sofort auf damit!« Elses Stimme war schrill. Sie hielt sich die Ohren zu, um nicht an das erinnert zu werden, was sie so dringend vergessen wollte.
Sie zitterte am ganzen Körper, und Fee ging zu ihr, um sie zu trösten und zu halten. Diese mitfühlende Berührung war mehr, als Else verkraften konnte. Wie ein Sturzbach rannen ihr die Tränen über die Wangen. Sie ließ die Hände sinken und ließ ihrer Trauer freien Lauf.
»Natürlich weiß ich, dass er mich ständig betrogen hat«, gestand sie, unterbrochen von Schluchzern, die ihren ganzen Körper schüttelten. »Aber ich konnte mir das einfach nicht eingestehen. Sonst hätte ich mir die Frage stellen müssen, warum ich nicht gegangen bin damals.« Willig ließ sie sich von Fee die Tränen abtupfen.
»Und? Warum haben Sie es nicht getan?«, stellte die Ärztin behutsam die alles entscheidende Frage.
Ditte hielt die Luft an, und einen Moment lang wirkte Else wie erstarrt.
»Ich … ich hatte Angst … hab mich einfach nicht getraut«, gestand sie endlich so leise, dass ihre Worte kaum zu hören waren. »Ich bin ein Feigling. Bis heute.«
Davon wollte Fee nichts wissen.
»Aber Sie lassen sich fotografieren, posieren für Modemagazine und laufen auf Modeschauen«, ließ sie diese Behauptung nicht gelten. »Dazu gehört jede Menge Mut.«
Else schniefte und schluckte und nickte.
»Deshalb mache ich es ja. Ich habe verstanden, dass ich endlich was tun muss, wenn sich was ändern soll.« Sie hatte ihre Umgebung völlig vergessen. In diesem Augenblick gab es nur Fee und sie, und sie sah die Ärztin aus geröteten Augen an. »Ich will nicht mehr allein sein. Jetzt ist es einfach genug.«
Felicitas lächelte weich und streichelte über die weiche Wange.
»Dieser Entschluss ist das Wichtigste. Daraus entsteht alles andere«, versprach sie fast feierlich. »Wenn Sie nicht in die völlige Isolation abgleiten wollen, müssen Sie sich operieren lassen. Das wissen Sie doch selbst am besten, oder?«
Elses verschwommener Blick wanderte hinüber zu den kläglichen Resten des Blumenstraußes, die am Boden vor sich hin welkten.
»Ich bin einverstanden. Wann soll der Eingriff stattfinden?«, fragte sie leise, sodass sowohl Ditte als auch Fee sich kurz fragten, ob sie sich verhört hatten.
»Ich werde Sie sofort in den OP-Plan eintragen lassen«, versprach Felicitas hocherfreut. Mit so einem schnellen Erfolg hatte sie nicht gerechnet. »In ein paar Minuten bin ich wieder hier.«
»Tun Sie das!« Else nickte und sah der Ärztin dabei zu, wie sie aufstand und das Zimmer verließ.
Inzwischen hatte Ditte genügend Zeit gehabt, sich von ihrer Überraschung zu erholen.
»Von wem sind eigentlich diese wunderschönen Blumen?«, fragte sie hämisch, gewöhnt daran, ihre wahren Gefühle für Else hinter Hohn und Spott zu verbergen.
»Das geht dich gar nichts an«, konterte ihre Nachbarin in altbewährter Manier.
»Eine Männerbekanntschaft also. Lässt du dich deshalb operieren? Weil es dir deine Eitelkeit befiehlt? Steht er nicht auf Klumpfüße?«, frotzelte Ditte vergnügt. Der freundliche Ausdruck in ihren Augen war unverkennbar. Das bemerkte auch Else in ihrer desolaten Verfassung. Plötzlich spürte sie den Drang zu lachen und konnte sich nur mit Mühe zurückhalten.
»Kannst du nicht einmal still sein?«, fragte sie nicht halb so schroff wie beabsichtigt.
Ditte antwortete nicht sofort. Als sie schließlich doch anfing zu sprechen, war ihre Stimme völlig verändert.
»Erst wenn ich weiß, dass er ein anständiger Kerl ist und nicht so ein Tunichtgut wie Elmar.«
Verdutzt lauschte Else dem Nachhall dieser Worte, den fassungslosen Blick auf Ditte gerichtet.
»Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich in all den Jahren vermisst habe?«, fragte sie endlich heiser.
Verstohlen wischte sich Ditte mit dem Ärmel über die Augen.
»Die kluge Frau Doktor hat schon recht. Wahrscheinlich streiten wir deshalb so viel, weil wir uns eigentlich ziemlich gern haben.«
Dem gab es nichts hinzuzufügen, und eine Woge der Freundschaft durchflutete das Zimmer. Als Fee mit guten Nachrichten zu den beiden Frauen zurückkehrte, spürte sie die Veränderung sofort. Doch sie sagte nichts, sondern begnügte sich mit einem stillvergnügten Schmunzeln. Es gab Dinge, die bedurften keiner Worte.
*
Seit Daniel Norden wusste, dass er mit Marion Körber über die Operation sprechen und sie von der Notwendigkeit überzeugen sollte, beschäftigte ihn der Gedanke an diese Frau. Auch an diesem späten Nachmittag war er so versunken in seine Betrachtungen, dass er nicht hörte, wie es klopfte.
Nachdem Wendy auch beim dritten Mal keinen Erfolg hatte, drückte sie die Klinke herunter.
»Entschuldigen Sie, Chef!«, sagte sie leise, und Daniel schreckte aus seinen Gedanken hoch. Als er seine treue Assistentin erkannte, lächelte er.
»Ach, Wendy, Sie sind es«, seufzte er und winkte sie zu sich. »Kommen Sie nur rein.«
Sie trat näher und legte eine Unterschriftenmappe auf den Schreibtisch.
»Würden Sie das bitte unterschreiben? Janine geht auf dem Heimweg bei der Post vorbei.«
»Natürlich.« Er überflog die Schreiben und setzte seine Unterschrift darunter.
Als Wendy die Mappe wieder an sich nahm, fiel ihr Blick auf den vorläufigen Befund von Marion Körber. Damit hatte sich Daniel offenbar beschäftigt, als sie hereingekommen war. Dr. Norden bemerkte den Blick und seufzte.
»Jenny hat mich gebeten, mit dieser Frau Körber zu sprechen.«
»Ich weiß.« Wendy lächelte sanft. »Es fällt Ihnen schwer, diese Bitte zu erfüllen?« Es war mehr eine Feststellung denn eine Frage, und Daniel nickte langsam.
»Ja. Es ist mir unangenehm, weil ich mich im Gegensatz zu ihr kaum an sie erinnern kann«, erklärte er langsam. Sein Blick wanderte hinüber zum Fenster. Doch er sah die prächtigen Bäume und Sträucher im Garten nicht. All seine Gedanken gehörten dem vermeintlichen Treffen. »Ich weiß noch, dass wir uns auf irgendeinem Ärztekongress begegnet sind. Wir hatten einen lustigen Abend mit mehreren Kollegen im Hotel, und am nächsten Morgen bin ich abgereist. Das war’s. An Telefonate hier in der Praxis kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Mal abgesehen davon, dass ich nicht wüsste, warum ich mit ihr hätte sprechen sollen.«
Wendy antwortete nicht sofort. Sie stand neben Daniels Schreibtisch, die Unterschriftenmappe in beiden Händen, und überlegte, wie sie ihrem Chef ihre Gedanken nahebringen sollte.
»Sie sagten, sie hätten einen lustigen Abend verbracht«, begann sie vorsichtig. »Da ist bestimmt auch Alkohol geflossen.«
»Mit Sicherheit«, räumte Daniel Norden ohne Zögern ein und schickte seiner langjährigen Assistentin einen argwöhnischen Blick. »Aber warum sagen Sie das?«
Vor Verlegenheit stieg Wendy eine heiße Röte ins Gesicht. Sie wusste selbst, wie abwegig ihr Gedanke war. Trotzdem musste sie ihn aussprechen.
»Könnte es da nicht sein … ich meine … hin und wieder schlägt man doch unter Alkoholeinfluss über die Stränge …«
»Nein!«, fuhr Dr. Norden entschieden dazwischen. »Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, dass das ausgeschlossen ist.«
»Ich meine doch nicht Sie!« Trotz ihrer Sorge um ihren Chef musste Wendy lachen. »Aber es könnte doch sein, dass sich die Dame etwas einbildet, was gar nicht passiert ist.«
Daniel musterte sie eingehend.
»Das ist natürlich möglich.«
»Deshalb würde ich an Ihrer Stelle mit Frau Körber sprechen«, gab Wendy ihrem Chef einen wohlmeinenden Rat. »Ich kann nicht