Trotzdem wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, dass sie deine Tochter sein könnte.«
»Mich hat das Kind sofort stark angezogen«, entgegnete Thilo. »Ich hätte so etwas nicht für möglich gehalten. Jetzt komme ich mir ziemlich erbärmlich vor. Nicht einmal den Namen hatte ich mir gemerkt. Anita hat recht, du bist viel zu schade für mich, Bel.«
»Gegen die Liebe ist kein Kraut gewachsen, Thilo. Meine Eltern mögen dich und sind damit einverstanden, dass wir uns verloben. Du brauchst nur mit meinem Vater ein paar Worte zu reden. Natürlich hätten sie lieber einen Landwirt als Schwiegersohn gehabt, weil ich das Gut erbe und selbst nichts davon verstehe. Aber sie wollen, dass ich glücklich werde.«
»Halt an, Bel. Ich muss mit dir reden«, bat Thilo mit rauer Stimme. »Da vorn kannst du gut an den Rand fahren.«
Bel fragte nicht, sondern brachte den Wagen zum Stehen und stellte den Motor ab. »Was ist?«
Er legte die Hände auf ihre Schultern und zwang sie, ihn anzusehen. »Ich kann dich nicht heiraten, Bel. Anita beurteilt mich schon richtig. Du hast mir dein Vertrauen geschenkt, aber ich habe deine Liebe nicht ernstgenommen.«
»Das ist nicht wahr. Ich glaube dir nicht.«
»Geh zu Valerie und frage sie. Wir haben einander geküsst, sobald du uns den Rücken zudrehtest. Valerie ist ein leichtfertiges kleines Ding. Sie spielt gern ein wenig mit der Liebe, genau wie ich.«
»Warum lügst du mich an? Du würdest so etwas niemals tun.«
»Bel, es ist die Wahrheit. Ich war in Valeries Zimmer, als du mich gestern Nachmittag überall suchtest. Wir haben oben hinter der Gardine gestanden und darauf gewartet, dass ich mich unbemerkt hinausstehlen kann. Später tat ich so, als wäre ich eben von einem Spaziergang zurückgekommen. Von Valeries Fenster aus habe ich gesehen, dass dir dein goldenes Armband ins Gras fiel, während du zum Tennisplatz liefst, um nach mir Ausschau zu halten. Deshalb konnte ich es später so schnell finden. Glaubst du mir nun?«
Ihr schönes Gesicht war erstarrt. »Ich habe mich gewundert, dass du es gefunden hast«, sagte sie mit erschreckender Ruhe. »Thilo, bedeutet dir die Liebe so wenig?«
»Ich wollte dich heiraten, Bel. Du bist anders als die vielen Frauen, die ich gekannt und geliebt habe. Aber jetzt darf ich es nicht mehr tun. Verzeih mir, wenn du kannst.«
»Du musst meinen Eltern eine Erklärung geben. Etwas wird dir hoffentlich einfallen. Nein, es ist besser, wenn ich ihnen mitteile, da ich dich fortschicke. Dass du nicht mehr auf Wetterhof bleiben kannst, siehst du wohl ein. Frage deinen Arzt in Maibach, ob er dir ein ruhiges Sanatorium empfehlen kann. Du musst an deine Gesundheit denken. Aber ich will keinen Tag länger mit dir unter demselben Dach leben.«
»Ich habe dir wehgetan.«
Sie hob den Kopf ein wenig höher. »Nein, Thilo.« Ihr Stolz gab ihr die Kraft, die Liebe zu ihm zu überwinden.
Als sie auf den Wetterhof zurückkehrten, war man dort schon schlafen gegangen. In der Nacht klopfte Valerie an Thilos Tür. Doch er gab keine Antwort und öffnete nicht.
*
Anita saß mit Denise von Schoenecker im Biedermeierzimmer. Sie wirkte niedergeschlagen und nervös.
»Was soll ich tun, Frau von Schoenecker?«, fragte sie leise. »Sibylle hat im Laufe der Zeit regelrechte Hassgefühle gegenüber Frederik Mintow entwickelt. Dagegen hängt sie mit leidenschaftlicher Zuneigung an Thilo Bach.«
Denise nickte. »Ich weiß es. Für Herrn Bach ist die Begegnung mit seiner Tochter zum einschneidenden Erlebnis geworden. Er sprach sich neulich mir gegenüber aus. Dass er sich von Frau von Wettering getrennt hat und den Rest seiner Ferien in Bachenau verbringt, ist Ihnen sicher bekannt. Er ist seitdem häufig bei uns zu Gast und musiziert mit unseren Kindern.«
»Er hat mich letzte Woche besucht. Zum ersten Mal in seinem Leben nimmt er neben seinem Klavierspiel etwas ernst. Sibylles Schicksal liegt ihm am Herzen. Das meint er aufrichtig, wenn ich auch zunächst daran zweifeln wollte. Wir haben in Carolas Zimmer gesessen und von ihr geredet. Ich glaubte, dass er sich kaum noch an sie erinnern könne. Doch er hatte nichts vergessen. Ich gab ihm Carolas Tagebuch. Es ist seltsam genug, dass ich ihn nicht mehr verurteilen kann. Er hat sich gewandelt. Trotzdem möchte ich Sibylle mitnehmen. Ich habe sie zu lieb und würde es nicht ertragen, sie zurückzulassen.« Anita wischte sich hastig eine Träne von der Wange.
»Ist die Übersiedlung in ein so fernes Land unvermeidlich?«, warf Denise ein.
Anita schilderte ihr die Pläne ihres Verlobten.
»Das klingt sehr märchenhaft«, stellte Denise ruhig fest. »Ohne Herrn Mintow nahetreten zu wollen, möchte ich Ihnen raten, diese Angelegenheit zu überprüfen. Sie wollen ihr gesamtes Vermögen investieren, dazu Sibylles Erbteil. Haben Sie einen vertrauenswürdigen Rechtsberater?«
»Frederik hat es nicht nötig, sich an mir zu bereichern«, entgegnete Anita erregt. »Er ist steinreich. Sehen Sie, diesen Ring schenkte er mir zur Verlobung. Mir wurde erst neulich von einem Fachmann bestätigt, dass er kaum zu bezahlen ist.«
Denise betrachtete nachdenklich den herrlichen Rubin im Kranz der blitzenden Brillanten.
»Alle Welt stellt sich gegen Frederik«, fuhr Anita ein wenig heftig fort. »Sogar Thilo Bach hat behauptet, es sei unklug, unsere Villa zu verkaufen. Er machte mir schließlich das Angebot, den Besitz selbst zu erwerben. Für Sibylle, wie er sagte.«
»Es liegt mir fern, Sie zu kränken, liebe Frau Germersheim. Dennoch möchte ich Ihnen raten, Ihr Geld nicht in eine Edelsteinmine zu stecken, die Sie nie gesehen haben. Sie haben keinerlei Sicherheit.«
»Ich brauche keine. Wem in der Welt sollte man vertrauen, wenn nicht dem Mann, den man heiraten will?«
Denise erkannte, dass Anita sich nicht raten lassen würde. »Kommen wir auf Sibylle zurück«, lenkte sie ab. »Wie wäre es, wenn Sie uns das Kind zunächst noch lassen würden? Es wird nicht ohne Probleme sein, sich in der neuen Heimat einzurichten und dort Fuß zu fassen.«
»Das würde die Bindung zwischen Vater und Tochter verstärken. Ich habe Angst, dass ich Sibylles Liebe verlieren könnte. Jahrelang habe ich geglaubt, dass dieses Kind mir im Weg sei. Heute weiß ich, dass Sibylle zu mir gehört.«
In Denises Gesicht erwachte ein gütiges Lächeln. »Ich bin zuversichtlich, dass Sie den richtigen Weg finden werden, weil Sie Sibylles Glück wollen. Unser Herz weist uns meist die rechte Richtung, auch wenn unser Verstand noch grübelt und zweifelt. Vertrauen Sie Ihrem Herzen!«
»Wenn Billchen nicht zur Vernunft kommt, stehe ich zwischen ihr und meinem Verlobten«, wandte Anita zaghaft ein. »Mein Herz gehört beiden.«
»Manchmal muss man ein wenig Geduld und Vertrauen in das Schicksal aufbringen. Noch ist Zeit.«
»Nicht mehr lange, Frau von Schoenecker.«
Es klopfte an der Tür, und Sibylle kam herein. Sie begrüßte ihre Tante mit Jubel und Freude.
»Bist du allein da?«, fragte sie und schmiegte sich in Anitas Arme. »Ohne ihn?«
»Ja, Kleines.«
Sibylle verzog den Mund. »Warum heiratest du ihn, Tante Anita? Wir brauchen ihn nicht.«
Denise tat, als habe sie nichts gehört. Sie schlug rasch eine Fahrt nach Bachenau zu Andrea vor. »Im Tierheim ist immer etwas zu sehen«, meinte sie. »Ich muss im Ort einen Besuch machen. Wenn Sie einverstanden sind, nehmen wir meinen Wagen. Am besten wir brechen unmittelbar nach dem Mittagessen auf.«
Anita hatte nichts dagegen einzuwenden. Sie mochte die blutjunge Andrea von Lehn gut leiden. Auch mit Dr. Hans-Joachim von Lehn unterhielt sie sich gern. Vor allem aber freute sie sich darauf, das kleine Peterle zu bewundern. Immer wenn sie dieses winzige Menschenkind anschaute, träumte sie davon, einmal ein Baby im Arm zu halten, das ihr gehören würde.
Das Essen verlief in gewohnter Fröhlichkeit. Anita vergaß ihre sorgenvollen Gedanken und langte tüchtig zu. Dass Denise sie aufmerksam