geblieben wäre. Ich konnte doch nicht ahnen, dass meine Mutter so unfair sein würde.«
Diese Ehe war kein Einzelfall für Dr. Behnisch.
Oft genug hatte er es schon erlebt, dass berufliche Überbeanspruchung des Mannes zu ehelichen Konflikten geführt hatten. Doch Bert war sich solcher Konflikte überhaupt nicht bewusst geworden, und Dr. Behnisch meinte, dass es wohl gut gewesen wäre, wenn seine Frau mal richtig getobt und sich alles von der Seele geschrien hätte.
Eine tobende Birgit konnte Bert sich gar nicht vorstellen. Aber er wäre ganz schön erschrocken gewesen, wenn er sie jetzt gehört hätte, als sie mit Dr. Biel sprach.
Zuerst war sie fassungslos gewesen, als der Anwalt ihr Zimmer betrat, doch Dr. Biel hatte ihr rasch erklärt, wie lange er gebraucht hatte, um sie ausfindig zu machen.
»Mein liebes Kind«, sagte er väterlich, »ich war schön erschrocken, als ich hörte, dass Sie aus dem Sanatorium ausgerissen sind.« Er erwähnte allerdings nicht, dass er dies erst von Bert erfahren hatte. Von Bert sprach er vorerst überhaupt nicht.
»Sie hätten mich dort festgehalten, Schwiegermutter hatte schon alle Hebel in Bewegung gesetzt, um mich für immer hinter diese Mauern zu verbannen. Sie wollte mich doch wahnsinnig machen.«
Solche Worte hatte Dr. Biel aus Birgits Mund noch nicht gehört. Er war sehr erstaunt, sie in solcher Verfassung zu sehen. Er brauchte schon einige Zeit, um sich auf die kampfeslustige Birgit einzustellen, die ganz präzise ihre Vorstellungen über künftige Maßnahmen äußerte.
»Ich will nichts haben als mein Kind, und Sie müssen mir dazu verhelfen«, sagte sie. »Auf Toby verzichte ich nicht.«
»Und auf Ihren Mann?«, fragte Dr. Biel staunend.
»Er kann sich ja weiterhin mit seiner Mutter zusammentun«, sagte sie trotzig, »aber mir ist jetzt jedes Mittel recht, um sie auszuschalten, wenn es um Toby geht. Notfalls werde ich sie sogar verklagen wegen Betruges.«
»Nun mal langsam, Birgit«, meinte Dr. Biel besänftigend. »So kenne ich Sie ja gar nicht.«
»Dann werden Sie mich eben auch anders kennenlernen«, erklärte sie.
»Aber ich darf darauf hinweisen, dass Sie Ihr Geld Frau Blohm freiwillig gegeben haben. Von Betrug kann gar nicht die Rede sein, mein liebes Kind.«
»Die Hypothek betrug fünfzigtausend Mark. Schulden waren auch noch da, aber das übrige Geld hat sie einfach für sich verbraucht, für ihre Reisen und ihre Ambitionen. Ich kann dazu nicht einfach schweigen«, erklärte Birgit heftig.
»Das sollen Sie auch nicht. Es freut mich, dass Sie endlich aus Ihrem Dornröschenschlaf erwacht sind. Aber wir können nun wirklich nicht von einem Extrem ins andere fallen. Wollen Sie nicht erst einmal mit Ihrem Mann sprechen?«, schlug Dr. Biel vor.
»Bert hat gar nicht den Mut, sich gegen seine Mutter aufzulehnen.«
»Sagen Sie das nicht.« Er kam nicht weiter, denn Birgit schnitt ihm das Wort ab.
»Ich habe zu viel in diesem Hause erlebt«, fuhr sie fort, »wenn ich alles nüchtern überlege, muss ich meinen Mann als jämmerlichen Schwächling bezeichnen. Aber ich habe mich ja auch nie aufgelehnt. Diese Frau hat mich gelähmt. Ich wollte meine Ehe nicht gefährden und wusste doch, dass Bert sich nie von seiner Mutter lösen würde. Sie hat es ihm eingebläut, ihr ewig dafür dankbar sein zu müssen, dass sie ihn geboren hat und dass er alles ihr zu verdanken hätte, was aus ihm geworden ist. Ihr Sohn, ihr Haus, ihr Besitz, ihre Herkunft … Ich habe es zu oft gehört. Ha, es hat mich fast wahnsinnig gemacht.« Sie hielt erschöpft inne.
»Sagen Sie das nicht zu laut, wenn Sie Toby haben wollen«, sagte Dr. Biel beruhigend.
»Sie hat genau gewusst, wie schädlich die Röteln für das Baby sein könnten«, fuhr Birgit leise fort. »O ja, ich habe einmal gesehen, dass sie in einem Ärztebuch las und habe nachgeschaut, wo ihr Buchzeichen lag, aber da war es schon zu spät. Ich habe gebetet, dass das Schicksal uns verschonen und dies alles für mein Baby nicht zutreffen sollte, dass wir einen Schutzengel haben würden. Aber es kam anders. Und meine Schwiegermutter hatte sich schon ausgerechnet, wie sie mich restlos zermürben, wie sie mich endlich loswerden könnte, nachdem sie mir mein Geld schon abgenommen hatte.«
»Dass Sie so hassen können, Birgit«, sagte Dr. Biel erschüttert.
»Ja, ich habe es gelernt. In diesem schrecklichen Haus wurde die Saat in mich hineingelegt. Mit all den Fragen, die man mir stellte. Aber mein Kopf ist klar. Sie brauchen nicht daran zu zweifeln.«
»Ich zweifle nicht daran, ich möchte nur nicht, dass Sie Bert jetzt mitschuldig sprechen.«
Birgits Augenbrauen schoben sich zusammen. »Wieso nehmen Sie ihn jetzt plötzlich in Schutz?«, fragte sie.
»Ich bin überzeugt worden, dass er Sie liebt, dass er bereit ist, sich von seiner Mutter zu trennen und dass er außerdem nicht um Toby kämpfen wird, wenn Sie jetzt diese Ehe nicht mehr aufrechterhalten wollen.«
»Was haben Sie eben gesagt?«, fragte Birgit nach einem längeren Schweigen.
»Bert ist zu mir gekommen. Er hat Toby mitgebracht. Der Junge bleibt vorerst bei uns, und Ihr Mann wartet darauf, mit Ihnen sprechen zu können.«
Birgit starrte ihn sprachlos an. Es verging Minuten, bis sie sagte: »Was ist das nun wieder für ein Manöver? Hat es sich seine Mutter ausgedacht?«, fragte sie misstrauisch.
Wie verbittert sie ist, ging es Dr. Biel durch den Sinn. Wie sich ihr Herz verhärtet hat. Diese Birgit war ihm fremd. Aber er bedachte auch, was sie durchgemacht hatte.
»Wollen Sie nicht mit Bert sprechen, Birgit?«, fragte er leise.
»Nein. Er soll mir erst beweisen, dass er es ernst meint. Er soll mir Toby geben. Ich will mit meinem Jungen irgendwohin gehen, wo ich Ruhe habe. Ich kann nicht mehr einfach glauben, Dr. Biel. Ich muss überzeugt werden. Wenn Bert es ehrlich meint, wird er mich verstehen. Wenn er aber von mir erwartet, dass alles noch einmal von vorn beginnt, wie es gewesen ist, dann lasse ich mich von ihm scheiden.«
Und das musste Dr. Biel Bert dann wohl oder übel erklären, aber dessen Reaktion erschütterte ihn noch mehr, als Birgits Aufbegehren.
»Ich verstehe Birgit«, sagte Bert leise. »Ich weiß jetzt wie sie in der ganzen Zeit unserer Ehe gelitten hat. Alles soll geschehen, wie sie es will, aber scheiden lasse ich mich niemals von ihr. Sie bleibt meine Frau, und ich hoffe, dass sie eines Tages einsehen wird, dass ich sie tief und aufrichtig liebe.«
*
So geschah es denn, dass Frau Biel am nächsten Tag Toby in die Klinik brachte. Mit einem bunten Blumensträußchen in den kleinen Händchen marschierte er neben ihr her, ein bisschen bange, ein bisschen neugierig, weil er noch nie in einer Klinik gewesen war.
»Kommen hier auch Babys auf die Welt?«, fragte er flüsternd.
»Nein, hier nicht«, erwiderte Frau Biel, die Toby mittlerweile »Tante Bertl« nannte.
»Dann können auch keine sterben«, sagte Toby zufrieden. »Dann braucht Mami nicht wieder darum zu weinen, weil unser Baby gestorben ist.«
Für ihn war das nicht so welterschütternd gewesen, aber dann später, als die Mami gar nicht mehr lachte und schließlich sogar von ihm fortging, hatte es ihn doch mächtig aufgeregt, obgleich er nie begriffen hatte, dass eigentlich die Röteln an allem schuld gewesen waren.
Dass er nun mit Tante Bertl und nicht mit dem Papi zur Mami ging, gab ihm auch nicht zu denken, denn Papi musste ja arbeiten.
Am Morgen war schon ein Strauß herrlicher Rosen für Birgit in der Behnisch-Klinik abgegeben worden und eine Karte dazu, auf der geschrieben stand: Ich liebe Dich, Birgit. Gib mir eine Chance, es Dir zu beweisen.
Dein Bert.
Geschrieben hatte er ihr noch nie. Wozu auch, denn sie waren ja immer beisammen gewesen. Wenn Bert einmal geschäftlich auf Reisen gewesen war, hatte er einfach angerufen.
Es