ihn auch gesucht, wenn ich gewußt hätte, daß er lebt, aber ich habe ja nur seinen Vornamen erfahren, sonst nichts. Tante Erni hat auch geschwiegen. Ich habe sie oft gefragt, und sie muß etwas gewußt haben.«

      »Sie lebt auch nicht mehr. Es ist falsch, Toten eine Schuld zuschieben zu wollen.«

      Ein paar Minuten herrschte Schweigen. Antonia blickte gedankenvoll vor sich hin.

      »Deine Mutter lebt, Niklas, willst du nicht wenigstens wissen, wie es ihr geht?«

      »Würde es ihr schlechtgehen, hätte ich es bestimmt erfahren. Es hat sie auch nie interessiert, wie es mir geht. Ihr hat es genügt, daß sie für mich gesorgt haben, bis ich das selbst tun konnte. Ich hatte Eltern, die besser kein Kind in die Welt gesetzt hätten.«

      Jeder von ihnen hatte seine Probleme, die sie nicht einfach vergessen konnten, so sehr sie es sich wohl auch wünschten. Ganz unbeschwert konnten sie auch diese Zeit nicht genießen, obgleich sie nichts Negatives mehr erlebten. Daisy kreuzte ihren Weg nicht mehr. Sie hatte in Zeitungen über den Empfang zu Ehren von Aldamares Tochter gelesen und die Fotos von Antonia und Niklas gesehen. Sie hatte ihren Groll heruntergewürgt, um nicht bei Madame José anzuecken, die voller Freude war, daß Antonia ein Kleid von ihr trug und sie sie ihre Kundin nennen konnte.

      Daisy dachte nicht liebevoll und wehmütig an Olivia. Sie hatte wirklich allen Grund, ihr keinen Platz in ihrer Erinnerung einzuräumen, aber sie hätte sich bei Niklas gar zu gern eingeschmeichelt, auch schon vor Jahren.

      *

      Antonia und Niklas besuchten das Grab von Antonio Aldamare. Es war wunderschön gestaltet mit niederen Grünpflanzen und herrlichen Blumen. Der schlichte, aber auserwählt schöne Grabstein trug nur seinen Namen.

      Antonia ordnete einen Strauß weißer und roter Rosen in eine Keramikvase. Tränen rannen über ihre Wangen und blieben wie Perlen auf den Rosenblättern liegen.

      »Ich hätte so gern mit dir gesprochen, Vater«, flüsterte sie, »ich hätte dich sehr lieb gehabt. Jetzt bleibt mir nur der Dank, daß du an mich gedacht hast.«

      Niklas nahm sie in die Arme und küßte ihr die Tränen von den Wangen. Er spürte, wie aufgewühlt sie war. Er empfand die tiefe Tragik des Schicksals dieses Mannes, den ein starker Wille zum Erfolg getrieben hatte und dem ein persönliches Glück versagt geblieben war.

      Wie gut wäre es auch für Antonia gewesen, mit ihm noch sprechen zu können. So würde wohl nie ganz aus ihren Gedanken verschwinden, was ungesagt blieb. Konnte die Zeit wirklich alle Wunden heilen?

      Sie fuhren weiter hinaus aus der Stadt, um die viel Industrie angesiedelt war.

      »Man müßte es gewohnt sein, hier zu leben«, sagte Antonia nachdenklich, »aber ob man sich auch daran gewöhnen kann?«

      Niklas hatte sich dazu durchgerungen, ihr eine ganz freie Entscheidung zu lassen. So richtig seßhaft war er ja nirgends gewesen, ausgenommen die Monate, die er jährlich in Praia da Rocha verbrachte.

      Weiter draußen fuhren sie durch Wälder, waren sie von unberührter Natur umgeben.

      »Doch, man könnte sich eingewöhnen«, sagte Antonia nachdenklich. »Wir könnten uns ein schönes Haus bauen, Niklas, aber eigentlich sollten wir uns auch Vaters Haus ansehen.«

      Er war bereit, ihr nachzugeben. Sie mußte ja vieles verarbeiten, das konnte nicht in ein paar Tagen geschehen.

      »Amerika ist auch nah«, sagte er beiläufig. »Mit dem Flugzeug ist es nur ein Katzensprung bis New York.«

      »Ich habe nie gedacht, daß ich einmal so weit in der Welt herumkommen würde. Bis vor zwei Jahren war die Umgebung von München mein einziges Ausflugsziel, und ich fühlte mich wohl. Es ist doch schön dort. Ich habe ein paar Reisen gemacht nach Griechenland und Italien und bin gern wieder heimgekehrt. Dann kam mir die Idee, nach Portugal zu fahren, obgleich ich keine Ahnung hatte, was mich da erwartet.« Ihr Blick schweifte in die Ferne, als suche sie etwas.

      »Und da kommt ein Mann daher, der dich gleich mit Haut und Haaren will«, sagte Niklas, »und wohin wir auch immer gehen werden, und was das Schicksal auch mit uns vorhat, ich werde dich immer festhalten, Antonia.«

      »Und ich werde dir bestimmt nicht weglaufen, mein liebster Niklas.«

      *

      Am nächsten Tag ließen sie sich von dem Chauffeur, der den Boß gefahren hatte, zu dessen Haus bringen.

      Chuck war ein Mischling, etwa vierzig Jahre, immer gutgelaunt. Er strahlte vor Freude, daß er Antonia und Niklas fahren durfte.

      Niemals wieder würde er so einen Boß bekommen, wie Aldamare es gewesen sei, sagte er voller Ehrfurcht.

      Dieses Auto hätte er ihm geschenkt, und er werde es hegen und pflegen und niemals einem anderen überlassen.

      Als Antonia sagte, daß sie hoffe, er würde sie noch oft darin fahren, strahlte er gleich noch mehr.

      Den Garten würde er auch pflegen und natürlich auch das Grab, erklärte er beiläufig.

      Der Garten, der das Haus umgab, war ein kleines Paradies, und Chuck bekam dafür sehr anerkennende Worte.

      Das Haus war nicht groß, aber sehr stilvoll, trotzdem eher bescheiden eingerichtet mit handwerklichen Möbeln. Aber ein paar schöne Bilder und wertvolle Teppiche schmückten Boden und Wände.

      Eine sehr schöne Vitrine entdeckte Antonia, und in ihr ein Foto ihrer Mutter, das sie nie gesehen hatte. Eine glücklich lachende junge Frau war sie da, sehr hübsch in einem hellen Sommerkleid.

      »Meine Mutter«, sagte sie zu Niklas. Ihre Stimme bebte dabei.

      »Man sieht die Ähnlichkeit. Er hat sie nicht vergessen.«

      »Wie oft mag er sich gefragt haben, warum seine Briefe nicht beantwortet wurden«, sagte Antonia leise. »Wie soll ich das jemals verstehen, Niklas?«

      »Nichts ist schwieriger als zu ergründen, was in einem Menschen vor sich geht.«

      Sie gingen langsam, in Gedanken versunken, durch die übrigen Räume. Das Schlafzimmer, fast kärglich möbliert, das Bett, ein Bord, auf dem Bücher standen und