hinausgelaufen waren, um sich im Besucherzimmer mit frischem Gebäck aus der Klinikküche zu versorgen.
»Warum soll es dir anders gehen als mir?«, raunte er ihr zu und nutzte die Gelegenheit, um sich auf die Bettkante zu setzen. Er nahm ihre Hand zwischen seine Hände und drückte einen innigen Kuss darauf. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermisse«, gestand er dann leise. »Nicht auszudenken, wenn dir was passiert wäre …« Er stockte, und Fee schluckte gerührt.
Doch es waren nicht seine Worte, die ihr den Atem raubten. Vielmehr war es der Ausdruck in seinem Gesicht, der von seiner unermesslichen Liebe sprach.
»O Dan, es tut mir so leid, dass ich dir solchen Kummer gemacht habe.«
Diese Aussage war wieder einmal typisch für Fee, und Daniel lachte leise.
»Das muss dir doch nicht leid tun, mein Engel. Schließlich hast du es ja nicht mit Absicht gemacht. Oder etwa doch?«, fragte er augenzwinkernd.
Fee konnte nicht anders. Sie legte den Kopf schief und blitzte ihn vergnügt an.
»Weißt du, um diesen Ausdruck in deinen Augen zu sehen, ist mir eigentlich jedes Mittel recht.«
Für diese schelmische Bemerkung hätte Daniel ihr im Normalfall einen innigen Kuss geraubt. Die Magensonde und die Krankheit hinderten ihn daran, sodass er sich wohl oder übel damit begnügen musste, Drohungen auszusprechen.
»Na warte, wenn du erst wieder gesund bist.« Drohend wackelte er mit dem Zeigefinger vor ihrer Nase hin und her. »Dann schone ich dich nicht mehr.«
»Ich kann’s kaum erwarten«, erwiderte Felicitas weich. »Das ist übrigens auch der Grund, warum ich so fleißig übe. Heute bin ich schon ziemlich weit über den Flur gelaufen. Ich komme zwar noch relativ schnell außer Atem. Dafür wird es jeden Tag besser.«
»Und was ist mit den Blasen im Mund?« Besorgt betrachtete Daniel die Krusten auf ihren Lippen.
»Die verheilen, wenn auch langsamer, als ich gehofft hatte. Trotzdem werde ich morgen darum bitten, dass diese Sonde hier gezogen wird. Wenn ich die Zähne zusammen beiße und mich von Suppe und Haferbrei ernähre, wird es schon gehen.«
Voller Bewunderung sah Daniel Norden seine Frau an.
»Wenn ich dich nicht schon längst liebte, würde ich mich in diesem Moment unsterblich in dich verlieben«, erklärte er heiser. »Woher nimmst du nur diese Kraft?«
Er hatte noch nicht ausgesprochen, als Fee leise lachte.
»Das fragst ausgerechnet du, der du doch der Grund dafür bist?«
Zum Glück kehrten in diesem Augenblick die Zwillinge lachend und schwatzend ins Zimmer zurück und lenkten das Liebespaar ab. Andernfalls hätte Daniel für nichts mehr garantieren können und seine Frau trotz ihrer Krankheit stürmisch geküsst.
*
Während Dr. Daniel Norden ganz privat in der Klinik war, saß die Klinikchefin Dr. Jenny Behnisch auch an diesem Samstag über ihren Schreibtisch gebeugt und studierte eingehend die Aufnahmen, die ihr Dr. Weigand gemeinsam mit einer neuen Patientin vorbei gebracht hatte. Anders als in großen städtischen Kliniken wurden an der Behnisch-Klinik in dringenden Fällen auch an Wochenenden diagnostische Maßnahmen durchgeführt und Behandlungen eingeleitet. So ein dringender Fall war die Behandlung von Marion Körber, die der Klinikchefin mit besorgter Miene gegenüber saß.
»Auf der Röntgenaufnahme ist uns ein verdächtiger Schatten aufgefallen. Und auch die Blutuntersuchung gibt Anlass zur Sorge«, redete Jenny nicht lange um den heißen Brei herum. Wenn möglich, sank Marion Körber noch ein wenig mehr auf dem Stuhl zusammen.
»Was heißt das im Klartext?«, fragte sie mit rauer Stimme. Vor Aufregung war ihr Mund trocken, und sie trank einen Schluck von dem Wasser, das Jenny ihr nach der Begrüßung angeboten hatte.
»Dass wir so schnell wie möglich operieren sollten, um herauszufinden, mit welchem Feind wir es tatsächlich zu tun haben.« Jenny Behnisch lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und maß ihre Patientin mitfühlend.
»Allmählich mache ich mir jetzt wirklich Sorgen«, gestand Marion Körber.
»Verständlich. Sie sollten sich allerdings nicht verrückt machen, bis wir endgültige Gewissheit haben«, versuchte Jenny, das Unmögliche möglich zu machen, wohlwissend, dass es in solchen Situationen keinen Trost geben konnte.
Marion verschränkte ihre zitternden Finger ineinander und starrte die Klinikchefin aus weit aufgerissenen Augen an. Sie wirkte wie ein verängstigtes Kaninchen beim Anblick eines Fuchses.
»Was haben Sie als nächstes vor?«
Jenny lächelte sanft.
»Am liebsten würde ich Sie gleich morgen früh auf den OP-Plan setzen. Mittels eines sogenannten Schnellschnittes während der Operation würde ein Pathologe die Art des Tumors ermitteln, und wir könnten das bösartige Gewebe gegebenenfalls sofort entfernen.«
»Morgen früh? Aber ich habe eine minderjährige Tochter«, entfuhr es Marion Körber. »Die kann ich doch nicht einfach so allein lassen.«
Jenny Behnisch wusste gar nicht mehr, wie oft sie solche Gespräche schon geführt hatte. Sie wusste nur, dass sie sie immer noch nicht mochte und niemals Routine in solchen Dingen haben würde.
»Ich verstehe ja, dass Sie jetzt durcheinander sind. Das alles kommt ein bisschen plötzlich«, redete sie mit Engelszungen auf ihre Patientin ein. »Falls wir es aber wirklich mit einem bösartigen Tumor zu tun haben, sollten wir so schnell wie möglich handeln. Alles andere wäre fataler Leichtsinn.«
»Ich weiß.« Sichtlich nervös zupfte Marion mit den Zähnen an der Unterlippe. »Das heißt, ich weiß es nicht … Ich muss nachdenken.«
Jenny stützte sich auf die Ellbogen und lehnte sich ein Stück vor. Sie ließ ihre Patientin nicht aus den Augen, als sie sagte:
»Aber bitte nicht zu lange.«
Marion Körber hörte sie offenbar gar nicht. Ihre Augen schwammen in Tränen.
»Meine Tochter … Ich kann sie nicht auch noch im Stich lassen. Ihr Vater ist vor ein paar Jahren gestorben … Wir sind erst vor kurzem in die Stadt gezogen. Klara hat niemanden hier.«
Nur mit Mühe gelang es der Klinikchefin, ein Seufzen zu unterdrücken.
»Frau Körber, ich rate Ihnen dringend davon ab, den Eingriff zu lange hinaus zu zögern. Es können sich Metastasen bilden. Mit jedem Tag, den sie ungenutzt verstreichen lassen, gehen Sie ein unnötiges Risiko ein. Lassen Sie sich operieren. Auch im Interesse Ihrer Tochter.«
Marion Körber sagte nichts mehr. In sich zusammengesunken saß sie auf dem Stuhl und dachte nach. Und auch Jenny hatte jedes Argument in den Ring geworfen, das ihr eingefallen war. Lähmendes Schweigen machte sich im Büro der Klinikchefin breit. Nur gedämpft drangen die Geräusche des Klinikbetriebs durch die Bürotür. Gummisohlen quietschten leise, hier und da war ein Lachen zu hören, Geschirr klapperte.
»Wie gesagt, ich muss darüber nachdenken.« Auf einmal kam Leben in Marion Körber, und sie erhob sich mit plötzlicher Entschlossenheit aus dem Stuhl. »Vielen Dank für Ihre Mühe.« Ehe Jenny Gelegenheit hatte, ein weiteres Wort zu sagen, ging Marion entschlossenen Schrittes zur Tür und verließ grußlos das Zimmer.
Einen Moment lang war die Klinikchefin versucht, ihrer Patientin zu folgen. Doch die nächsten Besucher warteten schon darauf, von Jennys Assistentin Andrea Sander eingelassen zu werden.
*
»Chefin, wir brauchen dringend mehr Schwestern. Sonst können wir den Ansturm der Patienten nicht mehr bewältigen«, erklärte Schwester Elena. Zusammen mit dem Arzt Dr. Matthias Weigand stand sie bei Jenny Behnisch im Büro. Eine sorgenvolle Falte teilte ihre hübsche Stirn.
Auch Matthias hatte ein Problem.
»Haben wir nicht zufällig noch ein paar leer stehende Zimmer? Inzwischen müssen wir sogar die Privatpatienten