Bernd Hesse

Durch die Hölle


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der Vernehmung neulich, da ist einiges schiefgelaufen, glaube ich. Ich habe die Alte umgebracht. Dafür bin ich zu bestrafen. Aber für mehr als ich wirklich getan habe, möchte ich auch nicht sitzen.«

      »Ihre Mutter deutete so etwas an. Was ist denn da schiefgelaufen?«

      »Die hatten da bei der Kripo irgend so ein Inhouse-Seminar, da war ein Vernehmer vom BKA der Dozent. Und den haben sie mir da gleich mal vorgesetzt. Geht das denn?«

      »Anders als beim Gericht haben Sie während der Ermittlungen keinen Anspruch auf das Tätigwerden bestimmter Ermittler … Wurde Ihnen für den Fall bestimmter Angaben irgendetwas zugesagt oder sonst wie versprochen? Wurde Ihnen gedroht?«

      »Nein, das nicht, aber … Es war so, als ob er mir das Wort im Munde umdrehte.«

      »Wie das?«

      »Na ja, zuerst sagte ich, dass ich Frau Persokeit nicht umbringen wollte, weil ich da ja nur Unterlagen klauen wollte. Als ich sie dann würgte, wollte ich sie schon umbringen. Aber dann dachte ich doch, dass sie schon tot sei. Da wollte ich doch keine Leiche mehr umbringen.«

      »Davon gehe ich aus.«

      »Aber der Beamte meinte, dass dann, wenn ich sie erst erwürgen wollte und dann die Leiche im Auto verbrennen wollte und sie schließlich mit dem Auto in den See fahren wollte, dass ich sie dann doch die ganze Zeit umbringen wollte, egal durch welche Einzelhandlung. Es sei mir doch letztlich darauf angekommen, dass sie tot sei.«

      Mit einem »Und?« animierte ich ihn fortzufahren.

      »Und da sagte ich ›Ja‹. Das klang doch so auch plausibel.«

      Ich nickte. »Da ging es dem vernehmenden Beamten um die Frage des Mordvorsatzes. Ist schon klar, daran wollten die nicht den Mordvorwurf scheitern lassen. Das haben die gut hingebogen.«

      »Und nun?«

      »An der Rechtslage wird das letztlich nichts ändern. Selbstverständlich werde ich darauf hinarbeiten, den Geschehensablauf zu zerlegen, und argumentieren, dass es zwischen den Einzelhandlungen immer eine Zäsurwirkung gab. Aber die Rechtsprechung ist in solchen Fällen recht eindeutig. Trotz aller feinen Unterschiede, die man da sonst macht, stellt man in solchen Fallkonstellationen eher auf den Erfolg des Geschehens ab, also auf die Tötung des Opfers. Und wenn da einmal eine Mordabsicht im Spiel war, schlägt diese, untechnisch gesagt, auch auf die weiteren Handlungen durch.«

      »Dann ist meine Aussage gar nicht so schlimm?« Es war so, als ob eine Last von ihm fiele.

      »Sie macht dem Gericht die Argumentation, dass Sie ein Mörder und nicht nur ein Totschläger oder gar nur fahrlässiger Totschläger sind, schon leichter. Aber am Ergebnis wird sie wohl wenig ändern. Abschließend kann ich mir dazu aber nur eine Meinung bilden, nachdem ich die Akte gesehen habe.«

      »Kommen Sie dann noch mal vorbei?«

      »Natürlich. Den genauen Tatverlauf gehen wir noch durch. Wir müssen auch das Verhandlungsverhalten durchsprechen, ob Sie sich zum Tatvorwurf einlassen wollen oder besser schweigen sollten. Wenn Sie sich zum Tatvorwurf einlassen, stellt sich die Frage, ob Sie da selbst etwas sagen möchten oder dies durch Anwaltserklärung erfolgen soll, ob auf Fragen durch die Staatsanwaltschaft oder das Gericht geantwortet werden soll und so weiter. Wir werden die Beweisaufnahme vorbereiten, die Zeugen und ihr mögliches Aussageverhalten in der Verhandlung durchgehen und das, was wir fragen wollen, worauf es uns ankommt. Das geht bis hin zum Ende der Verhandlung und Ihrem letzten Wort.«

      »Hm.«

      »Damit ist aber noch lange nicht Schluss. Wenn ich die Akte durchgearbeitet habe und anhand der vorliegenden Beweismittel, die dann in den Strafprozess eingeführt werden, den Verhandlungsverlauf absehen kann, können wir einschätzen, ob es zu einer Verurteilung kommen wird. Das Gericht macht es genauso. Die Anklage wird nur zur Verhandlung zugelassen, wenn das Gericht davon ausgeht, dass es zu einer Verurteilung kommt. Dann sollten wir uns überlegen, ob wir das Urteil so annehmen werden oder ein Rechtsmittel dagegen einlegen. Das sollte man ebenfalls nicht blind tun, sondern genau überlegen, was man damit erreichen kann.«

      »Dann machen wir das so. Hört sich nach viel Arbeit an.«

      »Das ist erst die Vorbereitung der Verhandlung, damit wir die Verteidigungsstrategie festlegen können. In der Verhandlung selbst müssen wir flexibel bleiben. Da kommt es auf das Verhalten sämtlicher Verfahrensbeteiligter an.«

      Als Doreen Band für Band der Strafakte einscannte, blieb ihr genug Zeit, die Akte querzulesen. Mit ihrem Urteil über den Ausgang des Verfahrens liegt sie meist ganz dicht am später vom Gericht gefundenen Ergebnis. Ihre Einschätzung damals: »Ganz klar ein Mörder, der wird verknackt.«

      Nach über tausend Seiten Aktenstudium war ich immer noch nicht geneigt, mich Doreens Ergebnis unumwunden anzuschließen.

      »Versuchter Mord«, hielt ich dagegen.

      Doreen schüttelte in unserer Zwei-Personen-Verhandlung den Kopf. »Und die Beschuldigtenvernehmung? Er hat doch selbst eingeräumt, dass er sie umbringen wollte.« Sie unterbrach ihre Anklage für einen kurzen Moment, um die Wirkung ihrer Kopfschüttelei zu erhöhen, und fuhr fort: »Selbst als er sie schon tot glaubte, wollte er sie weiter töten.«

      »Genau da will ich ja einhaken. Klingt doch absurd, dass jemand einen Toten töten möchte, oder?«

      Sie blickte mich mitleidlos an. »Kommt es darauf an, was absurd klingt, oder darauf, was dein Mandant bei der Vernehmung eingeräumt hat? Er jedenfalls hat die Mordabsicht zugegeben.«

      Ich schaute sie an. »Genau diese Aussage des Mandanten wird sich als Problem herausstellen. Dass es so war, das glaube ich kaum, aber das steht nun in den Akten. Da hat der vernehmende Beamte taktisch geschickt mehr aus ihm herausgekriegt, als da zuvor drinnen war.«

      »Ja, ja, deine Mandanten sind wieder einmal alle unschuldig«, spottete sie.

      »Darum geht es überhaupt nicht. Aber er kann nicht für mehr verurteilt werden, als er tatsächlich begangen hat. Und das war nun mal nur ein versuchter Mord, wenn er es denn überhaupt war.«

      Die letzte Bemerkung überhörte Doreen geflissentlich: »Er wollte sie doch umbringen.«

      »Das eben ist fraglich«, erwiderte ich. »Aber selbst wenn man es bejaht, dann hat er es doch zunächst nicht geschafft.«

      »Zunächst! Ganz genau!« Doreen nickte zur Bekräftigung ihrer Aussage. »Aber letztlich ist sie doch durch sein Handeln umgekommen.«

      »Aber da dachte er doch, dass er sie schon vorher umgebracht hätte. Wenn jemand eine Leiche umbringt, dann ist das kein Mord mehr … Vielleicht Störung der Totenruhe oder so ein seltsames Delikt, aber eben kein Mord. Allenfalls, wenn er irgendwie hätte erkennen können, dass sie noch nicht tot war, dann könnte ein Totschlag oder eine fahrlässige Tötung in Betracht kommen.«

      Schnippisch erklärte Doreen: »Mal sehen, ob das Gericht das auch so sieht.«

      Ich fuhr fort: »Das hoffe ich ja auch. Ich befürchte aber, dass das Gericht die verschiedenen Handlungen nur als eine Art Gesamtheit ansieht, in der der Wille des Täters zur Tötung des Opfers zum Ausdruck kommt. Auf eine Differenzierung zwischen erster Tötungshandlung und weiteren Handlungen, die auf den Tod des Opfers abzielen, käme es dann überhaupt nicht mehr an.«

      Die Anklageschrift flatterte für eine Mordsache ungewöhnlich schnell ins Haus. Auch sie besprach ich mit dem Mandanten. Neue Beweisanträge, die Zweifel an seiner Täterschaft begründen könnten, sollten ausdrücklich nicht eingeführt werden, da sie meist in die Richtung des Bruders führten, der im Verfahren von unserer Seite nicht benannt werden sollte. Mein Mandant wollte die Tat umfassend gestehen und auch auf Fragen des Gerichts antworten.

      Mordanklagen landen in Deutschland gewöhnlich beim Schwurgericht. Das sind erstinstanzlich beim Landgericht eingerichtete Kammern, die für die Verhandlungen bei Tötungsdelikten zuständig sind.

      Das Strafverfahren wurde vor dem Landgericht Frankfurt an der Oder eröffnet.

      Der