Gabriele Reuter

Gabriele Reuter – Gesammelte Werke


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ge­dacht, dass Du auch ge­ra­de so wür­dest, wie die an­de­ren alle!«

      Aga­the schmoll­te, und der Re­gie­rungs­rat setz­te sei­nen Nef­fen über die un­ge­hö­ri­ge Aus­drucks­wei­se zur Rede. Aga­the wur­de für ihre Emp­find­lich­keit hart ge­straft. Denn es ent­stand in­fol­ge des­sen zwi­schen ih­rem Va­ter und Mar­tin ein Streit, der, bei Kaf­fee und Ku­chen be­gon­nen, die ge­müt­li­che Vor­fei­er ver­gäll­te und sich bei un­zäh­li­gen Zi­gar­ren bis zum Abend fort­spann.

      Mar­tins Vor­lie­be für Her­weg­hs Ge­dich­te wur­de stren­ge ge­ta­delt.

      Aga­the hör­te, wäh­rend sie ab und zu ging, um ihre Ball-Vor­be­rei­tun­gen zu tref­fen, die zor­ni­gen Aus­ru­fe:

      »Wie kann man mit sol­chen An­sich­ten in den Staats­dienst tre­ten wol­len …? – Das Lei­den von Mil­lio­nen –. Die ka­pi­ta­lis­ti­sche Wirt­schaft –! Rei­ner So­zia­lis­mus – fla­ches Phra­sen­tum –. Ver­knö­cher­te Ge­wohn­heits­men­schen – ver­rot­te­te Bour­geoi­sie …«

      Mar­tins Au­gen be­ka­men einen wil­den, fürch­ter­li­chen Aus­druck, und die höh­ni­schen Fal­ten, die jetzt im­mer um sei­ne trot­zig auf­ge­wor­fe­nen und noch fast bart­lo­sen Lip­pen la­gen, ver­stärk­ten sich zur Gri­mas­se. Der Re­gie­rungs­rat ging in der Stu­be auf und nie­der, wie er es zu tun pfleg­te, wenn er in sehr schlech­ter Lau­ne war.

      Mama – die schon den gan­zen Tag ihre Neur­al­gie fürch­te­te – sie hat­te so viel her­um­lau­fen müs­sen und das be­kam ihr im­mer schlecht, aber Aga­the konn­te doch noch nicht selbst für ih­ren An­zug sor­gen – die arme Mama muss­te sich wirk­lich in der Ne­ben­stu­be aufs So­pha le­gen. Da­zwi­schen kam die Fri­seu­rin – na­tür­lich viel spä­ter, als man sie er­war­tet hat­te – es war ein Ja­gen und Het­zen, bis man nur fer­tig wur­de, und al­les roch nach Hoff­mann­s­trop­fen und Bal­dri­an­tee, Mit­tel, wel­che die Re­gie­rungs­rä­tin nahm, um sich zu be­le­ben. Die Män­ner wa­ren kaum aus­ein­an­der zu brin­gen. Aga­the soll­te sich vor dem großen Spie­gel im Sa­lon an­klei­den. Ach, wie das al­les un­ge­müt­lich und schreck­lich war!

      Als sie ihre Toi­let­te be­en­det hat­te, muss­te sie sich wie auf ei­ner Dreh­schei­be lang­sam vor der ver­sam­mel­ten Fa­mi­lie und den Dienst­bo­ten her­um­dre­hen. Der Kron­leuch­ter war dazu an­ge­zün­det wor­den.

      Bei den schmei­chel­haf­ten Be­mer­kun­gen ih­res Va­ters, der al­ten Kü­chend­orte Be­geis­te­rungs­ge­brumm, dem auf­ge­reg­ten Ent­zücken des klei­nen Haus­mäd­chens und dem stil­len Tri­umph auf ih­rer Mut­ter lei­den­dem Ge­sicht, er­fass­te sie eine be­klem­men­de Freu­de. Sie war sich so fremd dort im Spie­gel; in den duf­ti­gen wei­ßen Rü­schen und Vo­lants, von den lan­gen Ro­sen­ran­ken gleich­sam um­spon­nen, mit dem auf­ge­türm­ten, ge­kräu­sel­ten Haar kam sie sich bei­na­he vor wie eine Schön­heit! Wenn sie nun aus all den hun­dert Mäd­chen auf dem Ju­ris­ten­ball für die Kö­ni­gin er­klärt wur­de? – Mama brach­te ihr ein Glas Rot­wein, weil sie plötz­lich so blass aus­sah.

      Ei­nen Wa­gen hat­te man nicht neh­men wol­len, der Weg war ja gar nicht weit. Aga­the fand es recht er­bärm­lich, in großen Über­schu­hen und mit hoch­ge­steck­ten Rö­cken, zu ei­nem wah­ren Un­ge­heu­er ver­mummt, durch Re­gen und Schnee zu pat­schen, und noch dazu in Mar­tins Ge­gen­wart. Sie sah nei­disch nach je­der Ka­ros­se, die an ih­nen vor­über­don­ner­te. Bei­na­he wäre der Streit über Mar­tins Wel­t­an­schau­ung zwi­schen On­kel und Nef­fen un­ter­wegs noch ein­mal aus­ge­bro­chen, dann schrit­ten sie in fins­te­rem Schwei­gen, der eine vor­aus, der an­de­re hin­ter­drein.

      Aga­the würg­te an ih­ren Trä­nen.

      Über den Lei­den der Mil­lio­nen hat­te Mar­tin ihr Ball­bou­quet ver­ges­sen.

      *

      Da stan­den die jun­gen Mäd­chen in lan­gen Rei­hen und in klei­nen Grup­pen – wie ein rie­sen­haf­tes Beet zar­t­ab­ge­tön­ter Früh­lings­hya­cin­then – ro­sen­rot, bläu­lich, mais­gelb, weiß, hell­grün. Die Hän­de über dem Fä­cher ge­kreuzt, die Ell­bo­gen der ent­blö­ßten, frös­teln­den Arme eng an die Hüf­ten ge­drückt, vor­sich­tig mit­ein­an­der flüs­ternd und die blu­men­ge­schmück­ten, blon­den und brau­nen Köp­fe zu schüch­ter­nem Gru­ße nei­gend. Nur ei­ni­ge, die schon län­ger die Bäl­le be­such­ten, wag­ten zu lä­cheln, aber die meis­ten brach­ten es nur zu ei­nem Aus­druck von Span­nung.

      Ge­trennt von dem duf­ti­gen, re­gen­bo­gen­far­bi­gen Klei­der­ge­wölk, den wei­ßen, nack­ten, ängst­li­chen Schul­tern – ge­trennt durch einen wei­ten lee­ren Raum, der hoch oben mit ei­ner reich­ver­zier­ten Stuck­de­cke, nach un­ten mit ei­nem spie­gel­glat­ten Par­kett ab­ge­schlos­sen wur­de – eine Mau­er von schwar­zen Frä­cken und wei­ßen Vor­hem­den, die so hart und blank er­glänz­ten wie das Par­kett, und re­gel­recht ge­schei­tel­tes, kurz­ge­schnit­te­nes Haar, sorg­sam ge­dreh­te klei­ne Schnurr­bärt­chen. Aus der männ­li­chen Sei­te trat haupt­säch­lich das Be­mü­hen, die wei­ßen Hand­schu­he über­zu­strei­fen, her­vor und au­ßer­dem wie drü­ben ein halb­lau­tes Flüs­tern, ein stei­fes Ver­beu­gen, ein erns­tes Hän­de­schüt­teln. Von der schwar­zen Pha­lanx son­der­te sich ein klei­ner Kreis blit­zen­der Epau­let­ten und Uni­for­men ab. Hier wur­de lau­ter ge­schwatzt, die Ka­me­ra­den mus­ter­ten den Saal mit spöt­ti­schem Sie­ger­blick und wag­ten sich leich­ten, tan­zen­den Schrit­tes über den fürch­ter­li­chen lee­ren Raum zu dem Hya­cin­then­beet, durch wel­ches dann je­des Mal ein lei­ses Zit­tern und Be­we­gen lief.

      Zu zwei­en und drei­en lös­ten sich nun auch die schwar­zen Ge­stal­ten aus der Men­ge und tauch­ten nach Tän­ze­rin­nen zwi­schen die lich­ten bun­ten Klei­der­wol­ken. Vom Ran­de des Saa­l­es aber starr­ten und starr­ten vie­le Mut­ter­au­gen zu den sich in Schlachtrei­hen ge­gen­über­ste­hen­den Heer­scha­ren, und wie gern hät­te man­cher Mund aus dem Hin­ter­grund Be­feh­le und An­wei­sun­gen her­über­ge­ru­fen. Die Vä­ter ver­harr­ten gleich­sam als der Train und die Fou­ra­ge­meis­ter, die eine Ar­mee ja nicht ent­beh­ren kann, in den Ne­ben­stu­ben und in den Tü­ren des Tanz­saals.

      Und nun schmet­ter­ten die Fan­fa­ren zum An­griff, und die Schwar­zen stürz­ten sich auf die Hel­len, al­les wir­bel­te durch­ein­an­der und die Schlacht konn­te be­gin­nen. Hei – das gab hei­ße Ar­beit! Wie die Schweiß­trop­fen über die männ­li­chen Ge­sich­ter ran­nen und ver­ge­bens mit wei­ßen Tü­chern ge­trock­net wur­den! Wie die Tar­la­tan­fet­zen von den dün­nen Klei­dern flo­gen, wie die fri­sier­ten Haa­re sich lös­ten und die Schul­tern warm und die Au­gen le­ben­dig wur­den!

      Und wie die Müt­ter in ih­ren Un­ter­hal­tun­gen ganz ver­stumm­ten und mit vor­ge­streck­ten Häl­sen, mit Lor­gnet­ten und Knei­fern – eine sehr Kurz­sich­ti­ge ge­brauch­te so­gar ein Opern­glas – in dem Ge­wo­ge die ein­zel­nen Paa­re ver­folg­ten.

      Und wie die Vä­ter sich ge­müt­lich zu Bier und Skat nie­der­lie­ßen und zu lan­gen po­li­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, die doch nichts Auf­re­gen­des hat­ten, weil man im Grun­de als preu­ßi­scher Be­am­ter nur eine Mei­nung ha­ben konn­te und al­ler­seits treu zu Kai­ser und Reich stand.

      Ja, nun war die Ball­freu­de auf ih­rem Hö­he­punkt an­ge­kom­men!

      *