Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke


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mich, um aus grö­ße­rer Nähe zu bli­cken. Dann ver­such­te ich, hin­ein­zu­kom­men. Ich muss­te sie ein we­nig kip­pen, um den Kopf durch das Ein­stei­ge­loch zu brin­gen. Der Schraub­de­ckel lag drin­nen, und ich konn­te se­hen, dass nichts an­ge­rührt war, nichts ge­lit­ten hat­te. Sie lag da, wie wir sie ver­las­sen hat­ten, als wir mit­ten im Schnee hin­aus­ge­stie­gen wa­ren. Eine Zeit lang war ich ganz da­mit be­schäf­tigt, dies In­ven­tar wie­der und wie­der auf­zu­neh­men. Ich merk­te, dass ich hef­tig zit­ter­te. Es tat gut, wie­der dies ver­trau­te dunkle In­ne­re zu se­hen! Ich kann nicht sa­gen wie gut. Als­bald kroch ich hin­ein und setz­te mich un­ter die Din­ge. Ich blick­te durch das Glas auf die Mond­welt hin­aus und schau­er­te. Ich leg­te mei­ne gol­de­nen Keu­len auf den Bal­len und such­te und nahm ein we­nig Nah­rung zu mir; nicht so sehr, weil ich das Be­dürf­nis fühl­te, als weil sie da war. Dann fiel mir ein, dass es Zeit sei, hin­zu­ge­hen und Ca­vor Si­gna­le zu ge­ben. Ir­gend et­was hielt mich an der Sphä­re fest.

      Nun kam doch noch al­les zu­recht. Noch wür­de Zeit ge­nug sein, mehr von dem ma­gi­schen Stein zu ho­len, der ei­nem Ge­walt über die Men­schen gibt. Da hin­ten, nah zur Hand, lag Gold zum Auf­neh­men um­her; und die Sphä­re mach­te ihre Rei­se, wenn sie halb voll Gold war, so gut, wie wenn sie leer war. Jetzt konn­ten wir zu­rück­ge­hen, Her­ren über uns und un­se­re Welt, und dann –

      Schließ­lich raff­te ich mich auf und stieg mit ei­ner An­stren­gung aus der Sphä­re her­aus. Ich schau­er­te, als ich auf­tauch­te, denn die Abend­luft wur­de sehr kalt. Ich stand in der Höh­lung still und starr­te um mich. Ich sah mir die Bü­sche rings sehr sorg­fäl­tig an, ehe ich zu dem Fel­sen­ran­de na­he­bei da­v­on­sprang und den Sprung noch ein­mal mach­te, der mein ers­ter auf dem Mond ge­we­sen war. Aber jetzt mach­te ich ihn ohne jede An­stren­gung.

      Das Wachs­tum und der Ver­fall der Ve­ge­ta­ti­on war rasch vor­ge­schrit­ten, und der gan­ze An­blick der Fel­sen war ver­än­dert, aber noch war es mög­lich, den Hang her­aus­zu­fin­den, auf dem die Sa­men ge­keimt hat­ten, und die Fel­sen­mas­se, von der aus wir un­sern ers­ten Um­blick im Kra­ter ge­hal­ten hat­ten. Aber das Dorn­ge­sträuch auf dem Han­ge stand jetzt braun und dürr da und drei­ßig Fuß hoch, und es warf lan­ge Schat­ten, die sich bis über das Ge­sichts­feld hin­aus er­streck­ten, und die klei­nen Sa­men, die wie Trau­ben an sei­nen obe­ren Zwei­gen hin­gen, wa­ren braun und reif. Sei­ne Ar­beit war ge­tan, und es war zer­brech­lich und be­reit, un­ter der ge­frie­ren­den Luft ab­zu­fal­len und zu zer­brö­ckeln, so­wie die Nacht her­ab­sank. Und die rie­si­gen Kak­teen, die un­ter un­sern Au­gen auf­ge­schwol­len wa­ren, wa­ren längst ge­bors­ten und hat­ten ihre Spo­ren längst in die vier Rich­tun­gen des Mon­des zer­streut. Ein er­staun­li­cher klei­ner Win­kel im Wel­tall – der Lan­dungs­platz von Men­schen!

      Ei­nes Ta­ges, dach­te ich, will ich dort ge­nau in der Mit­te der Mul­de eine In­schrift er­rich­ten las­sen. Mir fiel ein, wenn die schwan­ge­re Welt da drin­nen nur von der vol­len Be­deu­tung des Mo­men­tes wüss­te, wie wü­tend wür­de ihr Tu­mult da wer­den!

      Aber bis jetzt konn­te sie kaum von der Be­deu­tung un­se­res Kom­mens wis­sen. Denn sonst wür­de der Kra­ter si­cher­lich ein Aufruhr der Ver­fol­gung sein, statt stil­le wie der Tod! Ich blick­te mich nach ei­ner Stel­le um, von der aus ich Ca­vor wür­de Zei­chen ge­ben kön­nen, und ich sah eben den Fel­sen­hau­fen, auf den er von mei­nem ge­gen­wär­ti­gen Stand­punkt aus ge­sprun­gen war, noch nackt und un­frucht­bar in der Son­ne lie­gen. Ei­nen Mo­ment lang zö­ger­te ich, mich so weit von der Sphä­re zu ent­fer­nen. Dann sprang ich mit ei­nem Stich der Scham über die­ses Zö­gern los …

      Von die­ser Höhe aus über­blick­te ich den Kra­ter von neu­em. Weit hin­ten an der Spit­ze des un­ge­heu­ren Schat­tens, den ich warf, flat­ter­te das klei­ne wei­ße Ta­schen­tuch auf den Bü­schen. Es war sehr klein und fern, und Ca­vor war nicht zu se­hen. Mir schi­en, mitt­ler­wei­le soll­te er nach mir aus­schau­en. Das war die Verab­re­dung. Aber er war nir­gends zu se­hen.

      Ich stand und war­te­te und wach­te, die Hän­de über den Au­gen, und ich er­war­te­te, ihn je­den Au­gen­blick zu er­ken­nen. Sehr wahr­schein­lich habe ich lan­ge Zeit dort ge­stan­den. Ich ver­such­te zu ru­fen und wur­de an die Dün­ne der Luft er­in­nert. Ich tat einen un­ent­schie­de­nen Schritt zur Sphä­re zu­rück. Aber eine lau­ern­de Angst vor den Se­le­ni­ten ließ mich zö­gern, mei­nen Auf­ent­halt zu si­gna­li­sie­ren, in­dem ich eine un­se­rer Schlaf­de­cken auf die be­nach­bar­ten Bü­sche hiß­te. Ich durch­such­te den Kra­ter von neu­em.

      Er zeig­te einen Aus­druck der Lee­re, der mich durch­schau­er­te. Und es war still! Je­der Ton von den Se­le­ni­ten in der Welt dort un­ten war er­stor­ben. Es war still wie der Tod. Ab­ge­se­hen von dem lei­sen Geräusch des Ge­bü­sches in dem dün­nen Win­de, der sich er­hob, war kein Ton und kein Schat­ten von ei­nem Ton zu hö­ren. Und der Wind war kalt.

      Zum Hen­ker mit Ca­vor!

      Ich hol­te tief Atem. Ich leg­te die Hän­de an die Sei­ten des Mun­des. »Ca­vor!«, schrie ich, und es klang, wie wenn ein Zwerg in wei­ter Fer­ne rie­fe.

      Ich sah nach dem Ta­schen­tu­che, ich sah hin­ter mich auf den brei­ter wer­den­den Schat­ten der west­li­chen Klip­pe, ich blick­te un­ter der Hand her­vor nach der Son­ne. Mir schi­en, sie kroch fast sicht­lich den Him­mel hin­ab.

      Ich fühl­te, ich muss­te so­fort han­deln, wenn ich Ca­vor ret­ten woll­te. Ich riss mei­ne Wes­te her­un­ter und warf sie als Zei­chen auf die dür­ren Ba­jo­nett­sträu­cher hin­ter mir und sprang dann in ge­ra­der Li­nie auf das Ta­schen­tuch zu da­von. Es war viel­leicht sei­ne zwei Mei­len ent­fernt – eine Sa­che von ein paar hun­dert Sprün­gen und Sät­zen. Ich habe schon er­zählt, wie man wäh­rend die­ser Mond­sprün­ge zu hän­gen schi­en. Bei je­dem Schwe­ben such­te ich Ca­vor und wun­der­te mich, warum er ver­bor­gen sein moch­te. Bei je­dem Sprun­ge konn­te ich die Son­ne hin­ter mir sin­ken füh­len. Je­des Mal, wenn ich den Bo­den be­rühr­te, war ich in Ver­su­chung, zu­rück­zu­keh­ren.

      Ein letz­ter Sprung und ich stand in der Sen­kung un­ter­halb un­se­res Ta­schen­tuchs, ein Satz, und ich stand in Ar­mes­brei­te von ihm auf un­se­rer frü­he­ren Höhe. Ich rich­te­te mich ge­ra­de auf und durch­such­te die Welt um mich zwi­schen den län­ger wer­den­den Schat­ten­strei­fen. Weit weg, einen Hang hin­un­ter, lag die Mün­dung des Tun­nels, durch den wir ge­flo­hen wa­ren, und mein Schat­ten reich­te bis zu ihr hin, reck­te sich bis zu ihr und be­rühr­te sie wie ein Fin­ger der Nacht.

      Kein Zei­chen von Ca­vor, kein Ton in all der Stil­le, nur dass sich das Re­gen und Schwan­ken der Bü­sche und der Schat­ten mehr­te. Und plötz­lich über­lief mich ein hef­ti­ger Schau­er. »Cav–« be­gann ich, und wie­der wur­de mir die Wir­kungs­lo­sig­keit der mensch­li­chen Stim­me in die­ser dün­nen Luft klar.

      Stil­le. Die Stil­le des To­des.

      Dann fiel mein Auge auf et­was – et­was klei­nes, was viel­leicht fünf­zig Me­ter ent­fernt, den Hang hin­un­ter un­ter ei­ner Streu von ver­bo­ge­nen und zer­bro­che­nen Zwei­gen lag. Was war das? Ich wuss­te es, und doch, aus ir­gend­ei­nem Grun­de woll­te ich es nicht wis­sen.

      Ich ging nä­her hin. Es war die klei­ne Kricket­müt­ze, die Ca­vor ge­tra­gen hat­te. Ich be­rühr­te sie nicht, ich blieb ste­hen und sah sie an.

      Dann sah ich, dass die zer­streu­ten Zwei­ge rings ge­walt­sam zer­bro­chen und zer­stampft wor­den wa­ren.