Gabriele Reuter

Gabriele Reuter – Gesammelte Werke


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blass­ro­sa Haut.

      Es war in die­sem Win­ter die Mode, klei­ne ova­le Krän­ze zu tra­gen. Eu­ge­nie hat­te auch die­sen Schmuck ver­schmäht. Ihr Haar war nicht ein­mal sehr kunst­voll ge­ord­net, der sei­ne blon­de Kopf mit den scharf­bli­cken­den grau­en Au­gen und den am Tage et­was har­tro­ten Far­ben war in einen Pu­der­schlei­er gehüllt, der ihm ein ver­wisch­tes, sa­nier­tes Aus­se­hen gab. Aber von den köst­lich ge­form­ten Schul­tern und Ar­men schi­en förm­lich ein Glanz, ein sanf­tes wei­ßes Licht aus­zu­strah­len. Um den Hals war statt ei­ner gol­de­nen Ket­te ein Streif­chen farb­lo­sen Il­lu­si­ons­tülls ge­wi­ckelt und ne­ben dem Ohr zu ei­ner kin­di­schen Schlei­fe ge­knüpft. Eine Lau­ne … Aga­the wuss­te, dass ihre Freun­din an der Stel­le un­ter dem Ohr eine häss­li­che Nar­be be­saß.

      »Die ver­steht’s … Na, Kin­der – alle Ach­tung! Die ver­steht’s!« sag­te On­kel Gu­stav mit ehr­furchts­vol­lem Aus­druck. Er galt in der Stadt für den feins­ten Ken­ner weib­li­cher Schön­heit. Sei­ne ge­schie­de­ne Ge­mah­lin soll­te eine be­zau­bern­de Frau – ein wah­rer Dä­mon an Reiz ge­we­sen sein, er­zähl­te man sich.

      Als Aga­the die Fül­le ele­gan­ter Er­schei­nun­gen sah, ver­lor sie plötz­lich jede Hoff­nung auf Er­folg. Sie wur­de un­si­cher, wuss­te nicht, wie sie ste­hen, wie sie die Hän­de hal­ten, wo­hin sie bli­cken soll­te. Ihre Mut­ter kam zu ihr her­an und nahm ihr den schwan­be­setz­ten Kra­gen ab, den sie in ih­rer Ver­wir­rung um­be­hal­ten hat­te. Die Re­gie­rungs­rä­tin flüs­ter­te ihr zu, nicht so ein ernst­haf­tes Ge­sicht zu ma­chen, sonst wür­de kein Herr sie zum Tanz auf­for­dern.

      Gott! Das wäre ent­setz­lich! Aga­the be­gann eine Angst zu füh­len, wie sie bis­her in ih­rem jun­gen Le­ben noch nicht ge­kannt hat­te. Ge­trie­ben von die­ser Angst, de­ren sie sich doch schäm­te, drück­te sie sich hin­ter ihre Freun­din­nen und flüch­te­te in eine Ecke des Saa­l­es.

      Es wäre ja eine sol­che Schan­de ge­we­sen, auf ih­rem ers­ten Bal­le sit­zen zu blei­ben! Sie be­reu­te, Mar­tins Aner­bie­ten, den Er­öff­nungs-Wal­zer mit ihr zu tan­zen, nicht an­ge­nom­men zu ha­ben. Heu­te Mor­gen kam ihr das wie ein arm­se­li­ger Not­be­helf vor – jetzt wäre sie glück­lich über den Not­be­helf ge­we­sen. Sie sah Eu­ge­nie in der vor­ders­ten Rei­he um­ringt von fünf bis sechs Her­ren, die ihre Tanz­kar­te von Hand zu Hand ge­hen lie­ßen und eif­rig dar­über be­rat­schlag­ten. Und zu ihr war im­mer noch nie­mand ge­kom­men …

      Ne­ben ihr stand ein häss­li­ches ält­li­ches Ge­schöpf, mit sanf­ten er­ge­be­nen Au­gen, das trös­tend zu ihr sag­te: »Es sind im­mer so viel mehr Da­men als Her­ren da.« Gro­ße Grup­pen von jun­gen Män­nern spra­chen un­be­fan­gen mit­ein­an­der, es fiel ih­nen gar nicht ein, dass man von ih­nen er­war­te­te, sie soll­ten tan­zen.

      Ein kahl­köp­fi­ger As­ses­sor, der für sehr ge­scheut und lie­bens­wür­dig galt, streif­te lang­sam an den Da­men­rei­hen vor­über. Er sah durch sei­nen Klem­mer jede Ein­zel­ne an, vom Stirn­löck­chen bis her­un­ter auf die wei­ßen At­las­schu­he prüf­ten sei­ne Bli­cke. Er kam auch zu den Schüch­ter­nen im Hin­ter­grun­de. Aga­the, de­ren Va­ter er kann­te, wur­de von ihm ge­grüßt. Er blieb eine Se­kun­de vor ihr ste­hen. Sie hielt die Tanz­kar­te in den zit­tern­den Fin­gern und mach­te eine un­will­kür­li­che Be­we­gung, sie ihm zu rei­chen.

      »Wol­len gnä­di­ges Fräu­lein nicht tan­zen, dass Sie sich so zu­rück­ge­zo­gen ha­ben?« frag­te er und schlen­der­te wei­ter.

      Aga­the biss die Zäh­ne in die Lip­pe. Et­was Ab­scheu­li­ches quoll in ihr auf: ein Hass – eine Bit­ter­keit – ein Schmerz … Sie hät­te mö­gen zu ih­rer Mut­ter stür­zen und schrei­en: Wa­rum hast Du mich hier­her­ge­bracht? Wa­rum hast Du mir das an­ge­tan – das – das – die­ser Schimpf, der nie wie­der von ihr ab­ge­wa­schen wer­den konn­te.

      Der Tanz be­gann. Ein blon­des Bür­sch­chen steu­er­te durch die sich dre­hen­den Paa­re auf die Ecke zu, wo Aga­the mit dem ält­li­chen Ge­schöpf ste­hen ge­blie­ben war. Sei­ne Au­gen staun­ten Aga­the be­wun­dernd an – er wur­de rot vor Ent­zücken bei dem Ge­dan­ken, dass er sie in den Ar­men hal­ten kön­ne – aber er war ihr nicht vor­ge­stellt – und … nein, ehe er ge­wagt hät­te sich selbst mit ihr be­kannt zu ma­chen, eher hol­te er die Freun­din sei­ner Schwes­ter an ih­rer Sei­te. Dank­bar hüpf­te das ält­li­che Ge­schöpf mit dem Kerl­chen da­von und Aga­the blieb al­lein.

      Da wur­de sie plötz­lich be­merkt und al­les wun­der­te sich, dass sie nicht tanz­te, sie war doch un­strei­tig ei­nes der hüb­sche­s­ten Mäd­chen. Die Müt­ter tausch­ten ihre Be­mer­kun­gen, sie ka­men zur Re­gie­rungs­rä­tin Heid­ling und die­se lä­chel­te mit ih­rem ar­men, von wü­ten­den Ner­ven­schmer­zen schief­ge­zo­ge­nen Mun­de und sag­te freund­lich: »Ja – das sind Bal­ler­fah­run­gen.« Alle Müt­ter wa­ren ei­nig: Die jun­gen Mäd­chen muss­ten not­wen­dig sol­che Er­fah­run­gen ma­chen. Aber meh­re­re dach­ten im Stil­len, es sei doch recht un­ge­schickt von der Re­gie­rungs­rä­tin, nicht vor dem Ball eine Ge­sell­schaft mit ei­nem gu­ten Sou­per ge­ge­ben zu ha­ben, bei der ihre Toch­ter für alle Tän­ze en­ga­giert wor­den wäre. Die Re­gie­rungs­rä­tin hat­te zu fest auf den zar­ten, un­schulds­vol­len Reiz von Aga­thes sieb­zehn Jah­ren ge­baut.

      Als er­in­ne­re sich je­der Herr ei­nes un­ver­zeih­li­chen Ver­ge­hens, wur­de Aga­the nun fort­wäh­rend zu Ex­tra­tou­ren ge­holt. Sie ver­such­te ver­gnügt zu wer­den, aber das ver­geb­li­che War­ten hat­te ihr die Stim­mung ver­dor­ben. Der star­ke Ge­ruch der Po­ma­de auf den Köp­fen ih­rer Tän­zer, ein an­de­res un­er­klär­li­ches Et­was, das von den Män­nern aus­ging, de­nen sie plötz­lich so nahe kam, ver­ur­sach­te ihr Un­be­ha­gen. Die Art und Wei­se, wie gleich der Ers­te sie um­fass­te und tan­zend fest und fes­ter an sich press­te, war ihr pein­voll. Der Zwei­te streck­te ihr den Arm wie einen ge­zück­ten Speer, mit dem er sich einen Weg durchs Ge­drän­ge bah­nen woll­te, wa­ge­recht hin­aus; der Drit­te drück­te ihre Hand krampf­haft in der sei­nen und stöhn­te und schnauf­te. Ein Vier­ter schwenk­te ih­ren und sei­nen Arm wild im Tak­te auf und nie­der und trat ihr be­stän­dig auf die Ze­hen.

      Mit ih­rem Bru­der und den Vet­tern hat­te sie sich si­cher und fröh­lich ge­schwun­gen – hier ver­gaß sie al­les Ge­lern­te, wi­der­streb­te steif und ängst­lich dem Füh­rer und mach­te die dümms­ten Feh­ler. Es war ihr eine Er­lö­sung, als On­kel Gu­stav sie ein­mal hol­te.

      On­kel Gu­stav hat­te je­der von Aga­thes Freun­din­nen ein Fläsch­chen »Ju­gend­born« ge­schenkt, und for­der­te nun alle die jun­gen Da­men auf, um sich von der Wir­kung sei­nes Schön­heits­was­sers zu über­zeu­gen. Er tanz­te aus Ge­schäfts­rück­sich­ten. Wäh­rend er mit rit­ter­li­cher Gran­dez­za sei­ne Nich­te im Arm hielt, hör­te sie ihn halb­laut sa­gen: »Zu viel Ben­zoë – et­was mehr La­wen­del könn­te nicht scha­den – was meinst Du, Aga­the?«

      Aber er tanz­te da­bei viel, viel bes­ser als die jun­gen Her­ren, das wur­de all­ge­mein an­er­kannt. Er war auch aus­ge­zeich­net ge­schmack­voll ge­klei­det – nie­mand wuss­te, wie er das bei sei­nen spär­li­chen Ein­nah­men mög­lich mach­te. Zu­wei­len gab er den rei­chen jun­gen Kauf­leu­ten oder den Stre­bern un­ter den Ju­ris­ten mit her­ab­las­sen­der Mie­ne, als ver­mitt­le er ih­nen ein wich­ti­ges di­plo­ma­ti­sches Ge­heim­nis, die