Job verlieren.« Auch Wendy beherrschte die ganze Palette weiblicher Ausdrucksformen. Sie legte den Kopf schief und lächelte unwiderstehlich. »Das verstehen sie doch sicher, oder?«
»Natürlich verstehe ich das.« Johannes Holtz seufzte bekümmert. »Trotzdem … Können Sie mir nicht wenigstens einen kleinen Hinweis geben, wo mein Vater sie finden kann? Es muss ja nicht gleich die ganze Adresse sein.« Wie er so dastand, genauso gutaussehend wie verzweifelt, mit hängenden Schultern und nach unten gezogenen Mundwinkeln, rührte er an Janines allzu weiches Herz.
Sie sah kurz hinüber zu Wendy, die vehement den Kopf schüttelte, und fasste einen eigenmächtigen Entschluss.
»Ich muss jetzt unbedingt in der Behnisch-Klinik anrufen und den Boten bestellen«, erklärte sie mit Nachdruck und sah demonstrativ in Johannes Holtz‘ Richtung.
Der war clever genug um diesen Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen. Zum Zeichen, dass ihre Botschaft angekommen war, zwinkerte er ihr zu.
»Dann will ich Sie nicht länger belästigen«, erklärte er und verabschiedete sich, nicht ohne Janine mit einem strahlenden Lächeln den Blumenstrauß in die Hand zu drücken. Keine Minute später war er aus der Praxis verschwunden.
Darauf hatte Wendy nur gewartet.
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, fauchte sie sichtlich empört.
Doch Janine winkte nur ungerührt ab.
»Ich weiß gar nicht, warum du dich aufregst. Erstens hab ich gar nichts gesagt. Und zweitens habe ich nur im Interesse meiner ehemaligen Kollegen an der Klinik gehandelt.«
»Wie meinst du das?«, hakte Wendy verwundert nach.
»Ein Verehrer kann Frau Unterholzner nur gut tun«, lächelte Janine verschmitzt. »Wer weiß, vielleicht ist sie dann auch ein bisschen netter zu den Schwestern.« Mehr gab es dazu nicht zu sagen und sie streckte die Hand nach dem Hörer aus, um ihre Ankündigung endlich in die Tat umzusetzen.
*
In Gedanken versunken stand Tatjana Bohde in der Backstube und starrte blicklos vor sich hin. Vor ihr lag ein Klumpen Teig auf dem Arbeitsbrett. Seine Oberfläche war schon rissig und eingetrocknet. Doch das bemerkte Frau Bärwald nicht, als sie aus dem Verkaufsraum nach hinten kam.
»Was riecht denn hier so komisch?«, fragte sie irritiert und sah sich um.
Ihre alarmierte Stimme riss Tatjana aus ihren Tagträumen.
»Keine Ahnung!«, gab sie spontan zurück und hob schnuppernd die Nase. Der brenzlige Geruch erinnerte sie schlagartig daran, was passiert war.
»Hast du etwa die Brezen im Ofen vergessen?«, hatte Hilde Bärwald denselben Gedanken.
»Ach, du Schande!« Mehr sagte Tatjana nicht, sondern eilte in Richtung der Öfen, die an einer Wand aufgereiht wie Soldaten in Reih und Glied standen. Schnell schlüpfte sie in die Backhandschuhe. Als sie die Tür öffnete, schlug ihr dunkler Qualm entgegen und vernebelte die ganze Backstube. Instinktiv presste Tatjana ein Geschirrtuch vors Gesicht und zog das Blech mit den zu schwarzem Stein verbrannten Gebäckstücken aus dem Ofen. Tränen schossen ihr in die Augen.
»Schnell, das Fenster!«, keuchte auch Frau Bärwald. Durch die beißenden Nebelschwaden hindurch tastete sie sich vor zum Fenster und riss es mit beiden Händen auf. Frische Luft strömte in die Backstube. Trotzdem dauerte es einige Minuten, bis die beiden Frauen wieder halbwegs etwas sehen konnten.
»Es tut mir leid«, jammerte Tatjana mit Blick auf die Bescherung. »Es tut mir so leid.«
»Mag schon sein. Aber das nützt uns jetzt nichts«, gab Hilde Bärwald zurück und machte keinen Hehl aus ihrem Ärger. »Der Kunde kommt in einer halben Stunde, um seine bestellten Brezen zu holen. Er braucht sie für eine Firmenveranstaltung.«
»Ich schieb gleich Neue in den Ofen«, versprach Tatjana zerknirscht, doch Frau Bärwald schüttelte den Kopf. Sie stemmte die Hände in die kräftigen Hüften und starrte ihren Lehrling ärgerlich an.
»Beim Rührkuchen-Teig heute Morgen hast du das Backpulver vergessen. Statt der Rosinen hast du Cranberries in den Teig für die Schnecken gemischt und jetzt die Bescherung mit den Brezen. Kannst du mir mal erklären, was heute los ist mit dir? Hast du am Ende doch nicht das Zeug dazu, die Bäckerei zu übernehmen?«
Tatjana erschrak. Sie wusste genau, was los war. Allerdings wollte sie nicht darüber reden. Frau Bärwald war eine gesellige Frau mit einem ausgeprägten Kontaktbedürfnis. Wenn sie erfuhr, dass Tatjana Ärger mit Danny hatte, würde diese aufregende Neuigkeit innerhalb kürzester Zeit die Runde durch das gesamte Stadtviertel machen.
»Natürlich kann ich das mit der Bäckerei. Ich hab nur schlecht geschlafen heute Nacht«, murmelte sie und wusste selbst, dass diese fadenscheinige Ausrede nicht als Entschuldigung herhalten konnte. Aber zumindest war es keine Lüge.
»Das ist noch lange kein Grund, die Backstube in eine Räucherkammer zu verwandeln«, brummte Hilde Bärwald, während sie eine neue Lage Brezen auf einem Backblech verteilte.
»Ich sagte doch schon, wie leid es mir tut«, wiederholte Tatjana am Boden zerstört und wollte ihrer Chefin zur Hand gehen.
Doch Hilde hielt sie mit einer abwehrenden Bewegung davon ab.
»Geh lieber und wirf das Blech weg. Das ist zu nichts mehr zu gebrauchen.« Mit dem Kopf deutete sie auf das schwarze Stück Metall, das Tatjana raus auf die kleine Terrasse im Hinterhof gestellt hatte. »Heute Vormittag brauch ich dich nicht mehr. Und wenn du nachmittags zurückkommst, will ich wieder die alte Tatjana sehen.« Sie klang so entschieden, dass Tatjana keinen Widerspruch wagte.
Kleinlaut band sie die Schürze ab und hängte sie an den Haken hinter der Tür.
»Bis später!«, murmelte sie zerknirscht.
Doch Hilde war so sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt, dass sie nichts hörte oder nichts hören wollte. So verließ Tatjana ihren Arbeitsplatz. Draußen blieb sie einen Moment lang stehen und atmete tief die frische, von fröhlichem Vogelgezwitscher erfüllte Luft ein. Nach dem Orkan vor ein paar Tagen schien der Himmel wie frisch gefegt und nur ein paar Wattewölkchen schwammen wie Schaumkronen auf einem makellos blauen Meer. Doch auch daran konnte sich die junge Frau nicht wirklich erfreuen. Da sie nicht wusste, was sie mit sich und der unerwartet freien Zeit anfangen sollte, tat sie das einzig mögliche: Sie fuhr zu Fee Norden in die Klinik.
Vor dem Krankenzimmer angekommen, setzte sie eine fröhliche Miene auf. Auf keinen Fall sollte Felicitas etwas von ihren Sorgen bemerken.
»Tatjana, das ist ja eine schöne Überraschung! Was machst du denn um diese Uhrzeit hier?«, begrüßte die Ärztin ihre Besucherin erfreut.
»Ach, Frau Bärwald hat mir heute Mittag schon früher frei gegeben. Da dachte ich, ich schau jetzt schon vorbei«, erklärte die junge Bäckerin so unbeschwert wie möglich und zog sich einen Stuhl ans Bett. »Wie geht es dir?«
»Viel besser. Ich bin froh, dass ich endlich diese Magensonde los bin. Auch wenn das Essen noch kein richtiger Spaß ist, halte ich lieber diese Schmerzen aus …« Fee war guter Dinge und plauderte munter vor sich hin, während Tatjana lächelnd an ihrem Bett saß und so aufmerksam wie möglich zuhörte. Das war nicht ganz leicht, denn immer wieder wollten ihre Gedanken zu Danny eilen und taten es schließlich auch.
Fee hatte längst geendet und betrachtete ihre Schwiegertochter in spe schon eine ganze Weile, ehe sie fragte:
»Süße, was ist denn los mit dir?«
Auch diese Frage hörte Tatjana zunächst nicht. Erst als Felicitas sie wiederholte, wurde sie aufmerksam. Im ersten Augenblick wollte sie leugnen. Doch sie wusste um die besondere Beziehung zur Mutter ihres Freundes. Die wollte sie auf keinen Fall mit einer Lüge aufs Spiel setzen. Abgesehen davon, dass es ohnehin zwecklos war zu leugnen.
»Ach, Fee, Danny hat still und heimlich beschlossen, seine Promotion zu schreiben«, brach die ganze Wahrheit schließlich aus Tatjana heraus. »Dabei hatten wir ausgemacht, dass er damit wartet,