Inge Patsch

Mich in meinem Leben finden


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      Das Vergleichen verführt mich entweder zur Überheblichkeit oder bringt mich in die Verzweiflung. Wenn ich mich bemühe, mein Bestes zu geben, kann ich aufs Vergleichen verzichten. Finde ich mich und das, was mir möglich ist, bin ich weder von der Zustimmung anderer abhängig noch von ihrer Ablehnung. Die große Herausforderung besteht darin, mich und mein Leben nicht ständig mit anderen zu vergleichen.

      1Etty Hillesum, Das denkende Herz. Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941–1943, übersetzt von Maria Csollány, herausgegeben von J. G. Gaarlandt, Reinbek bei Hamburg 1995, 157.

      2Nikolaus Harnoncourt, „… es ging immer um Musik“. Eine Rückschau in Gesprächen, St. Pölten 2014, 122.

      3Michael Bordt, Die Kunst, sich selbst zu verstehen. Den Weg ins eigene Leben finden. Ein philosophisches Plädoyer, München 2016, 191.

      4Viktor E. Frankl, Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse, München 1987, 189.

      5Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen. Übertragung und Erklärung von Adolf Haas, Freiburg i. Br. 1966, 29.

      Ignatius von Loyola und Viktor E. Frankl – ein Dialog im Jenseits

      Zwischen Ignatius von Loyola und Viktor E. Frankl liegen vierhundert Jahre und mich inspiriert das Zeitlose. Die Aktualität ihres jeweiligen Gedankengutes ist verblüffend und mich fasziniert die nüchterne Leidenschaft zum Leben, die bei beiden spürbar wird. Die ignatianische Spiritualität entdeckte ich, als ich auf der Suche nach der tieferen Bedeutung meines Lebens gewesen bin. Bald darauf zog mich die Logotherapie und Existenzanalyse von Viktor E. Frankl in ihren Bann. Während ich in die logotherapeutische Gedankenwelt eintauchte, fielen mir immer wieder Sätze ein, die ich bereits bei Ignatius gelesen hatte. Z. B. lese ich bei Viktor E. Frankl: „Das Gefühl kann viel feinfühliger sein als der Verstand scharfsinnig.“ Spontan fällt mir dazu die Aussage von Ignatius ein: „Nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Befriedigung, sondern das innere Schauen und Verkosten der Dinge.“

      Mein wesentliches Anliegen ist, nicht über ein anderes Gedankengut zu schreiben, sondern von seiner Resonanz und Wirkkraft in mir zu erzählen. In mir begegnen sich Ignatius von Loyola und Viktor E. Frankl schon lange und immer wieder. So kam mir die Idee von einer Annäherung der beiden im Jenseits und ich ließ sie miteinander ins Gespräch kommen.

      Ignatius: Ich muss sagen, ich bin überrascht, dass fünfhundert Jahre nach meinem Tod noch jemand an mich und meine Schriften denkt. Es gab in dieser langen Zeit eine große Fülle von Philosophen und Theologen und einige haben außerordentlich viel zur seelischen Heilung der Menschen beigetragen.

      Frankl: Verzeihen Sie, dass ich Sie unterbreche, doch mir geht es ähnlich. Obwohl ich vor etwas mehr als zwanzig Jahren verstorben bin, interessieren sich die Menschen noch immer für meine Sinnlehre. Allerdings wundert es mich nicht, dass man Sie nicht vergessen hat. Ihre Schriften sind zeitlos – so wie auch seit ewigen Zeiten die Menschen auf der Suche nach Gott sind. Sie haben die Gesellschaft Jesu gegründet und diese wird wohl die nächsten fünfhundert Jahre überdauern. Bereits zu meiner Zeit faszinierte mich Ihr Gedanke, dass nicht das viele Wissen die Seele befriedigt und sättigt, sondern das innere Schauen und Verkosten der Dinge.

      Ignatius: Da gibt es wohl so etwas wie einen Gleichklang unserer Seelen. Mir fiel diese Ähnlichkeit auf, als ich in der Bibliothek des Universums Ihr Buch „Der unbewusste Gott“ gefunden habe. Von Ihnen stammt ja diese wunderbare Formulierung, dass das Gewissen ein Sinnorgan ist und dass es nicht nur darum geht, Wissen zu vermitteln, sondern das Gewissen zu verfeinern. Das ist eine schwierige Aufgabe und war schon im Mittelalter alles andere als einfach. Vor allem jene Menschen, die an der Macht waren, haben ihr Gewissen nicht verfeinert, sondern viel Unheil angerichtet.

      Frankl: Gab es eigentlich eine Zeit, in der Machthaber kein Unheil angerichtet haben? Wie Sie wissen, habe ich die Schreckenszeit des Holocaust im 20. Jahrhundert erlebt und erlitten. Es grenzt ohnehin an ein Wunder, dass ich überlebt habe und nach meiner Befreiung aus dem Konzentrationslager ein halbes Jahrhundert in einem friedlichen Österreich leben und die ganze Welt bereisen konnte.

      Ignatius: Ist es nicht so, dass Menschen Suchende sind? Ziemlich sicher verirren sich manche auf dieser Suche. Bei mir war das ähnlich. Nach einem Leben, das ausschließlich auf weltlichen Erfolg ausgerichtet war, bin ich mit Schriften in Berührung gekommen, die mein Denken verändert haben. Mein Lebensweg war entscheidend für das Entdecken und Entwickeln der Geistlichen Übungen. Wie haben Sie eigentlich Ihre Sinnlehre entdeckt?

      Frankl: Erklären kann ich das gar nicht so genau, aber ich habe mich bereits in meiner Schulzeit mit dem Thema Sinn beschäftigt. Als mein Physikprofessor sagte, das Leben sei nichts als ein Oxydationsprozess, habe ich ihn gefragt, welchen Sinn dann das Leben habe. Würde ich es etwas übertrieben formulieren, war dieser Moment die Geburtsstunde der Logotherapie.

      Was mich interessieren würde: In Ihren Schriften kommt immer wieder die Formulierung von der „Unterscheidung der Geister“ vor. Was meinen Sie damit und was führt Sie dazu?

      Ignatius: Als ich aufgrund einer Beinverletzung längere Zeit liegen musste, staunte ich ziemlich über deutliche Unterschiede in meinem seelischen Empfinden. Beim Lesen von Rittergeschichten – heute würde man sie wohl als Krimis bezeichnen – spürte ich Langweile und Unzufriedenheit, außerdem wurde mir klar, dass mich diese Lektüre nicht bereichert, sondern nur ablenkt. Als ich dann begann, Geschichten von Heiligen zu lesen, belebten mich diese Gedanken und ich erlebte trotz meiner körperlichen Einschränkung tröstliche Stunden. Mit diesen seelischen Stimmungen habe ich mich lange beschäftigt und bin zur Einsicht gelangt, dass unsere Gedanken von drei Quellen genährt werden: von der eigenen Freiheit, von guten Gedanken, die ermutigen, und von bösen oder schlechten Gedanken, die Groll verursachen. Mittlerweile habe ich von einigen Hirnforschern gehört, dass sich das menschliche Gehirn so entwickelt, wie ein Mensch es benutzt. Heute werden ja nicht mehr sehr viele Menschen Heiligengeschichten lesen, aber es gibt eine Fülle von lesenswerten Biografien, welche das Gute im Menschen anregen und stärken können.

      Frankl: Die Erkenntnisse der Hirnforschung hätte ich noch gerne erlebt, denn ich habe immer die Meinung vertreten, dass der Mensch ganz Mensch wird durch die Sache, die er zur seinen macht; wo er also aufhört, sich ständig selbst zu bespiegeln und zu fragen, ob er nicht zu kurz kommt. Der Mensch braucht etwas, das er mehr liebt als sich selbst; dabei kann es sich um einen anderen Menschen oder um eine gute Sache handeln. Wo ein Mensch sich hingibt, sich selbst vergisst, da wird er ganz er selbst.

      Ignatius: Wie ist es dann bei Menschen, die sich einer bösen Sache widmen? Mit böse meine ich Menschen, die Freiheit rauben und Macht ausüben? Geht dann so ein Mensch in der bösen Sache auf?

      Frankl: Sie haben vorhin als Ursprung unserer Gedanken die Freiheit erwähnt, sowohl gute als auch böse Gedanken zu denken. Ich habe Menschen erlebt, die waren überzeugt, Gutes zu tun, obwohl es offensichtlich böse war. Sie beriefen sich auf ihre Pflicht und hatten jede Form ihrer inneren Freiheit an die Machthaber der jeweiligen Zeit abgegeben. Im Alten Testament steht im Buch Exodus sinngemäß: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus der Gefangenschaft herausgeführt hat in ein Land voll Leben und Freiheit.“

      Mit diesem Zitat versuche ich, Ihre Frage zu beantworten. Ich kann mir vorstellen, dass Handlanger des Bösen nichts von jener Freiheit wissen, die wir meinen, und daher denken sie auch nicht darüber nach, dass ihr Tun Menschen schadet. Hinweise auf das Böse werden diese Menschen nicht erreichen, obwohl sie dringend Nachhilfe in Skepsis nötig hätten. Allerdings bezweifle ich, ob diese Menschen so etwas wie innere Ruhe und Vertrauen ins Leben kennen. Die sehen doch in jedem, der nicht ihrer Meinung ist, einen Feind.

      Ignatius: Mit Ihrer Antwort erinnern Sie mich an die unselige