Die Persokeits sind vor fast dreißig Jahren hier nur mit dem, was sie am Leibe trugen, und einem Koffer eingefallen und haben jetzt Land und Haus meiner Eltern.«
Paulina nickte. »Was meine Ansicht nur bestärkt, dass die Persokeits gewiefter sind als die Staroskis. Aber«, meinte sie sich umschauend, »so weit ist’s mit dem Haus ja auch nicht mehr her und das Land, na ja, das hat nun eure
LPG.«
Als Paulina am nächsten Morgen in ihren Benz stieg, um abzureisen, musste sie sehen, dass der Stern auf der Motorhaube abgebrochen war und nur noch ein kleiner Stummel emporlugte. Sie stieg aus und fluchte.
»Solche Vandalen!«, schimpfte sie. »Hier im Osten wissen die Eigentum nicht zu schätzen.«
»Im Westen werden auch die Sterne geklaut«, hielt Uwe dagegen.
Paulina schaute ihn giftig an. »Das habt ihr wohl in eurem Schwarzen Kanal über den Westen gehört?«
Nun war es Matthias, der entgegnete: »Bei Böll gelesen, in ›Frauen vor Flusslandschaft‹.«
Es schwang Erstaunen in der Stimme, als sie fragte: »Du liest?«
Die Gruppe blickte zu Matthias, der das mit einer Art entschuldigender Geste und einem »Hm« bestätigte. Ein wenig sonderbar erschien er der Familie schon.
Gudrun, ihr Bruder und die beiden Jungen gingen dichter ans Auto, um das Malheur zu betrachten.
Paulina blickte ihren jungen Cousins abwechselnd in die Augen, entschied sich für Uwe und schrie diesen an: »Du warst das, Staroski! Von dir bekomme ich den Schadensersatz.«
»Lass meinen Jungen aus dem Spiel!«, forderte sein Vater.
Matthias protestierte für beide Brüder: »So was machen wir nicht!«
Und auch Gudrun stand ihnen zur Seite: »Paulina, von der Familie macht doch so was keiner!«
»Das ist mir eine feine Familie. Ich habe jetzt auch noch den ganzen Ärger mit der Versicherung.«
Matthias ging dicht an das Fahrzeug heran und betrachtete den Rest des Sternenfußes. Kenntnisreich gab er zum Besten: »Der das gemacht hat, hat nicht Böll gelesen. Dort wird kräftig gegen den Stern geschlagen und dieser herausgedreht. So bekommt man den ganzen Stern heraus. Hier hat jemand mit Gewalt am Stern gehebelt, bis der an der Sollbruchstelle nachgab.«
Paulina schüttelte den Kopf. »Bedienungsanleitungen für Diebe schreiben und dafür noch den Nobelpreis kassieren! Das ist ja abartig! Wer Böll liest, der kann auch gleich im Osten bleiben. Dafür habe ich keinerlei Verständnis.«
Nachdem Paulina abgefahren war, nahm Uwe seinen Bruder beiseite und zog etwas aus seiner Hosentasche. Stolz präsentierte er den in der Sonne glänzenden Mercedes-Stern.
Als Paulina einige Zeit nach ihrer Reise vom Verhältnis ihres Mannes mit einer jüngeren Arzthelferin erfuhr, ließ sie über ihren Anwalt einen Scheidungsantrag einreichen. Parallel zum Scheidungsverfahren einigten sich die Eheleute durch eine notarielle Scheidungsfolgenvereinbarung darauf, dass Paulina das Haus, in dem sie wohnte, und eines der Ferienhäuser an der spanischen Küste erhielt. Und da gab es noch ein kleines Detail: Die Tochter Paula, die es ja auch noch gab, die durfte der Vater behalten.
Nach dem Fall der Mauer kehrte Paulina ins Oderbruch zurück, kaufte sich in Dorfnähe ein einzeln stehendes Bauernhaus in bester Lage, direkt am See, ließ es mithilfe eines neuen Bekannten, eines pensionierten Architekten, wiederherrichten und trennte sich, als das Haus fertig war, wieder von ihm.
Paulina prahlte nicht mit ihrem Geld und ihren Immobilien. Alle wussten, dass sie es zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht hatte. So war sie nicht abgeneigt, dem ein oder anderen Bauern, dem die Banken keine Kredite mehr gewährten, finanziell unter die Arme zu greifen, wenn er Hilfe benötigte. Sie nahm als Sicherheit neben Bürgschaften und Belastungen von Grundstücken auch Familienschmuck, Jagdwaffen, Fahrzeugbriefe mit Zweitschlüsseln und so mancherlei anderes Erlaubtes und auch andere Dinge entgegen. Die Zinsen, die sie sich versprechen ließ, waren überhöht, aber die Bittsteller hatten keine Wahl.
Die von Uwe betriebene Landwirtschaft geriet in Zahlungsschwierigkeiten; auch hier half sie aus. Als er seine erste Rate zurückzahlen wollte, zog die Alte zusätzlich 200 Euro ab. Auf Uwes Frage, was das solle, antwortete sie: »Für den abgebrochenen Mercedes-Stern damals, nebst Zinsen für zwanzig Jahre.«
Uwe hatte immer wieder Probleme, die Pacht für die Ländereien zu zahlen, die er hinzupachten musste, um die Landwirtschaft wirtschaftlich betreiben zu können. Ohne die von seiner Tante Gudrun zu Familienpreisen gepachteten Flächen wäre es sowieso nicht rentabel gewesen.
Matthias und Uwe kümmerten sich weiter um das Haus ihrer Tante Gudrun und um die Tante selbst, als sie ein Pflegefall wurde. Sie änderte aus Dankbarkeit das Testament, welches zunächst nur Paulina bedacht hatte, zugunsten ihrer Neffen. Als sie starb, gab es einen langwierigen und kostspieligen Rechtsstreit um Gudruns Erbe. Sie hätte nach dem Tod ihres Ehemannes das ursprüngliche gemeinschaftliche Testament nicht mehr einseitig zu Paulinas Lasten ändern dürfen.
Paulina erbte Haus, Hof und den Acker ihrer Stiefmutter, wie es im ursprünglichen Testament niedergeschrieben war. Dabei handelte es sich um die Ackerflächen, die Uwe unbedingt benötigte. Die Pachtverträge mit Uwe kündigte Paulina jedoch mit sofortiger Wirkung, und sicherheitshalber sandte sie auch noch ordentliche Kündigungen der Landpachtverträge hinterher, um das Land an eine Agrargesellschaft verkaufen zu können, die einen anderen Pächter auf dem Land nicht duldete. Diese Kündigungen hätten wieder den wirtschaftlichen Untergang des Landwirtschaftsbetriebes bedeutet. Also verklagte diesmal Uwe seine Cousine. In diesem erneuten Rechtsstreit wurde festgestellt, dass Paulina die Pachtverträge nicht ohne Weiteres hätte kündigen dürfen. Die außerordentlichen Kündigungen wurden kassiert, jedoch blieben die Kündigungen rechtens und in der Welt, die mit ordentlicher Kündigungsfrist ausgesprochen worden waren. Folglich war es nur eine Frage der Zeit, wann Uwe das ursprünglich von Tante Gudrun gepachtete Land zurückgeben musste; die Uhr tickte.
Nun musste auch Matthias wegen des Ausfalls mehrerer Zahlungen eines Großkunden bei der Cousine um einen Kredit bitten. Der Ärger mit Uwe war für sie kein Grund, um auf das Geschäft mit Matthias zu verzichten, den sie von den beiden Brüdern ohnehin immer vorgezogen hatte.
Die Alte hatte all die Unterlagen, auch die zu ihren Neffen, wieder im Sekretär verschlossen. Sie erhob sich aus ihrem Sessel. Es war spät geworden. Mit schweren, müden Beinen ging sie eine Etage hinauf in ihr Schlafzimmer. Bevor sie in einen leichten Schlaf hinabtauchte, dachte sie kurz darüber nach, ob es nicht doch besser gewesen wäre, das Fahrzeug in die Garage zu fahren.
Sie wusste nicht, wie spät es war, als sie wieder erwachte. Das Bett war noch nicht warm. Lange konnte sie nicht geschlafen haben.
Was war das? Ein Geräusch, das nicht in das Haus passte. Wach war sie ohnehin. Da konnte sie auch gleich nachschauen, was es da gab. Einbrecher? Das würde hier keiner wagen. Und wenn doch, denen würde sie schon Beine machen. Sicher war es wieder ein Iltis oder so ein komischer Nager, der sich im Dachstuhl des Hauses eingenistet hatte.
Sie stand auf und machte sich auf die Suche. Das konnte es doch nicht geben! Da stand ein großer Mann in Handschuhen und mit einer lächerlich wirkenden Skimaske über dem Kopf.
»Was machen Sie denn hier? Aber raus aus meinem Haus!« Beherzt ging sie auf den Mann zu. »Ich spreche mit Ihnen. Antworten Sie gefälligst! Was soll diese Scharade? Von wegen ›Ihnen‹«, meinte sie, die Augen zusammenkneifend, »ich weiß ganz genau, wer du bist! Du siehst selbst in dieser Verkleidung lächerlich aus.«
Der Einbrecher stand nur wortlos da und wusste nicht, was er nun machen sollte.
Die Alte stellte sich dicht vor den großen Mann und musste sich ziemlich recken, um ihm die Maske vom Kopf zu reißen. »Wusste ich’s doch, der …«
Der Mann griff den Hals der Alten und drückte zu. Drückte immer noch zu, als ihre Beine schon wichen.
Das Beispiel »Jauchegrube-Fall«
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