schweigend. Seit der Orkan übers Land gerauscht war und seine Spur der Verwüstung gezogen hatte, herrschte Ausnahmezustand an der Behnisch-Klinik.
»Ich habe Andrea schon Bescheid gesagt. Sie tut nichts anderes, als hinter unseren Aushilfekräften her zu telefonieren. Aber so einfach ist es leider nicht, spontan Leute zu bekommen. Ich tue, was ich kann.« Seufzend wandte sie sich an Mathias Weigand. »Und was die Zimmer betrifft … locken Sie die Privatpatienten mit den Rückerstattungen, die sie von den Krankenkassen erwarten können, wenn sie auf ein Einzelzimmer verzichten. Eine andere Lösung fällt mir im Augenblick nicht ein.«
Dr. Weigands Miene erhellte sich.
»Das ist eine ausgezeichnete Idee.« Zufrieden mit dieser Lösung verabschiedete er sich von Jenny.
Schwester Elena folgte ihm. Es gab genug zu tun, und sie vertraute darauf, dass die Chefin auch für ihr Problem wie immer eine Lösung fand. Während sie neben dem Arzt den Gang hinunter ging, klappte sie die Mappe auf, die sie bei sich trug.
»Heute haben wir zwei Neuzugänge auf der Orthopädie«, teilte sie ihrem Kollegen mit. »Ein Verdacht auf einen komplexen Meniskusriss und einen akuten Hallux Valgus. Der Hallux ist schon auf dem Zimmer. Denkst du, ich kann den Meniskus dazulegen? Der ist privat.«
»Einen Versuch ist es zumindest wert. Du hast ja gehört, welche Losung die Chefin ausgegeben hat. Wir sehen uns.« Sie waren an einer Ecke angekommen, an der sich der Flur teilte. Matthias musste den linken Weg wählen, während Schwester Elena nach rechts abbog.
»Also gut«, murmelte sie vor sich hin und klappte die Mappe wieder zu. Sie war noch nicht weit gekommen, als sie aufgebrachte Stimmen hörte, die mit jedem ihrer Schritte lauter wurden.
»Wozu bezahle ich meine private Versicherung? Glauben Sie, ich werfe mein Geld freiwillig zum Fenster raus?«, zeterte niemand anderer als Else Unterholzner lautstark, als Schwester Elena um die Ecke bog.
»Und wenn Sie ausnahmsweise die Zähne zusammen beißen und vielleicht doch zusammen mit Frau …«, redete eine Schwester mit Engelszungen auf die Dame ein, die aussah, als wäre sie direkt einem Modemagazin entsprungen.
»Niemals!«, schnitt Else ihr fauchend das Wort ab.
Inzwischen hatte Schwester Elena Gelegenheit gehabt, die attraktive Seniorin eingehend zu mustern.
Zu einem schicken roséfarbenen Kostüm mit Minirock trug sie eine gemusterte Bluse. Ihre Schmerzen im Knie hatten sie nicht davon abgehalten, gefährlich hohe Pumps anzuziehen. Dem perfekt geschminkten Gesicht war das Alter nicht anzusehen. Schwester Elena hätte es nicht geglaubt, wenn sie es nicht zuvor in den Unterlagen gelesen hätte. Sie machte einen Bogen um die Koffer und Taschen, die Else um sich versammelt hatte, und trat auf die beiden Frauen zu, um ihre junge Kollegin zu unterstützen.
»Guten Tag, Frau Unterholzner«, begrüßte sie die Patientin freundlich. »Natürlich ist ein Einzelzimmer angenehmer. Andererseits könnte ich Ihrer Krankenversicherung melden, dass wir Sie in einem Zweibettzimmer unterbringen. Dann bekommen Sie ein Erstattung«, griff sie ohne Zögern zu dem Argument, das die Chefin vorgeschlagen hatte.
Tatsächlich schien sie damit Erfolg zu haben. Else, die den Mund schon zu einem Widerspruch geöffnet hatte, schloss ihn wieder. Ihr forschender Blick ruhte auf Schwester Elena, während sie nachdenklich eine Strähne des braun gefärbten, feinen Haars zwischen zwei Fingern zwirbelte.
»Sie meinen, ich bekomme Geld zurück?«, fragte sie nach einer kurzen Pause.
Elena und ihre Kollegin nickten gleichzeitig, und Else Unterholzner lächelte maliziös.
»Also gut. Dann will ich mal nicht so sein. Schließlich will ich Ihnen nicht unnötig Schwierigkeiten machen«, zeigte sie sich erstaunlich kooperativ und warf einen Blick auf das Gepäck zu ihren Füßen. »Bitte veranlassen Sie, dass meine Koffer aufs Zimmer gebracht werden.«
Nur mit Mühe konnte sich Elena ein tiefes Seufzen verkneifen.
»Sagst du bitte unserem Hausmeister Herrn Brehm Bescheid?«, wandte sie sich an die junge Kollegin, die keine Sekunde zögerte und sich sofort erleichtert auf den Weg machte.
Einen Moment lang sah Schwester Elena ihr bedauernd nach. Dann drehte sie sich wieder zu Else Unterholzner um und brachte sie zu ihrem Zimmer.
»Da wären wir! Von hier aus haben Sie den schönsten Blick in unseren Park. Sehen Sie nur!«, versuchte sie, Else das Zimmer schmackhaft zu machen, und ging direkt zum Fenster, um die Stores schwungvoll zurückzuziehen. Als sie sich aber nach der Patientin umdrehte, sah sie, dass sie ihr nicht gefolgt war. Wie angewurzelt stand Else im Türrahmen und starrte hasserfüllt auf die Patientin, die im Bett neben der Tür lag und wütend zurückfunkelte.
»Was willst du denn schon wieder hier?«, Dietlinde schnappte empört nach Luft und wandte sich sofort an Elena. »Nichts für ungut, Schwester. Ich weiß, dass Sie Platzmangel haben. Ich bin auch wirklich nicht dagegen, das Zimmer zu teilen. Aber diesen eingebildeten Pfau hier bringen Sie bitte woanders unter.«
Bisher hatte Ditte einen durchaus sympathischen Eindruck auf Elena gemacht. Deshalb wunderte sie sich sehr über den schnippischen Tonfall der Seniorin.
»Es tut mir sehr leid, Frau May. Aber es geht wirklich nicht anders«, erklärte sie geduldig. »Es ist nur für ein paar Tage.«
Unterdessen hatte Else Gelegenheit gehabt, sich von ihrem Schrecken zu erholen.
»Dafür, dass ich Ihnen den Gefallen tue und mit dieser Asozialen in einem Zimmer bleibe, verlange ich eine besondere Behandlung.« Um ihre Forderung zu unterstreichen, warf die den braunen Pagenkopf demonstrativ in den Nacken.
Dietlinde schnaubte.
»Das werden Sie nicht tun, Schwester!«, verlangte sie beleidigt. »Dafür, dass ich dieses Stinktier ertrage, soll sie auch noch eine Belohnung bekommen?«
In diesem Augenblick war die Geduld der gutmütigen Schwester zu Ende.
»Bitte, meine Damen! Ich bin sicher, Sie werden sich schon zusammenraufen. Ich muss mich jetzt um unsere anderen Patienten kümmern. Wenn Sie etwas benötigen, brauchen Sie nur zu klingeln.« Elena deutete auf die Tastatur, die neben jedem Bett befestigt war, und verließ freundlich lächelnd das Zimmer. Als die Tür hinter ihr zugefallen war, entfuhr ihr ein Stoßseufzer der Erleichterung. Gedämpft hörte sie, wie das Gezeter drinnen weiterging. Doch sie gab vor, nichts zu bemerken, und machte sich auf den Weg zu einem Patienten, der ihre Hilfe wirklich brauchte.
*
»Soso, einen Gefallen tust du der Schwester!« Mit zusammengekniffenen Augen saß Ditte im Bett und musterte ihre Kontrahentin. »Gib doch zu, dass du dir den Einzelzimmerzuschlag von deiner Versicherung wieder zurück holst. Ich kenn dich doch. Du schlägst aus allem und jedem Kapital.« Eine aufgeklappte Zeitschrift lag vor ihr auf der Decke. Doch zum Lesen würde sie jetzt keine Ruhe mehr haben. Das war ihr klar. »Aber ich warne dich!« Drohend hob sie den Zeigefinger. »Ein falsches Wort, und ich roll dich heute Nacht in die Pathologie und steck dich da in ein Kühlfach.«
Zu ihrem großen Ärger warf Else den Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus.
»Es gibt ja wenig Grund, dich zu bewundern, Dittelein«, erklärte sie schließlich und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. »Aber deine blühende Fantasie hat mich schon immer fasziniert.« Einen Moment lang ruhte ihr Blick auf Dietlinde. »Schade, dass du nicht mehr bist als eine aufgeblasene Wichtigtuerin. Andernfalls hättest du es weit bringen können«, winkte sie dann ab und wendete sich ihrer Tasche zu, die sie auf dem Bett abgestellt hatte. Ein Strauß Blumen ragte daraus hervor. Sie nahm ihn heraus und befreite ihn vom Papier. Auf der Suche nach einer Vase drehte sie sich um. Unwillkürlich stöhnte sie auf vor Schmerzen. Sie ließ die Blumen fallen und sank aufs Bett. Mit beiden Händen umklammerte sie das verletzte Gelenk. Tränen standen ihr in den Augen.
»Der liebe Gott ist ein gerechter Mann«, unkte Ditte unbeeindruckt. »Er straft jede kleine Sünde sofort. Sag bloß, das hast du noch nicht gewusst?«
Else verzog das Gesicht,