und dir«, murmelte er, während er aufstand. Es wurde allerhöchste Zeit, in die Praxis zurückzukehren, und er stellte den Stuhl an seinen Platz zurück.
»Soweit ich das beurteilen kann schon«, erwiderte Fee, als sich ihr Sohn zu ihr hinab beugte und ihr einen Kuss auf die Wange drückte.
Mit Genugtuung bemerkte sie, dass er genau wie Tatjana nicht mehr so mutlos wirkte wie noch am Anfang seines Besuchs. Seine Schritte waren beschwingt, als er das Zimmer verließ. Jetzt konnte sie nicht mehr tun als abzuwarten, wie sich die Dinge zwischen dem jungen Paar entwickelten.
»Dann werde ich mich inzwischen mal um die beiden störrischen älteren Damen kümmern«, beschloss Felicitas und schlug die Bettdecke zurück. Der altbekannte Tatendrang war zu neuem Leben erwacht – ein eindeutiges Zeichen ihrer voranschreitenden Genesung –, und voller Elan machte sie sich auf den Weg zu Else Unterholzner und Ditte May.
*
Wutschnaubend und so schnell es ihr schmerzendes Bein erlaubte, stürmte Else Unterholzner ins Zimmer zurück. Krachend warf sie die Tür ins Schloss. Ditte, die friedlich im Bett gelegen und gedöst hatte, fuhr erschrocken hoch.
»Bist du jetzt endgültig von allen guten Geistern verlassen?«, fauchte sie.
Vor Aufregung schlug ihr Herz wild in ihrer Brust, und sie sah ihrer Erzfeindin dabei zu, wie sie einen wunderschönen Strauß Blumen auf den Boden warf und zertrampelte. Ein paar Mal stampfte sie wie ein Derwisch mit dem gesunden Bein auf. Dann vergaß sie ihre Krankheit und tat dasselbe mit dem verletzten Fuß.
»Aua, auweh!«, schrie Else Unterholzner auf. Sie bückte sich und umklammerte das verletzte Knie mit beiden Händen. Tränen der Wut und des Schmerzes rannen ihr über die zarten Wangen.
Ihr Anblick war so herzzerreißend, dass sogar Dittes Herz weich wurde. Sie machte Anstalten, aus dem Bett zu klettern, als die Tür aufgerissen wurde.
»Was ist passiert?« Niemand anderer als Fee Norden stand im Zimmer.
Sie hatte die Schmerzensschreie gehört und verschaffte sich blitzschnell einen Überblick.
Ditte May sank wieder in die Kissen zurück und hob abwehrend die Hände.
»Ich kann wirklich nichts dafür«, beteuerte sie energisch. »Sie ist einfach ausgerastet und hat hier gewütet wie ein Derwisch. Allmählich bekomme ich Angst vor der alten Schreckschraube.«
Kopfschüttelnd wandte sich Fee an Else. Der Schmerz hatte sie lammfromm gemacht, und sie ließ sich willig zum Bett führen. Fürsorglich half Felicitas Norden ihr, sich zuerst auf die Bettkante zu setzen und sich dann hinzulegen. Dann sah sie von einer zur anderen.
»Woher nehmen Sie eigentlich die Energie, sich ständig gegenseitig so fertig zu machen?« Bevor sie sich in das Zimmer gewagt hatte, hatte sich die erfahrene Ärztin von einer Schwester informieren lassen. »Ich dachte, Sie kennen sich. Sind Sie nicht sogar Nachbarinnen?«
»Ob Sie’s glauben oder nicht, ich war sogar mal mit dieser Schnepfe befreundet«, presste Else durch die Zähne. Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie es selbst nicht glauben.
»Das ist eine halbe Ewigkeit her«, bestätigte Ditte versonnen. Sie lag im Bett, das Rückenteil halb aufgerichtet, und musterte Else aus schmalen Augen. »Damals warst du noch mit Elmar verheiratet.« Auf diesen Namen legte sie eine besondere Betonung, und Else wurde sofort wieder wütend.
»Du bist doch nur neidisch, dass dich nie einer heiraten wollte«, konterte sie mit Funken sprühenden Augen.
»Hast du schon mal drüber nachgedacht, dass es andersrum gewesen sein könnte?«, stand Ditte ihr in nichts nach.
»Pah, das kannst du jetzt leicht sagen.« Else lächelte schmallippig, während Fee dem Streit schweigend lauschte. Eine innere Stimme befahl ihr, nicht einzugreifen. Gleich darauf bekam sie die Bestätigung. »Kurz vor seinem Tod sagte Elmar zu mir, er würde dich noch nicht mal mit einer Zange anfassen«, erklärte Else triumphierend.
Als Ditte das hörte, wurde sie blass. Sie richtete sich kerzengerade im Bett auf und schnappte nach Luft.
»Das hat er gesagt?« Ihre Stimme war schrill. »Hätte ich mir ja denken können, nachdem er bei mir abgeblitzt ist.«
Diesmal war es Else, die die Augen aufriss.
»Das ist nicht wahr!« Plötzlich war ihre Stimme nicht mehr als ein heiseres Flüstern. Ihre Wangen hatten die Farbe gewechselt. »Er hat dich nicht umgarnt. Nicht dich auch noch. Das sagst du jetzt nur, um mich zu verletzen.«
Elses offensichtliche Fassungslosigkeit brachte Ditte wieder zur Besinnung.
Langsam schüttelte sie den Kopf.
»Leider nein.« Mehr sagte sie nicht.
Das folgende Schweigen war das Zeichen für Fee, sich nun doch in das Gespräch einzumischen. Sie hatte genug gehört, um sich einen Reim auf das zu machen, was vor so vielen Jahren geschehen war.
»Darf ich fragen, warum Sie sich nach Elmars Tod so verfeindet haben?«
Es dauerte einen Moment, bis Else Unterholzner ihre Gedanken sortiert hatte. Sie räusperte sich umständlich, ehe sie die Frage der Ärztin beantwortete.
»Mein Mann ist während einer harmlosen Operation ganz unvermutet gestorben. Viele Menschen sind mir beigestanden in dieser schweren Zeit. Nur Ditte …«, ihre Augen wanderten hinüber zum Bett ihrer Feindin, »meine angeblich beste Freundin meinte, ich soll froh sein, dass ich ihn endlich los bin.« Elses Stimme war tränenerstickt, und Fee wusste nicht, ob sie um die verlorene Freundschaft oder den offenbar treulosen Mann weinte. »Und das in einer Zeit, in der ich so dringend Trost und Beistand gebraucht habe. Können Sie sich vorstellen, wie schrecklich das ist?« Dankbar nahm sie das Taschentuch, das Felicitas ihr reichte, und betupfte behutsam die empfindliche Haut um die Augen.
»Was ist dann passiert?«, beschloss die Ärztin, im Augenblick nicht weiter auf diese Geschichte einzugehen.
»Danach haben wir uns eine Zeit lang ignoriert. Und dann irgendwann gingen die Grabenkämpfe los.« Es war Ditte, die diese Frage beantwortete. »Es fing damit an, dass dein Gärtner meinen Apfelbaum derart verstümmelt hat, dass er eingegangen ist«, schimpfte sie in Richtung ihrer Nachbarin.
»Er hat lediglich abgeschnitten, was über meinen Zaun hing«, verteidigte sich Else postwendend. »Was kann ich dafür, dass du den Baum viel zu nah an mein Grundstück gepflanzt hast?«
»Wenn ich nicht irre, hast du mich damals angebettelt, genau das zu tun. Wir könnten uns die Äpfel teilen, hast du gesagt.«
»Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?«, winkte Else herablassend ab. »Außerdem hast du mir im Winter jeden Tag den Schnee vor die Haustür geschaufelt. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen.«
»Das war erst nach dem mysteriösen Baumsterben.«
An dieser Stelle hatte Fee genug gehört.
»Also, meine Damen …« Sie erhob die Stimme, um sowohl Else als auch Ditte in ihre Schranken zu verweisen. »Es ist offensichtlich, dass Sie emotional immer noch sehr miteinander verbunden sind«, stellte sie so sachlich wie möglich fest und sah von einer zur anderen.
»Wie bitte?«, platzte Else ungläubig heraus. »Das soll wohl ein Witz sein.«
Mit einer energischen Handbewegung brachte Fee sie zum Schweigen.
»Wenn dem nicht so wäre, hätte doch wenigstens eine von Ihnen längst die Flucht ergriffen«, gab sie zu bedenken.
Diesem Argument hatten die beiden Frauen spontan nichts entgegen zu setzen.
»Ich wollte das Haus nicht verkaufen, in dem ich so lange mit meinem Mann glücklich war«, fand Else schließlich eine halbwegs plausible Antwort.
»Dass ich nicht lache!«, prustete Ditte postwendend los. »Du musst an fortgeschrittener Demenz leiden, wenn du glaubst, dass eure Ehe gut war.« Sie zögerte kurz. So lange hatte sie geschwiegen. »Weißt du wirklich