Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke


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Höhe, weiß im Son­nenglanz.

      Ich be­schloss, was auch ge­sche­hen moch­te, das Ta­schen­tuch nicht aus den Au­gen zu las­sen.

      19 – Mr. Bedford allein

      Nach ei­ner klei­nen Wei­le war es mir, als sei ich im­mer al­lein auf dem Mond ge­we­sen. Ich such­te eine Zeit lang mit ei­ner ge­wis­sen Span­nung, aber die Hit­ze war noch sehr groß, und die Dün­ne der Luft lag ei­nem wie ein Rei­fen um die Brust. Dann kam ich in ein hoh­les Be­cken, das um sei­nen Rand her­um von großem, brau­nem, tro­ckenem Lau­be starr­te, und un­ter ihm setz­te ich mich hin, um aus­zu­ru­hen und ab­zu­küh­len. Ich leg­te mei­ne Keu­len ne­ben mir nie­der und setz­te mich, in­dem ich das Kinn in die Hän­de stütz­te. Ich sah mit ei­ner Art farb­lo­sem In­ter­es­se, dass die Fel­sen des Bass­ins, wo hier und dort die knis­tern­den, tro­ckenen Flech­ten zu­sam­men­ge­schrumpft wa­ren und den Stein se­hen lie­ßen, ganz mit Gold durch­ä­dert und ge­spren­kelt wa­ren, und dass hier und dort Bu­ckel run­den und runz­li­gen Gol­des aus der Spreu her­vor­rag­ten. Was kam noch dar­auf an? Eine Art Mat­tig­keit hielt Glie­der und Geist ge­fan­gen, ich glaub­te einen Mo­ment lang nicht dar­an, dass wir die Sphä­re in die­ser un­ge­heu­ren ver­trock­ne­ten Wild­nis je­mals fin­den wür­den. Es war, als feh­le mir das Mo­tiv zur An­stren­gung, bis die Se­le­ni­ten kämen. Dann, glaub­te ich, wür­de ich mich an­stren­gen und je­nem un­ver­nünf­ti­gen Im­pe­ra­tiv ge­hor­chen, der den Men­schen vor al­len an­de­ren Din­gen drängt, sein Le­ben zu er­hal­ten und zu ver­tei­di­gen, wenn er es auch nur er­hält, um nach ei­ner klei­nen Wei­le umso schmerz­haf­ter zu ster­ben.

      Wa­rum wa­ren wir auf den Mond ge­kom­men?

      Die Sa­che stell­te sich mir als ein ver­blüf­fen­des Pro­blem dar. Was ist die­ser Geist im Men­schen, der ihn ewig drängt, sich von Glück und Si­cher­heit zu tren­nen, sich zu pla­gen, sich in Ge­fahr zu be­ge­ben, selbst eine ziem­li­che Ge­wiss­heit des To­des zu ris­kie­ren? Dort auf dem Mon­de däm­mer­te es mir als et­was auf, was ich im­mer hät­te wis­sen müs­sen, dass der Mensch nicht ein­fach ge­schaf­fen ist, si­cher und be­hag­lich und wohl­ge­nährt und amü­siert um­her­zu­lau­fen. Fast je­der Mensch wird, wenn man ihm die Fra­ge vor­legt, nicht mit Wor­ten, son­dern un­ter der Form von Ge­le­gen­hei­ten, zei­gen, dass er das weiß. Ge­gen sein In­ter­es­se, ge­gen sein Glück wird er be­stän­dig ge­trie­ben, un­ver­nünf­ti­ge Din­ge zu tun. Eine Kraft, die nicht er ist, treibt ihn, und er muss ge­hen. Aber warum? Wa­rum? Als ich dort mit­ten un­ter je­nem nutz­lo­sen Mond­gol­de saß, mit­ten un­ter den Din­gen ei­ner an­de­ren Welt, da habe ich über mein gan­zes Le­ben ab­ge­rech­net. Ich nahm an, ich wer­de als Schiff­brü­chi­ger auf dem Mon­de ster­ben, und da konn­te ich durch­aus nicht ein­se­hen, wel­chem Zweck ich ge­dient hat­te. Ich er­hielt kein Licht über die­sen Punkt, aber auf je­den Fall war es mir kla­rer, als es mir je zu­vor in mei­nem Le­ben ge­we­sen war, dass ich nicht mei­nem ei­ge­nen Zwe­cke diente, dass ich in Wahr­heit mein gan­zes Le­ben lang nie den Zwe­cken mei­nes ei­gens­ten Le­bens ge­dient hat­te. Wes­sen Zwe­cken, was für Zwe­cken diente ich? … Ich spe­ku­lier­te nicht mehr dar­über, warum wir auf den Mond ge­kom­men wa­ren, son­dern ich griff wei­ter aus. Wa­rum war ich auf die Erde ge­kom­men? Wa­rum hat­te ich über­haupt ein ei­ge­nes Le­ben? … Ich ver­lor mich schließ­lich in bo­den­lo­sen Spe­ku­la­tio­nen.

      Mei­ne Ge­dan­ken wur­den un­be­stimmt und wol­kig und führ­ten nicht län­ger in be­stimm­te Rich­tun­gen. Ich hat­te mich nicht schwer oder müde ge­fühlt – ich kann mir nicht vor­stel­len, dass je­mand das auf dem Mon­de tat – aber ich den­ke mir, ich war sehr an­ge­strengt. Auf je­den Fall schlief ich ein.

      Der Schlum­mer dort, glau­be ich, ruh­te mich sehr aus, und all die Zeit, wäh­rend ich schlief, sank die Son­ne, und die Ge­walt der Hit­ze ließ nach. Als ich schließ­lich durch ein fer­nes Ge­schrei aus dem Schla­fe er­wach­te, fühl­te ich mich wie­der kräf­tig und fä­hig. Ich rieb mir die Au­gen und reck­te die Arme. Ich er­hob mich auf die Füße – ich war ein we­nig steif – und mach­te so­fort An­stalt, mei­ne Su­che wie­der auf­zu­neh­men. Ich schul­ter­te mei­ne gol­de­nen Keu­len, auf je­der Schul­ter eine, und ver­ließ die Schlucht aus dem golda­d­ri­gen Fels.

      Die Son­ne stand si­cher­lich nied­ri­ger, viel nied­ri­ger, als sie ge­stan­den hat­te; die Luft war sehr viel küh­ler. Ich merk­te, dass ich ei­ni­ge Zeit ge­schla­fen ha­ben muss­te. Mir schi­en, um die west­li­chen Klip­pen hin­ge ein leich­ter Hauch neb­li­ger Bläue. Ich sprang auf einen klei­nen Fels­bu­ckel und über­blick­te den Kra­ter. Ich konn­te kein An­zei­chen von Mond­käl­bern oder Se­le­ni­ten se­hen; auch Ca­vor konn­te ich nicht se­hen, aber ich sah weit weg mein Ta­schen­tuch auf ei­nem Dor­nen­dickicht aus­ge­brei­tet. Ich blick­te um mich und sprang dann zum nächs­ten pas­sen­den Aus­sichts­punkt wei­ter.

      Ich schlug mei­nen Halb­kreis um den Aus­gangs­punkt, und dann zu­rück in ei­nem noch wei­te­ren Bo­gen. Es war sehr an­stren­gend und hoff­nungs­los. Die Luft war wirk­lich sehr viel küh­ler, und mir schi­en, der Schat­ten un­ter der west­li­chen Klip­pe wur­de breit. Hin und wie­der stand ich still und re­ko­gnos­zier­te; aber ich sah kein Zei­chen von Ca­vor, kein Zei­chen von den Se­le­ni­ten; und mir schi­en, die Mond­käl­ber muss­ten wie­der ins In­ne­re ge­trie­ben sein – ich konn­te kei­ne von ih­nen se­hen. Mein Ver­lan­gen, Ca­vor zu se­hen, wur­de im­mer grö­ßer. Der ge­flü­gel­te Um­riss der Son­ne war jetzt so weit ge­sun­ken, dass sie kaum noch um ih­ren Durch­mes­ser vom Him­mels­rand ent­fernt war. Mich be­drück­te der Ge­dan­ke, die Se­le­ni­ten wür­den als­bald ihre De­ckel und Tore schlie­ßen und uns in dem un­er­bitt­li­chen An­sturm der Mond­nacht aus­schlie­ßen. Es schi­en mir hohe Zeit zu sein, dass er sein Su­chen auf­gab, und dass wir uns mit­ein­an­der be­rie­ten. Ich fühl­te, wie dring­lich es war, dass wir uns bald über un­se­ren Weg ent­schie­den. Die Sphä­re zu fin­den, war uns nicht ge­lun­gen, wir hat­ten kei­ne Zeit mehr, sie zu su­chen, und wa­ren die­se Tore ein­mal ge­schlos­sen und wir noch drau­ßen, so wa­ren wir ver­lo­re­ne Men­schen. Die große Nacht des Raums muss­te sich auf uns sen­ken – jene Schwär­ze der Lee­re, die der ein­zi­ge ab­so­lu­te Tod ist. Mein gan­zes We­sen schrak vor ih­rem Na­hen zu­rück. Wir muss­ten wie­der in den Mond zu­rück, und wenn wir da­bei auch er­schla­gen wur­den. Mich ver­folg­te die Vi­si­on, wie wir zu Tode er­fro­ren, wie wir mit un­se­rer letz­ten Kraft ge­gen die Tore des großen Schach­tes häm­mer­ten.

      Ich dach­te mit kei­nem Ge­dan­ken mehr an die Sphä­re. Ich dach­te nur noch dar­an, Ca­vor wie­der­zu­fin­den. Ich war halb ge­neigt, lie­ber ohne ihn in den Mond zu­rück­zu­keh­ren, als ihn zu su­chen, bis es zu spät wäre. Ich war schon halb­wegs bis zu un­serm Ta­schen­tuch zu­rück, als ich plötz­lich – –

      Die Sphä­re sah!

      Ich fand sie nicht so sehr, wie sie mich fand. Sie lag viel wei­ter nach Wes­ten als ich ge­gan­gen war, und die schrä­gen Strah­len der sin­ken­den Son­ne, die von ih­rem Gla­se wi­der­strahl­ten, hat­ten mir ihre Ge­gen­wart plötz­lich durch einen blen­den­den Strahl of­fen­bart. Ei­nen Mo­ment dach­te ich, dies sei ein neu­er An­schlag der Se­le­ni­ten ge­gen uns, und dann be­griff ich.

      Ich warf die Arme in die Höhe, stieß einen ge­spens­ti­schen Schrei aus und flog in wei­ten Sät­zen auf sie zu. Ich fehl­te bei ei­nem der Sprün­ge, stürz­te in eine tie­fe Schlucht und ver­renk­te mir den Fuß­knö­chel, und von da an stol­per­te ich fast bei je­dem Satz. Ich war in ei­nem Zu­stan­de hys­te­ri­scher Er­re­gung,