es war dort immer ein fröhliches Treiben.
Manchmal kam es freilich zu unangenehmen Auftritten, wenn der Regierungsrat plötzlich seiner Frau und Tochter heftige Vorwürfe über ihre Verschwendungssucht im Haushalt machte und erklärte, er habe kein Geld zu dieser ausgebreiteten Geselligkeit. Aber gleich darauf meinte er wieder, Agathe müsse neue Stiefel haben, oder er braute eine Bowle, wenn sich sechs bis acht junge Leute zum Abend einfanden und nur Kartoffel und Häring essen wollten.
Es war dem Regierungsrat anfangs schwer geworden, von den Traditionen seiner Familie abzuweichen und den Sohn nicht Jura studieren zu lassen. Am Offizierstande haftete in seinen Augen ein unechter oberflächlicher Glanz. Walter hatte die jahrelang nachklingende Begeisterung von 1870 benutzt, um den Vater seinem Wunsche günstig zu stimmen. Der Regierungsrat sah jetzt, dass auch sein Sohn strenge arbeiten musste, wenn er vorwärts kommen wollte. Es war ein eifriges Streben unter den jungen Leuten, jeder suchte sich im neuen Reich einen eigenen guten Platz zu erobern. Walter und seine Freunde lachten viel über Martin Greffingers zornige Kritik der frisch errungenen Herrlichkeit.
Walter war kaum drei Monate in M., als er sich mit Eugenie Wutrow verlobte. Das kam selbst seiner Familie überraschend. Agathe hatte angenommen, Eugenie sei mit Martin heimlich versprochen. Wenige Tage vorher, bei einem gemeinsamen Spaziergang, der mit Kaffeetrinken in einem öffentlichen Garten endete, hatte sie zu sehen geglaubt, wie Martin unter dem Tisch nach Eugenies Hand fasste, und das Mädchen ließ sie ihm. Dabei tauschte sie, den Kopf in die Rechte gestützt, über den Tisch Neckereien mit Walter.
Sobald Agathe mit der Braut allein war, konnte sie nicht unterlassen, die Bemerkung hinzuwerfen:
»Ich glaubte, es wäre Martin, den Du gern hättest!«
»Einen sozialdemokratischen Studenten?« fragte Eugenie vorwurfsvoll. »Aber Agathe –! Den heiratet man doch nicht! – Und übrigens hasst er ja auch die Ehe«, fügte sie mit ihrem frivolen kleinen Lachen hinzu.
Ein Gefühl von Abneigung, von Verachtung gegen die neue Schwägerin peinigte Agathe, während ihr alle Bekannte Glück wünschten, weil ihr Bruder die liebste Freundin zur Frau wählte. Sie meinte, es sei ihre Pflicht, Eugenie noch einmal ernstlich zur Rede darüber zu setzen, ob sie Walter auch wirklich liebe. Aber nach dem ersten missglückten Versuch fand sie nicht den Mut. Was hätte Eugenie auch bewegen sollen, sich mit Walter zu verloben? Sie war ein reiches Mädchen und hatte schon verschiedene Anträge ausgeschlagen.
Die beiden Freundinnen berichteten sich getreulich jede Kleinigkeit ihres täglichen Lebens. Sie würden es sehr übel genommen haben, wenn eine von ihnen sich eine Schleife gekauft hätte, ohne die andere um Rat zu fragen und längere Verhandlungen darüber zu pflegen. Was aber im Innern ihrer zukünftigen Schwägerin vor sich ging, blieb Agathe eine so fremde Welt, wie es Eugenie ihr fantastisches Traumleben gewesen wäre. Jede hütete ängstlich die eigenen Geheimnisse.
VIII.
Zur Zeit, als die Kinder noch klein waren, hatte Frau Heidling nach dem Tode ihrer Schwiegermutter deren Köchin ins Haus genommen. Schon damals hieß sie die alte Dorte. Mit den Jahren hart und dürr geworden, gleich einem verwitterten Zaunstecken, und von galliger Gemütsart, arbeitete sie für die Familie mehr in zähem Eigensinn als in linder Treue. Wie oft sie schon gekündigt hatte und trotzdem geblieben war, konnte niemand mehr nachrechnen. Hörte man sie in der Küche vor sich hinbrummen und schelten, so musste man ihren Ausdrücken nach die Überzeugung gewinnen, ihre Herrschaft gehöre eigentlich in ein Narrenhaus. Den jungen Stubenmädchen, die ihr zur Hilfe gehalten wurden, bezeigte Dorte gleichfalls die grimmigste Verachtung und wurde von ihnen sehr gefürchtet; denn die alte Dorte war unermüdlich in der Arbeit und verlangte von den jungen Dingern das Gleiche. Deshalb beneideten die Rätinnen sämtlich Frau Heidling um den Schatz, den sie in der alten Küchendorte gefunden.
Ein Ehrgeiz hatte sich in dem verdorrten Gemüt der alten Magd herausgebildet. Sie wollte die Belohnung für fünfundzwanzigjährige Dienstleistung in ein und derselben Familie erwerben. Die Königin schenkte in solchen seltenen Fällen ein silbernes Kreuz und eine Bibel.
Und weil die Rätin Heidling Dortes Hoffnungen teilte, ja, weil im Grunde diese öffentliche Anerkennung der Herrin ebensoviel Ehre brachte, als der Dienerin, darum behielt sie sie geduldig im Haus, obwohl Dorte sich durchaus nicht geneigt erwies, Agathe Einblicke in ihre Kunst zu gestatten.
Konnte Agathe von Dorte nichts lernen, so nahm sie sich desto eifriger der Erziehung des kleinen Hausmädchens an, welches mit ihr zusammen konfirmiert worden war. Pastor Kandler hatte ihr die Verantwortung für das unverdorbene Landkind warm ans Herz gelegt. Sie gab also Wiesing Groterjahn am Sonntag Nachmittag Geschichten von Frommel und Marie Nathusius zu lesen, und hielt ihr kleine moralische Vorträge über die Schädlichkeit und die Gefahren der Tanzböden. Während Frau Regierungsrat es passender fand, das Mädchen Luise zu rufen, obwohl dem heimwehkranken Kinde anfangs jedes Mal die Tränen in die Augen schossen, nannte Agathe sie nach wie vor mit der traulichen Abkürzung »Wiesing«. Nahmen sie zusammen eine Arbeit vor, so unterhielt sie sich freundlich mit Wiesing und suchte ihr begreiflich zu machen, wie gut es für sie sei, in einem Hause zu dienen, wo keine Sorge und nichts von dem Elend, welches die Arbeiterinnen in Fabriken erwarte, an sie herantreten könne. Es bekümmerte Agathe zuweilen, dass trotz ihrer liebreichen Bemühungen Wiesing ihr kein rechtes Vertrauen zu schenken schien.
»Die Mädchen betrachten Euch als ihre natürlichen Feinde, und im Grunde haben sie recht darin«, hatte Martin einmal gesagt. Das konnte Agathe doch nicht verstehen.
Indessen interessierte sie sich nach und nach weit mehr für ihren imaginären Geliebten, als für die Seelenbildung des Hausmädchens, und bekümmerte sich nur noch um sie, wenn diese ihre Dienste brauchte.
»Fräulein«, sagte Wiesing eines Morgens, als sie Agathe warmes Wasser in ihr Schlafzimmer brachte, und dabei stand sie mit gesenkten Augen, »an meiner Tür is kein Riegel, könnte da nicht einer angemacht werden?«
»Ja – hast Du denn keinen Schlüssel?«
»Den hat der junge Herr abgezogen«, stotterte Wiesing.
»Der junge Herr? Was ist denn das für dummes Zeug! Du hast ihn sicher verloren!«
»Ne, Frölen!«