Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman


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reichte sie ihnen die Hand. Zuerst Bel, dann ihm. »Ja, Billchen hat mir von Ihnen erzählt, Herr Bach. Finden Sie ihr Klavierspiel gut?« Anitas Stimme war ohne jeden Klang.

      »Ausgezeichnet. Es ist erstaunlich, was sie leistet und wie schnell sie Fortschritte macht.«

      Sibylle blickte unsicher zwischen den drei Erwachsenen hin und her. Soll ich noch etwas spielen?«, fragte sie.

      »Ja, bitte«, flüsterte Anita. »Ich höre dir so gern zu, mein liebes Herz.«

      Billchen löste sich von Thilo Bach und lief zu ihrer Tante. Sie umarmte sie zärtlich. Dann erst kehrte sie zum Flügel zurück.

      Bel setzte sich, Thilo blieb stehen. Er lauschte dem Spiel des hochbegabten Kindes und fühlte dabei die Blicke der eleganten Dame am Fenster auf sich gerichtet. Eine seltsame Unruhe bemächtigte sich seiner. Was wollte diese fremde Frau von ihm? Warum sah sie ihn so unverwandt an?

      »Hast du schon mal die neuen Noten versucht, die ich dir geschickt habe?«, fragte Anita, sobald die Melodie verklungen war.

      Sibylle nickte. »Das Heft liegt in meinem Zimmer. Soll ich es holen? Ich weiß die Stücke noch nicht auswendig.«

      »Wenn du willst.«

      Sibylle lief hinaus.

      Anita stand auf. Die Spannung war nun so stark, dass man sie beinahe mit Händen greifen konnte. Auch Bel spürte es. Sie hielt es nicht mehr im Sessel aus und gesellte sich wie schutzsuchend an Thilos Seite. Er legte den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. Es war eine Geste, die die Zusammengehörigkeit der beiden bezeugte.

      »Trennen Sie sich von ihm, ehe es zu spät ist, Frau von Wettering«, stieß Anita unbeherrscht hervor. »Er wird Sie vergessen, wie er viele andere vor Ihnen vergessen hat. So – genauso – stand er einst mit meiner Schwester Carola da. Sie hat ihn genauso geliebt, wie Sie es heute tun. Trotzdem ging er fort. Den Namen Carola Germersheim haben Sie wohl längst nicht mehr im Gedächtnis, Herr Bach?« Jetzt war Anitas Stimme schneidend, obwohl sie sehr leise sprach.

      Thilo senkte die Lider. »Ich erinnere mich«, gab er zu. »Es ist lange her. Carola spielte wunderbar Klavier. Sie sind Anita, nicht wahr? Mir kam Billchens Name von Anfang an vertraut vor …«

      »… aber Sie haben sich keine Gedanken darüber gemacht, nicht wahr? Das war nie Ihre Art.«

      »Was ist aus Carola geworden?« Die Frage war kaum zu verstehen.

      »Sie ist tot. Sibylle ist ihre Tochter. Wussten Sie, dass Carola ein Kind erwartete, Herr Bach?«

      Er verstand, was sie meinte. »Nein, Anita. Ich schwöre Ihnen, ich wusste es nicht. Ist das die Wahrheit? Ist Sibylle meine Tochter?« Es war ihm, als schwanke der blanke Parkettboden unter seinen Füßen.

      In diesem Augenblick kam Sibylle zurück. Ahnungslos und voller Eifer stellte sie die Noten auf und begann wieder zu spielen.

      Bel umklammerte Thilos Hand. »Ich liebe dich, Thilo«, raunte sie ihm ins Ohr. »Ich gehöre zu dir.«

      Er gab den Druck ihrer Finger nicht zurück. Sie war nicht einmal sicher, ob er ihre geflüsterten Worte verstanden hatte. Er blickte auf das Kind, dann wieder auf Anita. Es war, als würde ein Kampf ohne Worte und Waffen geführt, während unter den kleinen Händen eine zarte Melodie ertönte.

      Es wirkte wie eine Erlösung, als Frau Rennert das Musikzimmer betrat. Nick hatte sie informiert, dass neue Besucher angekommen waren. Der Bann löste sich. Doch das Gespräch schleppte sich nur mühsam hin. Frau Rennert gab sich alle Mühe, eine unbeschwerte Stimmung herbeizuzaubern, aber sie hatte keinen Erfolg damit.

      Anita Germersheim war von Denise von Schoenecker eingeladen worden, ein paar Tage auf Sophienlust zu bleiben. Als Thilo Bach das erfuhr, zeichnete sich eine gewisse Erleichterung auf seinem Gesicht ab. Die Aufforderung von Frau Rennert, am gemeinsamen Abendessen der Kinder teilzunehmen, akzeptierte er, obgleich er damit weder Bel noch Anita eine Freude machte, was ihm kaum entgehen konnte.

      Nach dem Tee spielten sie zu viert ein Gesellschaftsspiel, weil Sibylle sich das wünschte. Die drei Erwachsenen mogelten gewaltig und ließen Billchen ständig gewinnen. Niemand lächelte darüber. Später unternahm die kleine Gesellschaft einen Spaziergang durch den Park, wobei Sibylle die Unterhaltung bestreiten musste.

      Der Gong, der zum Abendessen rief, bedeutete wenigstens das Ende dieser Quälerei. Doch erst als Sibyllchen endlich im Bett lag und das Versprechen erhalten hatte, dass Thilo wiederkommen würde, konnte dieser Anita um eine Aussprache bitten.

      Frau Rennert sah den Künstler mit seiner Freundin und Anita Germersheim in den Park gehen. Sie wünschte insgeheim, dass Denise jetzt da sein möge. Doch Denise und ihr Mann waren weggefahren und wurden erst spät in der Nacht zurückerwartet.

      »Ich wollte es für mich behalten«, sagte Anita müde. »Doch als ich sah, dass Sie noch immer mit der Liebe nur spielen, da konnte ich nicht schweigen. Er wird Sie unglücklich machen, liebe Frau von Wettering. Hören Sie auf mich.«

      Bel schüttelte den Kopf. Thilo wollte etwas sagen. Aber er überlegte es sich anders und schwieg.

      »Sibylle hat von beiden Eltern die musikalische Begabung geerbt«, fuhr Anita fort. »Ich werde dafür sorgen, dass sie eine erstklassige Ausbildung erhält.«

      »Ich habe wohl nicht das Recht, eine Bitte zu äußern?«, kam es nun zögernd über Thilos Lippen. »Sibylle ist meine Tochter. Ich möchte für sie sorgen. Dieses Kind bedeutet mir unendlich viel. Ist es zu viel verlangt, wenn ich als Vater um sie bitte?«

      »Sibylle ist mir von Carola anvertraut worden, als sie starb. Ich bin ihr Vormund und für des Kindes Wohl verantwortlich. Meine Antwort ist nein. Sie würden Sibylle auch nur wie ein hübsches Spielzeug behandeln, das Sie beiseite legen, sobald es Ihnen langweilig wird. Mein Verlobter und ich sind entschlossen, Carolas Tochter zu adoptieren. Sibylle wird einen Vater haben, der zuverlässig ist und es gut mit ihr meint.«

      »Warum urteilen Sie so hart, Anita? Mit Sibylle ändert sich mein Leben von Grund auf. Ich bin ihr Vater. Sie hat keinen näheren Verwandten als mich. Unsere seelische Bindung ist so stark, dass das kleine Ding im Konzert zu mir kam. Sie können uns nicht mehr trennen, Anita. Das wäre grausam und ungerecht gegenüber Sibylle. Wenn Sie Carolas Kind wirklich lieben, dürfen Sie nicht nein sagen.«

      Anita atmete heftig. »Ich liebe Sibylle, und ich werde darüber wachen, dass sie glücklich wird. Solange sie hier in Sophienlust ist, kann ich nichts dagegen tun, dass Sie das Kind besuchen. Doch wenn wir in Ceylon sind, wird Sibylle bald nicht mehr an Sie denken.«

      »So weit gehen Sie fort?«

      »Ja, und ich bin froh darüber. Ich werde alle Brücken hinter mir abbrechen und das Haus verkaufen.«

      »Das schöne, alte Patrizierhaus am Stadtrand? Schade, dass Sie sich von diesem Familiensitz trennen wollen.«

      »Was geht Sie das an?«, fuhr Anita zornig auf. »Ich sage es Ihnen nur, damit Sie erkennen, dass alles längst beschlossen und nicht mehr zu ändern ist.«

      Bel, die bis dahin still neben den beiden gegangen war, legte die Hand auf Thilos Arm. »Wir wollen heimfahren, Thilo.«

      »Ja, fahren wir, Bel. Aber ich nehme Ihre Antwort nicht als endgültig hin, Anita.«

      »Ich werde morgen oder in einer Woche nichts anderes sagen.«

      Er blieb stehen und griff nach Anitas Hand. Zuerst wollte sie sie zurückziehen. Dann aber ließ sie sie ihm. Sie duldete sogar, dass er seine Lippen darauf legte.

      »Auf Wiedersehen, Anita.«

      Ihr Mund blieb stumm. Schweigend drückte sie Bels Rechte. Gegen den Stamm einer mächtigen Eiche gelehnt, blieb sie im dunklen Park zurück, während Thilo und Bel zum Haus zurückkehrten, sich bei Frau Rennert bedankten und die Heimfahrt antraten.

      Niemand sah Anitas heiße Tränen, niemand hörte ihr bitteres Schluchzen.

      *

      »Das