Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman


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Dass du es verkaufen wolltest, bestürzte mich. Dadurch fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die Liebe ist anders, ganz anders, als ich früher glaubte.«

      »Liebe«, wiederholte Anita innig, »ja, Thilo, Liebe.«

      *

      Nach Weihnachten gab Thilo Bach sein erstes Konzert. Der Arzt war mit seinem Gesundheitszustand zufrieden und hatte endlich grünes Licht gegeben. Im festlich erleuchteten Saal sah man die schöne junge Frau des berühmten Pianisten und seine Tochter, von der man sich erzählte, dass sie das Talent ihres Vaters geerbt habe.

      Dieses erste Auftreten des Künstlers nach langer Pause wurde zu einem triumphalen Erfolg. Der tosende Beifall wollte kein Ende nehmen. Nicht weniger als vier Zugaben erzwang sich das begeisterte Publikum, während die Kritiker bereits ihre Berichte an die Zeitungen durchgaben und darin behaupteten, dass Thilo Bach sich selbst übertroffen habe. Er müsse nun zu den ganz Großen gerechnet werden, denn zu seinem virtuosen Können sei eine tiefe Verinnerlichung und seelische Reife getreten, die seinem Spiel überirdischen Glanz verleihe.

      Sibylle griff nach Anitas Hand, als ihr Vater sich noch einmal an den Flügel setzte. Er nickte seiner kleinen Tochter zu und spielte jenes Mozart-Menuett, das Sibyllchen ihm bei ihrer ersten Begegnung vorgetragen hatte.

      Erst bei dem festlichen Empfang, mit dem die Rückkehr Thilo Bachs aufs Konzertpodium gefeiert wurde, bemerkte dieser, dass Denise und Alexander von Schoenecker anwesend waren. Sibylle ließ sich von Denise umarmen und fragte, ob sie in den Osterferien für ein paar Tage nach Sophienlust kommen dürfe.

      »Du bleibst ein Sophienluster Kind, Billchen. Wir freuen uns, wenn du uns besuchst.«

      Thilo Bach verbeugte sich tief vor Denise. »Wie lieb von Ihnen, dass Sie diese weite Fahrt nicht gescheut haben. Ich danke Ihnen.«

      »Das war doch Muttis Überraschung für dich, Vati«, zwitscherte Sibylle fröhlich. »Es war gar nicht so leicht, es dir zu verheimlichen.«

      Anita nickte. »Barbara hat ein großes Diner vorbereitet. Das Gastzimmer ist bereit. Trotzdem hast du glücklicherweise nichts von unserer kleinen Verschwörung gemerkt.«

      Es wurde spät, bis die Wagen zur Villa am Stadtrand fahren konnten, in der inzwischen ungetrübtes Glück Einzug gehalten hatte. Sibylle war so müde geworden, dass ihr Vater sie ins Bett tragen musste.

      Dann endlich konnte Barbara das Essen servieren. Ihr gütiges Gesicht sah um Jahre verjüngt aus.

      »Was mag aus Bel von Wettering geworden sein?«, fragte Thilo Denise, nachdem man ausführlich über Sophienlust gesprochen hatte.

      »Sie ging im Herbst auf eine längere Reise. Seit einiger Zeit hat sie ihr Musikstudium wieder aufgenommen. Kurz vor Weihnachten traf ich ihren Vater, der mir verriet, dass die schöne Bel im Sommer heiraten werde. Herr von Wettering scheint mit seinem Schwiegersohn durchaus einverstanden zu sein. Er hat Landwirtschaft studiert und wird den Wetterhof später übernehmen. Mit Bel verbindet den jungen Mann darüber hinaus die Liebe zur Musik. Er spielt ein Instrument, doch ich habe vergessen, welches.«

      Thilo tauschte einen Blick innigen Einverständnisses mit Anita. »Ich freue mich, das zu hören«, sagte er warm.

      Alexander von Schoenecker hob sein Glas.

      »Lassen wir die Vergangenheit ruhen, Freunde. Meine Frau und ich danken für die Einladung. Mögen Glück und Erfolg Ihrem Hause treu bleiben.«

      »Es war ein langer Weg«, versetzte Thilo gedankenvoll, nachdem sie getrunken hatten. »Sophienlust war ein Meilenstein. Dort habe ich gelernt, dass die Liebe unser Leben bestimmt.«

      Anita neigte den Kopf. »In Sophienlust haben wir Sibylle zu lieben begonnen. Auch unsere Liebe nahm dort ihren Anfang.«

      »Wenn Frau Andrea an jenem Abend nicht bei Peterle geblieben wäre, hätte ich meine kleine Tochter möglicherweise niemals getroffen«, fügte Thilo hinzu.

      Anita schwieg nun. In ihren Augen leuchtete ein sanftes Licht. Sie dachte an das kleine Peterle und an ihre eigene Sehnsucht nach einem Kind. Sie wusste, dass dieser Wunsch sich in einigen Monaten erfüllen würde.

      Am nächsten Morgen reiste das Ehepaar von Schoenecker wieder ab.

      »Grüßt alle«, rief Sibyllchen. »Nick, Henrik, Pünktchen, Vicky, Angelika, Heidi, Tante Ma, Herrn Rennert, Schwester Regine und Magda. Vergesst auch Justus nicht und Tante Andrea. Ich habe alle lieb, aber meine Mutti und meinen Vati habe ich am liebsten.«

      Der Wagen fuhr ab.

      »Nun hat die kleine Tochter des großen Künstlers doch eine Heimat für ihr Herz gefunden«, sagte Denise leise.

Cover Oliver findet einen Freund fürs Leben

      Es war ein herrlicher Sommertag. Sanftblau wölbte sich der Himmel über dem saftig-grünen Land. Es war ein Tag, an dem Wünsche und Wachträume das Herz mit einer seltsamen Unruhe erfüllten.

      Die schwermütigen Gedanken wichen von Dr. Clemens Wendt, als er die idyllische Landschaft vor sich erblickte. So romantisch hatte er sich die Umgebung des Kinderheims Sophienlust doch nicht vorgestellt. Nun war er ganz sicher, dass sein kleiner Oliver sich dort schnell einleben und auch wohlfühlen würde.

      Erleichtert atmete der Fabrikant auf. Er blickte seinen neben ihm sitzenden dreijährigen Sohn an. Noch wusste dieser nicht, dass er ihn in ein Kinderheim brachte, in dem er für die nächsten Wochen bleiben sollte, so lange, bis er seine ehelichen Probleme bereinigt hatte. Erst dann wollte er das Kind wieder heimholen.

      »Vati, was steht denn dort auf dem Schild?«, fragte der Dreijährige nun wissbegierig.

      »›Wildmoos‹, Oliver. Das ist der Name dieses Dorfes.«

      »Wohin fahren wir denn, Vati?« Die großen blauen Augen des Jungen richteten sich auf Clemens Wendt, der sichtlich mit der Antwort zögerte. Er schwieg auch noch, als sie bereits durch das Dorf fuhren. Doch dann ließ er den Wagen ausrollen.

      Rein zufällig war der Wagen neben einem ähnlichen Wegweiser stehen geblieben, wie er bereits an der Autobahnausfahrt zu sehen gewesen war. Diesen zweiten holzgeschnitzten Wegweiser sah Clemens als einen Wink des Schicksals an. »Schau doch, Oliver, wie hübsch der Wegweiser ist«, meinte er.

      »Ja, Vati! Was ist das für ein Vogel in dem Käfig?« Interessiert richtete sich das Kind auf seinem Sitz auf.

      »In dem Vogelkäfig, vor dem der Junge steht, sitzt ein Papagei. Weißt du auch, was auf dem Wegweiser steht?«

      »Nein, Vati. Aber es ist ein sehr langes Wort.«

      »Es sind zwei Wörter. Kinderheim Sophienlust steht drauf.«

      »Fahren wir zu dem Kinderheim, Vati?« Oliver sah seinen Vater unsicher an.

      »Oliver, nun hör’ mir mal genau zu«, begann Clemens mit einem hilflosen Lächeln. Solange wie möglich hatte er diesen Augenblick hinausgezögert, um seinem Sohn das Herz nicht vorzeitig schwerzumachen.

      »Ja, Vati.« Ernsthaft erwiderte der Kleine den Blick seines Vaters. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war auffallend.

      Clemens dachte an die glückliche Zeit, als Gesa und er über das drollige Gehabe des Kindes oft herzlich gelacht hatten. Doch bei dem Gedanken an seine Frau spürte er wieder einen harten Druck in seiner Brust. Das Schlimme war, dass er sie trotz allem noch liebte und sich ein Leben ohne sie kaum vorstellen konnte. Ja, es schien ihm unvorstellbar, dass er Gesa nicht mehr täglich um sich haben sollte, dass ihr Lachen nicht mehr durch das Haus klingen und er sie auch nie mehr in den Armen halten würde. Aber er musste sich damit abfinden. Er musste es, nach allem, was er über ihre Vergangenheit erfahren hatte.

      »Vati, warum sagst du denn nichts?«

      »Ach ja, Oliver.« Clemens riss sich zusammen. »Also, hör’ mir zu. Ich bringe dich für einige Wochen in das Kinderheim. Dort bist du dann