Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke


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Höh­len un­ter Höh­len, Tun­nels, Bau­ten, Wege … Da muss es sich aus­wei­ten, grö­ßer und wei­ter und volk­rei­cher wer­den, je mehr man hin­ab­steigt. Si­cher­lich. Ganz hin­un­ter schließ­lich bis zum Zen­tral­meer, das das Herz des Mon­des um­spült. Den­ken Sie an die tin­ti­gen Was­ser un­ter den spär­li­chen Lich­tern – wenn ihre Au­gen über­haupt Lich­ter nö­tig ha­ben! Den­ken Sie an die stür­zen­den Zuf­lüs­se, die ihre Kanä­le nie­der­rin­nen, um sie zu spei­sen! Den­ken Sie an die Ge­zei­ten auf ih­rer Ober­flä­che und an den Sturm und Wir­bel ih­rer Ebbe und Flut! Vi­el­leicht ha­ben sie Schif­fe, die auf dem Mee­re fah­ren, viel­leicht lie­gen da un­ten mäch­ti­ge Städ­te und wim­meln­de Stra­ßen, und es gibt dort Weis­heit und Ord­nung, wie sie Men­schen­witz über­stei­gen. Und wir kön­nen hier oben ster­ben, ohne je die Her­ren zu se­hen, die es ge­ben muss – die über die­se Din­ge herr­schen! Wir kön­nen hier er­frie­ren und ster­ben, und die Luft wird über uns ge­frie­ren und tau­en, und dann –! Dann wer­den sie auf uns sto­ßen, auf un­se­re stei­fen und stil­len Lei­chen sto­ßen, und sie wer­den die Sphä­re fin­den, die wir nicht fin­den kön­nen, und sie wer­den schließ­lich zu spät all das Den­ken und Mü­hen be­grei­fen, das hier ver­geb­lich en­de­te!«

      Sei­ne Stim­me klang wäh­rend die­ser gan­zen Rede wie die Stim­me ei­nes, den man durch ein Te­le­fon hört, schwach und fern.

      »Aber die Dun­kel­heit«, sag­te ich.

      »Dar­über könn­te man weg­kom­men.«

      »Wie?«

      »Das weiß ich nicht. Wie soll ich das wis­sen? Man könn­te eine Fa­ckel tra­gen, man könn­te eine Lam­pe ha­ben. – Die an­de­ren – sie be­grif­fen viel­leicht.«

      Er stand einen Mo­ment mit ge­senk­ten Hän­den und kläg­li­chem Ge­sicht da und blick­te über die Wüs­te hin, die ihm trotz­te. Dann wand­te er sich mit ei­ner Ges­te des Ver­zichts und mit Vor­schlä­gen zu ei­ner sys­te­ma­ti­schen Su­che der Sphä­re zu mir.

      »Wir kön­nen wie­der­kom­men«, sag­te ich.

      Er blick­te um sich. »Zu al­ler­erst wer­den wir auf die Erde kom­men müs­sen.«

      »Wir könn­ten Tra­glam­pen und Klet­te­rei­sen und hun­dert not­wen­di­ge Din­ge mit zu­rück­brin­gen.«

      »Ja«, sag­te er.

      »Wir könn­ten ein Zeug­nis des Er­folgs in die­sem Gold mit­neh­men.«

      Er blick­te mei­ne gol­de­nen He­be­stan­gen an und sag­te eine Zeit lang nichts. Er stand mit hin­ter dem Rücken ge­ball­ten Hän­den da und starr­te über den Kra­ter. Schließ­lich seufz­te und sprach er! »Ich habe den Weg hier­her ge­fun­den, aber einen Weg fin­den, heißt nicht im­mer, Herr ei­nes We­ges sein. Wenn ich mein Ge­heim­nis auf die Erde zu­rück­brin­ge, was wird ge­sche­hen? Ich sehe nicht, wie ich mein Ge­heim­nis auch nur ein Jahr be­wah­ren kann, auch nur einen Teil ei­nes Jah­res. Frü­her oder spä­ter muss es her­aus­kom­men, selbst wenn an­de­re Men­schen es von neu­em ent­de­cken. Und dann … Die Re­gie­run­gen und Mäch­te wer­den hier­her­zu­kom­men rin­gen, sie wer­den ge­gen­ein­an­der kämp­fen und ge­gen dies Mond­volk; das wird nur Krieg ver­brei­ten und die An­läs­se des Krie­ges ver­meh­ren. In kur­z­er Zeit, in sehr kur­z­er Zeit wird die­ser Pla­net, wenn ich mein Ge­heim­nis sage, bis in sei­ne tiefs­ten Ga­le­ri­en hin­ein mit mensch­li­chen Lei­chen be­sät sein. An­de­re Din­ge sind zwei­fel­haft, aber das ist si­cher … Es ist nicht, als ob der Mensch ir­gend et­was mit dem Mond an­fan­gen könn­te. Was könn­te der Mond den Men­schen nüt­zen? Selbst aus ih­rem ei­ge­nen Pla­ne­ten ha­ben sie nichts ge­macht als ein Schlacht­feld und einen Schau­platz un­end­li­cher Narr­heit. So klein sei­ne Welt ist, und so kurz sei­ne Zeit, trotz­dem hat er noch in sei­nem klei­nen Le­ben da un­ten weit mehr, als er tun kann. Nein! Die Wis­sen­schaft hat sich zu lan­ge ab­ge­plagt, Waf­fen zum Ge­brauch für Nar­ren zu schmie­den. Es ist Zeit, dass sie in­ne­hält. Mag er es sel­ber wie­der­fin­den – nach ein paar tau­send Jah­ren!«

      »Es gibt Metho­den des Ge­heim­nis­ses«, sag­te ich.

      Er blick­te zu mir auf und lä­chel­te. »Im Grun­de –«, sag­te er, »warum soll­te man sich pla­gen? Dass wir die Sphä­re fin­den, dazu ist we­nig Aus­sicht vor­han­den, und da un­ten brau­en die Din­ge. Es ist eben nur die mensch­li­che An­ge­wöh­nung zu hof­fen, bis man stirbt, wenn wir an Rück­kehr den­ken. Un­se­re Mü­hen be­gin­nen erst ge­ra­de. Wir ha­ben die­sem Mond­volk Ge­walt ge­zeigt, wir ha­ben ihm un­se­re Art zu kos­ten ge­ge­ben, und un­se­re Aus­sich­ten ste­hen etwa so gut wie die ei­nes Ti­gers, der los­ge­kom­men ist und im Hy­de­park einen Men­schen ge­tö­tet hat. Die Nach­richt von uns muss von Ga­le­rie zu Ga­le­rie hin­un­ter­lau­fen, hin­un­ter zu den zen­tra­len Tei­len … Kei­ne ver­nünf­ti­gen We­sen wer­den uns je die Sphä­re auf die Erde zu­rück­neh­men las­sen, nach­dem sie so viel von uns ge­se­hen ha­ben.«

      »Wir ver­bes­sern un­se­re Aus­sich­ten nicht«, sag­te ich, »wenn wir hier sit­zen blei­ben.« Er stand ne­ben mir auf.

      »Schließ­lich«, sag­te er, »müs­sen wir uns tren­nen. Wir müs­sen auf die­sen ho­hen Dor­nen hier ein Ta­schen­tuch be­fes­ti­gen und das zum Zen­trum neh­men und den Kra­ter durch­su­chen. Sie müs­sen nach Wes­ten ge­hen und nach der un­ter­ge­hen­den Son­ne hin Halb­krei­se hin und her schla­gen. Sie müs­sen erst mit dem Schat­ten rechts ge­hen, bis er mit der Rich­tung Ihres Ta­schen­tuchs einen rech­ten Win­kel bil­det, und dann mit Ihrem Schat­ten auf der lin­ken Sei­te. Und ich wer­de das glei­che nach Os­ten tun. Wir wol­len in jede Spal­te bli­cken, jede Fel­sen­klip­pe un­ter­su­chen; wir wol­len tun, was wir kön­nen, um mei­ne Sphä­re zu fin­den. Wenn wir Se­le­ni­ten se­hen, wol­len wir uns, so gut wir kön­nen, vor ih­nen ver­ber­gen. Zum Trin­ken müs­sen wir Schnee neh­men, und wenn wir das Be­dürf­nis füh­len zu es­sen, so müs­sen wir, wenn wir kön­nen, ein Mond­kalb tö­ten und es­sen, was es an Fleisch hat – roh – und so wird je­der sei­nen ei­ge­nen Weg gehn.«

      »Und wenn ei­ner auf die Sphä­re stößt?«

      »So muss er zu dem wei­ßen Tuch zu­rück­keh­ren und sich da­ne­ben auf­stel­len und dem an­de­ren si­gna­li­sie­ren.«

      »Und wenn kei­ner von bei­den – –«

      Ca­vor blick­te zur Son­ne auf. »Wir su­chen wei­ter, bis uns die Nacht und die Käl­te über­fal­len.«

      »Wenn aber die Se­le­ni­ten die Sphä­re ge­fun­den und ver­steckt ha­ben?«

      Er zuck­te die Schul­tern.

      »Oder wenn sie nun kom­men, um uns zu ja­gen?«

      Er gab kei­ne Ant­wort.

      »Sie soll­ten lie­ber eine Keu­le mit­neh­men«, sag­te ich.

      Er schüt­tel­te den Kopf und starr­te über die Wild­nis von mir fort.

      Aber einen Mo­ment lang ging er noch nicht da­von. Er blick­te sich heim­lich nach mir um. »Au re­voir«, sag­te er.

      Ich fühl­te einen un­ge­heu­ren Stich der Rüh­rung. Ein Ge­fühl da­von, wie wir ein­an­der ge­är­gert hat­ten, über­kam mich. »Zum Hen­ker!«, dach­te ich, »wir hät­ten Bes­se­res tun kön­nen!« Ich stand im Be­griff, ihn zu bit­ten, mir die Hand zu schüt­teln – denn das war ge­ra­de mei­ne Stim­mung – als er die Füße zu­sam­men­tat und nach