Sie jetzt, Frau von Dehlen«, sagte Daniel erschüttert.
»Erst, wenn Sie mit dem Leuchter die Wohnung verlassen haben«, erwiderte sie. »Gestatten Sie doch einer alten Frau das letzte Wort.«
Daniel hoffte, dass es nicht ihr letztes Wort sein möge.
»Sie müssen den Leuchter mitnehmen«, raunte ihm Frau Mahler zu. »Sie ist doch so stolz. Sie könnte nicht schlafen, wenn der Leuchter auf dem Tisch stehenblieb. So gut kenne ich sie schon, wenn sie auch nie so mit mir geredet hat, wie mit Ihnen, Herr Doktor.«
»Sie hat ein starkes Herz, Frau Mahler«, sagte Daniel.
»Ja, deswegen habe ich mich gewundert, dass sie zusammengeklappt ist. Aber der Simmer hat ja keinen Anstand. Er weiß nicht, wie man mit einer Dame redet. Und sie kann nicht feilschen. Es ist schon ein Jammer, Herr Doktor. Aber ich danke Ihnen auch sehr, dass Sie gekommen sind. Wie gut es ihr tut, wenn jemand so mit ihr spricht, wie es ihr zusteht.«
»Wie gut, dass sie eine Nachbarin hat, die sich um sie kümmert.«
»Meistens bin ich doch auch allein. Viel Zeit haben die Kinder nicht für ihre alte Mutter, aber ich will mich nicht beschweren. Als wir jung waren, war es nicht anders.«
Verlegen betrachtete Daniel den Leuchter in seiner Hand, aber Frau Mahler schien zu ahnen, was er dachte.
»Sie verstehen wenigstens wirklich was davon und wissen so was zu schätzen, und Frau von Dehlen wird nun richtig schlafen können.«
»Ich werde morgen am frühen Vormittag nach ihr sehen«, versprach er nochmals.
*
In der Praxis hörte er noch den automatischen Anrufbeantworter ab, aber es lag nichts mehr vor, abgesehen davon, dass Dieter Holzmann ihn bat, morgen früh anzurufen.
Wäre es sehr wichtig, hätte er um sofortigen Rückruf gebeten. Also konnte Daniel jetzt beruhigt zu Bett gehen. Er betrachtete noch ein paar Minuten den Leuchter, die wundervolle handwerkliche und künstlerische Ziselierung.
Wieder einmal war ihm ein Mensch begegnet, der Liebe und Verehrung verdiente und doch einsam war und schwach, und dessen Schwäche von einem skrupellosen Menschen schamlos ausgenutzt wurde.
Nein, von der alten Frau Mahler konnte man auch keine Initiative mehr erwarten. Sie war diesem Herrn Simmer gewiss auch nicht gewachsen, aber in Daniel war längst der Entschluss gereift, sich diesen Mann einmal ganz genau anzuschauen. Er ahnte nicht, dass sich dazu schon am nächsten Morgen Gelegenheit bieten würde.
Er war schon gegen neun Uhr bei Frau von Dehlen, denn er wollte wieder daheim sein, wenn Fee kam.
Schon als er die Treppe zu der Wohnung der alten Dame emporstieg, hörte er Frau Mahlers erregte Stimme.
»Nein, Sie können nicht zu ihr. Sie ist krank. Was pressiert es Ihnen denn überhaupt, wenn die Sachen doch gar nichts wert sind?«
»Mischen Sie sich da nicht ein. Ich habe meine Abmachungen mit Frau von Dehlen.«
»Aber jetzt ist sie krank, und da kommt ja auch schon Dr. Norden«, sagte Frau Mahler mit einem erleichterten Aufatmen.
»Ja, da ist er«, sagte Dr. Norden sarkastisch. Den Herrn Simmer hatte er sich allerdings ganz anders vorgestellt. Er war ein noch recht jugendlicher Mann, sehr elegant gekleidert, auf den ersten Blick auch recht annehmbar aussehend, wenn man nicht von dem tückischen Blick und dem zynischen Mund gewarnt wurde. Aalglatt war er und begrüßte Dr. Norden, als sei er sein bester Freund.
Einem Wortschwall konnte Daniel entnehmen, dass Herr Simmer und Frau von Dehlen die allerbesten Freunde seien und dass Herr Simmer nur aus purem Entgegenkommen einige Wertsachen der alten Dame in Kommission nehmen würde, um ihr über eine wirtschaftliche Notlage hinwegzuhelfen.
Ein raffinierter Bursche, dachte Daniel. Aber dass auch Herr Simmer anscheinend sehr wachsam und auf der Hut war und den Arzt wohl auch richtig einzuschätzen vermochte, wurde schnell deutlich.
»Ich war gestern wegen eines Services hier«, sagte Herr Simmer. »Und es wird Frau von Dehlen sicher ermuntern, wenn ich ihr berichten kann, dass ich einen Interessenten habe, der sogar tausend Mark dafür zahlen würde.«
Daniel musterte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Es wird Sie in Erstaunen setzen, wenn ich Ihnen sage, dass ich Frau von Dehlen einen Interessenten bringe, der bereit ist, ihr fünftausend Mark zu zahlen«, sagte er eisig.
Herr Simmer schnappte nach Luft. »Was soll das? Ich war Frau von Dehlen immer gefällig und …«
»Halten Sie die Luft an«, sagte Daniel barsch. »Ich weiß mittlerweile, wie ›gefällig‹ Sie der alten Dame waren. Ich empfehle Ihnen zu verschwinden und sich hier nicht mehr blicken zu lassen. Ich habe Frau von Dehlen schon darüber aufgeklärt, wie sie von Ihnen übers Ohr gehauen worden ist. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Sie sind bestimmt falsch infomiert. Die alte Dame ist ja nicht mehr richtig bei Verstand«, sagte Herr Simmer frech.
»Sie ist zu anständig für diese Welt«, sagte Daniel, »und nun verschwinden Sie.«
Herr Simmer trat den Rückzug an. Frau Mahler warf Dr. Norden einen dankbaren und bewundernden Blick zu.
»Als Frau ist man da machtlos«, murmelte sie. »Er hat mich bald über den Haufen gerannt. Aber nun ist er ja fort«, fügte sie erleichtert hinzu.
»Wie geht es Frau von Dehlen?«, fragte Daniel.
»Ganz gut. Sie hat durchgeschlafen. Sie sieht wirklich viel besser aus. Dass Sie dem Simmer das mit den fünftausend Mark gesagt haben, hat ihn aber schön geschockt. Ich möchte ja zu gern mal wissen, für wie viel Geld er all die Sachen verkauft hat, die er Frau von Dehlen abgeschwatzt hat.«
»Das möchte ich auch wissen. Aber wahrscheinlich hat sie nicht mal Belege. Nun will ich mich um sie kümmern und schauen, ob sie kräftig genug ist, morgen die Reise anzutreten.«
»Das haben Sie nicht bloß so gesagt, Herr Doktor?«
»Sie kennen mich doch wohl schon ganz gut, Frau Mahler. Ich sage nicht etwas nur so. Das Schlimmste, was man einem Menschen antun kann, ist, falsche Hoffnungen in ihm zu erwecken.«
»Auf Sie kann man sich halt verlassen, ich weiß es«, sagte Frau Mahler ernst.
Sie betraten die Wohnung, und Daniel fand Frau von Dehlen angekleidet in ihrem Lehnsessel sitzend, der auch eine Kostbarkeit war. Sie sah zerbrechlich aus in ihrem dunkelblauen Kleid und ließ doch eine Ahnung aufkommen, wie anmutig sie in ihrer Jugend gewesen sein musste, denn etwas war auch jetzt noch davon erhalten.
»Mein junger Freund«, sagte sie mit ihrer sanften Stimme. Daniel küsste ihr die feine Hand.
»Es freut mich, dass es Ihnen bessergeht«, sagte er voller Wärme.
»Sie haben mir Hoffnung eingeflößt. Es stimmt doch, dass Sie von der Insel der Hoffnung gesprochen haben? Ich habe es nicht nur geträumt?«
»Nein, Sie haben es nicht geträumt. Morgen kann die Reise losgehen.«
»Ich kann es nicht glauben«, flüsterte sie.
»Sie werden es erleben«, sagte Daniel.
»In meinem Alter weiß man nie, ob man den nächsten Tag erlebt«, sagte Frau von Dehlen gedankenverloren. »Aber es ist schön, wenn man sich auf etwas freuen kann. So ein bisschen träumen, nicht nur ins Blaue hinein. Nun lächeln Sie ruhig über die sentimentale alte Frau.«
»Dazu besteht keine Veranlassung. Ich habe nicht geahnt, dass Sie sich so sehr freuen. Sie haben sicher viel von der Welt gesehen, gnädige Frau.«
»O Gott, es ist schon so lange her und es war eine ganz andere Welt. Aber Sie sollen nicht zu viel von Ihrer kostbaren Zeit opfern, um mein Geschwätz anzuhören. Doch noch eins, Herr Doktor. Meinen Sie wirklich, dass Sie mein Service zu einem Preis verkaufen können, der meine Unkosten deckt?«
»Mehr als diese,