auf! Reg dich bitte nicht auf!« Sie schwang die Beine aus dem Bett und stand schnell auf. Ohne Schuhe konnte sie schmerzfrei gehen und kam auf Else zu. »Wenn du dich aufregst, bist du noch hässlicher als sonst. Dieses zerfurchte Gesicht, völlig zerfressen vom Geiz.« Sie streckte die Hände aus, und erschrocken zuckte Else zusammen.
Doch Ditte bückte sich nach den Blumen, hob sie behutsam hoch und brachte sie ins Bad.
»Du bist doch nur neidisch, weil du es dein Lebtag zu nichts gebracht hast«, rief Else ihr nach. Antwort bekam sie nicht. Statt dessen rauschte das Wasser, und gleich darauf kehrte Dietlinde mit einer Vase zurück, in der sie den Strauß kunstvoll arrangiert hatte. Sie lächelte engelsgleich, als sie sie auf Elses Nachtkästchen abstellte.
»Immerhin haben mich die Männer geliebt. Das hast du nicht geschafft.«
»Dafür hast du dir die Gesundheit mit den hohen Schuhen ruiniert. Das zum Thema: Der liebe Gott straft jede kleine Sünde sofort.«
Doch davon wollte Dietlinde nichts wissen.
»So ein Quatsch. Bei mir ist dieser Hallux erblich bedingt. Meine Mutter und meine Tante hatten auch einen, und die haben ihr Lebtag keine hohen Schuhe getragen«, verteidigte sie sich, während sie es sich wieder im Bett bequem machte. »Aber was ist eigentlich mit deinem Meniskus? Ich hab gehört, dass du operiert werden musst.« Ihre Augen wurden schmal, und sie setzte eine besorgte Miene auf. »Wusstest du eigentlich, dass das Knie nach so einer Operation steif bleiben kann?« Mit Genugtuung beobachtete sie, wie ihre Nachbarin blass wurde.
»Das ist nicht wahr«, stammelte Else sichtlich entsetzt. »Mal abgesehen davon, dass ich keine Meniskusverletzung habe. Dieser Danny Norden ist ja noch nicht mal Doktor. Deshalb bin ich ja hier. Heute Nachmittag werden mich kompetente Ärzte untersuchen und diese Diagnose wiederlegen. Spätestens morgen bin ich wieder raus hier.«
Dietlinde dachte noch über eine Antwort nach, als es klopfte. Gleich darauf schob sich Hausmeister Brehm ins Zimmer, der unter der Last der Koffer stöhnte.
»Sind Sie Frau Unterholzner?«, wandte er sich an Ditte und wischte sich mit einem großen Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
»Die Dame da drüben!« Sie deutete auf Else, die sich vorsichtig erhoben hatte. »Aber leider haben Sie sich die ganze Mühe umsonst gemacht. Frau Unterholzner bleibt nur bis morgen früh.«
Einen Moment lang herrschte verdutztes Schweigen.
»Blöde Kuh!«, zischte Else dann in Dittes Richtung, ehe sie Herrn Brehm mit einem fürstlichen Trinkgeld entlohnte.
*
»Hast du deine Proben fürs Labor schon fertig gemacht?«, fragte Janine Merck ihre Freundin und Kollegin Wendy am späten Vormittag. »Dann rufe ich den Klinik-Kurier an.«
»Alles fertig!«, bestätigte Wendy, ohne aufzublicken.
Sie saß am Schreibtisch und legte neue Patientenkarten an.
Zum ersten Mal seit Tagen war es etwas ruhiger geworden in der Praxis Dr. Norden. Nur zwei Patienten saßen im Wartezimmer, zwei weitere befanden sich bei den Ärzten in Behandlung. »Hoffentlich dauert es beim Senior-Chef nicht mehr so lange«, murmelte sie vor sich hin.
Janine sah sie fragend an.
»Gibt’s was Neues?«
»Frau Dr. Behnisch bittet um dringenden Rückruf. Es geht offenbar um diese seltsame Patientin vom Freitag. Du weißt schon, diese Marion Körber«, erläuterte Wendy bereitwillig.
»Ach, die unheimliche Anruferin, an die sich der Chef nicht mehr erinnern kann«, wusste Janine sofort, von wem die Rede war.
»Sieht so aus, als könnte sie sich nicht zu einer Operation durchringen, und der Chef soll mit ihr reden«, erklärte Wendy und beugte sich wieder über ihre Arbeit.
»Da bin ich zuversichtlich«, lächelte Janine belustigt. »Die Frau, die seinem Charme widerstehen kann, muss erst noch geborgen werden.«
Mit diesen Worten konzentrierte sich auch Janine wieder auf das, was sie zu tun hatte.
Die beiden Assistentinnen genossen die wohltuende Ruhe und waren so vertieft, dass sie den Mann nicht bemerkten, der leise an den Tresen trat.
»Einen wunderschönen guten Morgen, meine Damen!«, grüßte Johannes Holtz freundlich.
Sowohl Janine als auch Wendy fuhren erschrocken zusammen und sahen hoch. Sie blickten direkt in einen beeindruckenden Blumenstrauß und konnten erst nach einem Moment den Herrn dahinter ausmachen.
»Aber Herr Holtz …«, begann Wendy, als Johannes sie sofort unterbrach. »Hier, bitteschön, der ist für Sie!« Er lächelte freundlich, als er den Strauß über den Tresen reichte.
Sich der neugierigen Blicke ihrer Kollegin wohl bewusst, stand Wendy auf.
»Das ist ja wirklich sehr freundlich.« Ihre Stimme war heiser vor Verlegenheit, und sie war nur froh, dass keine Patienten Zeugen dieser peinlichen Szene wurden. »Leider kann ich dieses Geschenk nicht annehmen.«
Das Lächeln auf Johannes Holtz‘ Gesicht verblasste. Er machte keine Anstalten, seine Enttäuschung zu verbergen.
»Aber warum denn nicht? Gefallen Sie Ihnen nicht?« Ratlos sah er auf den traumhaft schönen Strauß.
»Doch, doch, die Blumen sind wunderschön.« Händeringend suchte Wendy nach einer Ausrede und beschloss dann, die Wahrheit zu sagen. »Aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, was Sie damit bezwecken. Sie sind ein verheirateter Mann. Was sagt Ihre Frau dazu, dass Sie mir Blumen und Pralinen schenken?«
Einen Augenblick lang war Johannes völlig perplex, und Wendy rechnete schon mit dem Schlimmsten. Dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte laut auf.
»Ach, so ist das … Sie denken, ich mache Ihnen den Hof. Wie dumm von mir.«
Irritiert sah Wendy hinüber zu ihrer Freundin, die vor unterdrücktem Lachen schier platzen wollte. Dann wandte sie sich wieder dem rätselhaften Besucher zu.
»Entschuldigen Sie, aber ich verstehe das hier nicht.«
Inzwischen hatte sich Johannes wieder gefasst. Immer noch lächelnd setzte er eine schuldbewusste Miene auf.
»Kein Wunder. Das war mein Fehler. Ich habe mich wirklich dumm angestellt. Offenbar haben Sie die Karte nicht gelesen, die den Pralinen beigelegt war.«
»Welche Karte?«
Nun war es an Johannes Holtz, verlegen zu sein. Er zupfte einen Umschlag aus den Blumen und reichte sie Wendy über den Tresen. Dabei räusperte er sich umständlich.
Dr. Nordens langjähriger Assistentin war in ihrer Laufbahn schon allerhand untergekommen. Doch so etwas hatte selbst sie noch nicht erlebt. Atemlos las sie die wenigen Zeilen in einer altmodischen, charaktervollen Herrenschrift.
»Ihr Vater bittet um die Kontaktdaten von Frau Unterholzner?«, fragte sie und steckte die Karte zurück in den Umschlag. »Deshalb macht er uns solche Geschenke?«
Johannes senkte den Kopf.
»Ich weiß selbst, wie albern das klingt«, gestand er zerknirscht. »Mein Vater kennt Frau Unterholzner von diversen Magazinen. Ich weiß auch nicht mehr genau, wie wir darauf gekommen sind, aber ich habe ihm erzählt, dass ich mich neulich im Wartezimmer mit Frau Unterholzner unterhalten habe.« Entschuldigend zuckte er mit den Schultern. »Tja, und seither fleht er mich an, dass ich doch wenigstens die Telefonnummer besorgen könnte. Natürlich habe ich mich beharrlich geweigert.«
»Bis Ihr Vater auf die Idee verfallen ist, uns mit Schokolade zu bestechen«, vollendete Janine breit lächelnd die Geschichte.
»Genau so ist es.« Johannes nickte ergeben und sah sie flehentlich an. »Bitte lassen Sie mich nicht im Stich. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie anstrengend ein liebeskranker Senior ist.«
»Oh, doch, das kann ich durchaus«, versicherte Wendy in Erinnerung an die diversen Herren fortgeschrittenen Alters, die