Verfahren Sinn haben. Aber hier liegt die Sache anders. Und wenn Ihr Sohn nicht mehr an dem zunächst beauftragten Wahlverteidiger festhalten will …«
»So habe ich’s verstanden. Sie sollen das Mandat übernehmen.«
»Wenn Ihr Sohn den anderen Wahlverteidiger nicht mehr möchte, müsste er jenes Mandatsverhältnis kündigen, bevor er mich beauftragt.«
Sie nickte. »Und der Pflichtverteidiger?«
»Da, glaube ich, wird’s nicht so einfach. Ich kann dem Gericht dann mitteilen, dass ich der neue Wahlverteidiger bin und für den Fall, dass ich als Pflichtverteidiger beigeordnet werde, das Wahlmandat beende, aber darauf muss sich das Gericht nicht einlassen. Irgendetwas, was das Verhältnis zum bisherigen Pflichtverteidiger so erschüttert hat, dass man davon ausgehen kann, dass das notwendige Vertrauen unüberwindbar zerrüttet ist, ist für mich jetzt erst mal nicht ersichtlich.«
»Und dass mein Sohn den Eindruck hat, dass der sich nicht genügend engagiert?«
»Das reicht nicht aus. Woran wollen Sie das festmachen? Nur daran, dass der Pflichverteidiger nicht bei den Vernehmungen dabei war? Wenn man alle Ermittlungsverfahren nimmt, ist es sogar die weitaus größere Masse, in denen Beschuldigtenvernehmungen ohne den Anwalt erfolgen. Das kann man auch im vorliegenden Fall nicht als Grund einer unüberbrückbaren Störung des Vertrauensverhältnisses heranziehen.«
»Also bleibt der alte Pflichtverteidiger?«
»Danach sieht es bisher aus.«
»Und die Kosten für Ihre Inanspruchnahme?«
»Die müsste in der vorliegenden Konstellation Ihr Sohn tragen.«
Eine Woche später stand ich am Besuchereingang der Justizvollzugsanstalt Brandenburg und wurde durch verschiedene Schleusen und Gänge in die Besucherzelle geschickt und geführt. Es ist die größte JVA im gleichnamigen Land; das älteste Gefängnis im Lande, inzwischen komplett modernisiert. Die neuen Besucherzellen sind mit den Möbeln und der Farbe wie kleine Büros gehalten. Für meinen Mandanten machte es die Sache aber nicht besser. Weder war bis zu diesem Zeitpunkt die Strafakte vom Gericht an die Kanzlei geschickt, noch war abgestimmt worden, dass wir sie in einer Geschäftsstelle abholen könnten. So war ich denkbar schlecht vorbereitet. Gleichwohl war es mir wichtig, den Mandanten so schnell wie möglich aufzusuchen.
Als der Untersuchungsgefangene Staroski in die Besucherzelle geführt wurde, war mein erster Gedanke, dass doch so kein Mörder aussehen dürfte. Er war zwar groß und kräftig, sodass er körperlich durchaus in der Lage wäre, ein Opfer zu erwürgen, aber mit seinen auffällig blauen und gütig blickenden Augen mit den Lachfältchen an den Seiten wirkte er völlig friedfertig.
Nach den Haftbedingungen gefragt, antwortete ein äußerlich gelassen wirkender Mensch: »Das geht schon alles in Ordnung.«
Er wollte offensichtlich den Eindruck vermitteln, dass er sich in sein Schicksal füge.
Völlig atypisch waren dann auch seine Angaben zur Tat.
Ja, er habe seine Cousine umbringen wollen. »Nicht ganz zu Beginn, da wollte ich noch … Aber das lief dann alles aus dem Ruder.« Er stockte.
»Hm.« Ich nickte. »Was wollten Sie zu Beginn?«
»Ich wusste doch gar nicht, dass sie so einen leichten Schlaf hat. Ich war mucksmäuschenstill. Eigentlich wollte ich nur die Unterlagen klauen, meine und die all der anderen, die sie auspresste. Zur Sicherheit habe ich mir auch eine Skimaske aufgesetzt. Das hätte ich doch nicht getan, wenn ich sie von Anfang an hätte umbringen wollen.«
»Es sei denn«, widersprach ich, »Sie wollten trotz einer Mordabsicht von Ihrem eigentlichen Willen durch das Tragen einer Maske ablenken. Oder Sie trugen sie, um bei der Verwirklichung Ihres Mordplanes nicht von Dritten erkannt zu werden.«
Er überlegte nur kurz. »Könnte sein. Aber Dritte waren nicht zu befürchten. Freiwillig ist keiner zur Tante gekommen. Aber letztlich habe ich sie umgebracht, und deshalb sitze ich hier und Sie da drüben. Das hat alles seine Richtigkeit.« Mein Mandant blickte zu meiner Seite des Tisches, den Blick gesenkt, die Zähne aufeinanderbeißend.
Das sah so aus, als ob da noch etwas hinaussprudeln wollte aus ihm, was er unterdrückte. Das war nicht üblich. Kein Widerspruch, kein Rechtfertigungsversuch.
»Welche Unterlagen wollten Sie denn stehlen?«
»Die Bürgschaftsurkunde natürlich. Sie hatte mir zur Überbrückung meiner Zahlungsschwierigkeiten ein Privatdarlehen gewährt.« Er blickte sich im Raum um. »Größere Summen Geld hatte sie auch immer im Haus.« Wieder unterbrach er sich. »Letztlich hat das dann alles nicht geklappt. Sie kam dazu, ich bekam Panik und habe sie getötet.« Wieder machte er eine kleine Pause. »Aber dann hätte ich auch noch die anderen Dokumente geklaut, mit denen sie andere Leute auspresste.«
»Ihren Bruder Uwe zum Beispiel?«
Er sah mir direkt in die Augen. In seinen lag immer noch der gütige Ausdruck und auch ein wenig Traurigkeit.
»Uwe lassen Sie da mal schön raus. Dass das klar ist! Mit dem war die Alte doch schon fertig. Mein Bruder steht völlig hinter mir. Der leitet sogar meine Firma für mich weiter, während ich hier sitze.«
Ich versuchte wieder, seinen Blick einzufangen. »Alles aus reiner Bruderliebe? Oder hat er etwas gutzumachen?«
Matthias Staroski blieb ruhig. »Wie ich schon sagte. Meinen Bruder lassen Sie aus dem Spiel … Sonst entziehe ich Ihnen auch gleich wieder das Mandat.«
»Okay. Sie sind mein Auftraggeber. Aber Sie müssen es mir nachsehen, dass ich alle Möglichkeiten erwäge, um der Sache auf den Grund und Zweifeln an Ihrer Schuld nachzugehen.«
»Aber nicht in Richtung meines Bruders. Der hat mit der Sache nichts zu tun! Sie sollen mich so gut wie möglich unter der Bedingung verteidigen, dass ich Frau Paulina Persokeit umgebracht habe.«
Ich machte eine Kopfbewegung, die er als ein Nicken wertete.
»Wenn Sie schon eingebrochen und das Opfer umgebracht haben wollen, weshalb nahmen Sie dann letztlich kein Geld und die Sie betreffenden Unterlagen mit?«
»Nicht ›umgebracht haben wollen‹, sondern ›umgebracht habe‹«, korrigierte er mich. »Ja, wenn ich das wüsste. Das ging alles so schnell, und dann wollte ich nur noch irgendwie die Leiche wegbekommen, egal wie.«
»Und was geschah weiter?«, forschte ich.
»Wie weiter?«
»Na, fangen wir doch vorne an. Sie gingen also hinein ins Haus. War es offen?«
»Quatsch! Mit einem Stemmeisen habe ich eines der Wohnzimmerfenster aufgehebelt.«
»Das ging so einfach?«
»Schon. Die war ja geizig und hat bloß solche Billigdinger vom Baumarkt einbauen lassen.«
»Aber Krach hat das doch schon gemacht, oder? Sie meinten vorhin, dass Sie mucksmäuschenstill gewesen seien.«
Der Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht. »Da war die Maus dann eben doch ein wenig lauter.«
»Ist Frau Persokeit dadurch wach geworden?«
»Kann schon sein. Sie kam herunter, schrie mich an und riss mir die Maske vom Kopf. Dabei schrie sie so etwas wie ›Wusste ich’s doch, der Staroski‹ oder so ähnlich.«
Ich vergegenwärtigte mir die Größe des Mandanten. »Wie groß war denn das Opfer?«
Er durchschaute sofort meine Frage. »Sie musste sich schon etwas recken, um mir die Maske vom Kopf zu reißen.«
»Ihr Bruder, ist der größer oder kleiner als Sie?«
Sein Blick versteinerte wieder.
»Wie gesagt: Den lassen Sie da mal raus! Der war es ganz gewiss nicht.«
Mich beschlich das Gefühl, dass ich hier nicht weiterkommen würde, und ich beschloss, das Gespräch