Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman


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wirkte das bodenlange Abendkleid mit dem tiefen Rückenausschnitt besonders gut.

      Die jäh erwachte Freude am Leben hatte aus der schon ein wenig verblühenden Anita eine schöne, begehrenswerte Frau gemacht. Man sah ihr ihre dreißig Jahre nicht mehr an. Sie selbst fühlte sich so jung und beschwingt wie nie zuvor.

      Die beiden Herren begrüßten Anita. Der Holländer, der Junggeselle war und allein reiste, bat darum, sich dem Paar anschließen zu dürfen.

      Anita zögerte ein wenig, denn sie wäre mit Frederik lieber allein geblieben. Andererseits schmeichelte es ihr, dass sie nun zwei Begleiter hatte.

      »Wir freuen uns«, sagte sie freundlich. »Es soll ja heute so eine Art Gala-Abend werden, weil die amerikanische Touristengruppe morgen früh abfliegt.«

      Es war so gut wie jeden Abend etwas Besonderes los. Die Tage verbrachte man am Strand bei den verschiedensten Sportarten und Vergnügungen, oder man faulenzte unter großen Sonnenschutzdächern der nächsten amüsanten Abwechslung entgegen.

      An diesem Tag wurde Anita noch einmal bewusst, was sie in den letzten sechs Jahren versäumt und unbewusst entbehrt hatte. Dunkelhäutige Kellner servierten ein erstklassiges Diner. Eine Kapelle spielte gedämpft im Hintergrund. In den Gläsern ließ teurer Wein aus Europa tausend Lichter funkeln.

      Später wechselte die Band. Es wurde nun getanzt. Anita hatte die neuen schwungvollen Rhythmen sehr schnell erlernt. Sie fühlte sich wunschlos glücklich, und ihre Augen leuchteten.

      Als der Juwelier aus Holland sich verabschiedete, war es ein Uhr nachts.

      »Ein sympathischer Herr«, meinte Frederik und streifte Anitas Wange leicht mit seinen Lippen. »Er hat mir geschäftliche Zusammenarbeit angeboten. Aber ich muss mich erst erkundigen, ob er auch seriös ist. Zu den ganz Großen in seinem Geschäft gehört er nicht. Sonst müsste ich seinen Namen kennen.«

      »Aber du gehörst zu den Großen, nicht wahr, Frederik?«, fragte Anita zärtlich.

      Er hob die Schultern. »Weiß ich nicht so genau. Jeder will bekanntlich der Größte sein. Ich mache mir da­r­über keine Gedanken, solange ich genug verdiene.«

      Frederik zog Anita an sich und küsste sie. Sie hatten sich bequeme Sessel an die Brüstung der Terrasse tragen lassen und schauten über das Meer, das um diese Stunde fast still war. Nur ab und zu klatschte leise eine Welle.

      Hinter ihnen nahm der Festabend geräuschvoll seinen Fortgang. Inzwischen hatten die meisten Leute etwas zu viel getrunken. Anita war froh, dass Frederik nur wenig Alkohol zu sich nahm. Er hatte gesagt, er verabscheue es, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren.

      »Es ist wunderbar hier«, flüsterte Anita verträumt.

      »Wenn man glücklich ist, findet man es überall herrlich, Anita«, gab er zurück.

      »Bist du wirklich glücklich, Frederik?«, fragte sie scheu. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mich liebst. Es waren weit attraktivere Frauen als ich auf dem Schiff. Und hier wimmelt es nur so von rassigen Erscheinungen. Ich komme mir daneben wie ein Mauerblümchen vor.«

      Frederik strich ihr über das Haar. »Jetzt müsste ich böse mit dir werden, Anita. Warum glaubst du mir nicht? Ich bin noch nie einer Frau begegnet, die so war wie du. Du musst mir vertrauen, denn wir wollen eine gemeinsame Zukunft aufbauen – du und ich. Ich möchte dich verwöhnen und dir die ganze Welt zeigen. Du wirst herrliche Schmuckstücke tragen, und viele andere Frauen werden dich beneiden.«

      Sie legte den Kopf an seine Schulter. »Verzeih mir, Frederik. Seit dem Tod meiner Schwester Carola habe ich recht einsam und zurückgezogen in unserem großen Haus gelebt. Erst in diesem Jahr wurde mir bewusst, dass ich etwas versäumt habe. Deshalb buchte ich auch diese Reise. Ich wollte endlich heraus aus meinem goldenen Gefängnis.«

      »Glücklicherweise war es noch nicht zu spät«, erwiderte Frederik lächelnd. »Allerdings werde ich meinen süßen Schmetterling einfangen und nicht mehr fortfliegen lassen. Das musst du dir schon gefallen lassen.«

      »Viel zu gern, Frederik. Ich könnte mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen.«

      Einer der farbigen Diener kam heran und überreichte Anita auf einem Silberteller ein Überseetelegramm. »Es ist eben angekommen«, sagte er.

      »Danke.« Anita nahm das Telegramm an sich und gab dem Boy ein gutes Trinkgeld.

      »Etwas Wichtiges?«, fragte Frederik.

      »Nein, sicher nicht«, versetzte Anita betont gleichmütig. »Ich hatte um eine Nachricht gebeten. Es hat Zeit.« Sie steckte den ungeöffneten Umschlag in ihre kleine Abendtasche.

      »Du hast dem Boy ein viel zu großes Trinkgeld gegeben«, warf ihr Frederik vor. »Daraus schließe ich, dass es eine interessante Nachricht sein muss.«

      Anita bot ihm die Lippen. »Du bist sehr neugierig. Es ist eine persönliche Angelegenheit ohne besondere Bedeutung.«

      »Ich möchte alles wissen, was in deinem Leben eine Rolle spielt. Das ist keine Neugier, sondern Liebe.«

      Anita schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn. Obwohl sie bereit war, Frederik Mintow jeden Wunsch zu erfüllen, wollte sie ihm doch keinen Blick in das Telegramm gestatten. Denn er durfte nichts von Sibylle erfahren!

      Frederik fragte im Laufe der nächsten halben Stunde noch mehrmals nach dem Telegramm. Endlich gab er es auf. Anita teilte ihm mit, dass sie nun müde sei und schlafen gehen wolle.

      Er begleitete sie wie allnächtlich bis zu ihrer Zimmertür. Dort spielte sich stets die gleiche, ein wenig lächerliche Szene ab, weil Frederik Anita immer wieder mit stürmischen Zärtlichkeiten dazu zu bewegen versuchte, ihn einzulassen, während Anita standhaft blieb, so schwer ihr das auch fallen mochte. Sie fühlte sich zu Frederik mit jeder Faser hingezogen und sehnte sich nach seiner Liebe. Doch ihre Erziehung und ihre eisernen Grundsätze trugen stets nach einigen Sekunden des Schwankens den Sieg davon.

      Auch diesmal war es nicht anders. Anita verschloss heftig atmend ihre Tür von innen. Ihr Haar war wirr, der Lippenstift um ihren Mund verwischt. Sie ließ sich in einen bequemen Sessel fallen und legte den Kopf zurück, während sich draußen Frederiks Schritte entfernten. Er tat ihr leid. Sie bedauerte jetzt, dass sie allein war. Schon wollte sie aufspringen und ihn zurückrufen, da fiel ihr Blick auf ihre Handtasche.

      Das Telegramm! Nein, sie durfte ihren Grundsätzen nicht untreu werden. Niemals würde sie sich so gehenlassen wie seinerzeit Carola.

      Anita griff nach dem Täschchen und öffnete das Telegramm.

      SIBYLLE IN SOPHIENLUST ANGENOMMEN STOP ABFAHRT MITTWOCH STOP GRUSS BARBARA

      Anita stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie las die wenigen Worte noch einmal und zerriss das Blatt schließlich in winzige Stücke, die sie in den Papierkorb warf.

      Es wird Sibylle nichts abgehen, beschwichtigte sie in Gedanken die Stimme ihres Gewissens. Sophienlust hat den besten Ruf. Mehr kann ein Kind ohne Vater kaum verlangen.

      Anita legte das schöne Kleid ab, tat ihren Schmuck in die kleine Lederschatulle und ging ins Bad. Wenig später streckte sie sich in dem angenehm klimatisierten Raum im Bett aus. Eine schöne junge Frau, von Reichtum und Luxus umgeben, die von einer erfüllten, glücklichen Zukunft an der Seite des Mannes träumte, dem sie ihr Herz geschenkt hatte.

      *

      Als der Zug auf dem Bahnhof hielt, stiegen Barbara und Sibylle aus. Ein Mitreisender reichte ihnen das Gepäck zu. Nun schauten sie sich suchend auf dem Bahnsteig um.

      Ein lang aufgeschossener Junge mit dunklen Locken kam auf sie zu. »Wollen Sie nach Sophienlust?«, fragte er höflich.

      »Ja. Kommst du von dort?«, erkundigte sich Barbara.

      »Der Wagen wartet vor dem Bahnhof. Ich bin Nick von Wellentin-Schoen­ecker. Meine Mutti hat mir erlaubt, Sie hier abzuholen.«

      Barbara reichte ihm die Hand. »Ich heiße Barbara Küster. Dies hier ist Sibylle Germersheim.«