warteten und der Nachbar zufällig gerade jetzt mit seinem Girardi-Hut auf die Straße trat, hielten sie ihn für den Schauspieler, zerrten ihn in den Krankenwagen und lieferten ihn in die Privatanstalt Svetlin ein. Girardi, der die Szene vom Fenster seiner Wohnung aus beobachtet hatte, konnte zu Katharina Schratt flüchten, die beim Kaiser intervenierte und ihrem Kollegen so die Einweisung ins Irrenhaus ersparte.
Nach rund zwanzig glanzvollen Jahren im Theater an der Wien unternahm Alexander Girardi zahlreiche Gastspiele, ehe ihn kurz vor seinem Tod der Ruf ans Burgtheater ereilte. Mehrere Anekdoten bezeugen die unvergleichliche Popularität des Alexander Girardi.
Girardi war mit Alexandrine von Schönerer, der Besitzerin und Prinzipalin des Theaters an der Wien, verfeindet. Er schloss daher einen der kuriosesten Bühnenverträge aller Zeiten ab. Ein Passus seines Kontrakts lautete: »Wenn Herr Girardi in einer Probe die Bühne betritt, hat Fräulein von Schönerer dieselbe augenblicklich zu verlassen.«
Eines Tages begleitete der Volksschauspieler den alten Kaiser bei einem Spaziergang durch Bad Ischl, und die Leute drehten sich um und fragten: »Wer ist denn der alte Herr neben dem Girardi?«
Als er einmal von einem Kollegen gebeten wurde, ihm zehn Gulden zu leihen, sagte Girardi: »Wissen S’ was, lieber Herr, simma lieber gleich bös!«
Girardi heiratete nach der Scheidung von Helene Odilon noch einmal und verbrachte mit seiner zweiten Frau Leonie, der Adoptivtochter des Klavierfabrikanten Bösendorfer, glückliche Jahre. Er starb am 20. April 1918 im Alter von 68 Jahren an den Folgen seiner Zuckerkrankheit. Nach seinem Tod munkelte man hinter vorgehaltener Hand: »Der Johann Strauß ist tot, der alte Kaiser ist tot – und jetzt ist der Girardi g’storben. Da wird’s die Monarchie aa nimmer lang geben.«
Ein halbes Jahr später sollte sich diese düstere Prophezeiung bewahrheiten.
»Wie nehm man denn?« Hans Moser erfindet den Dienstmann
Er ist nicht nur als Volksschauspieler in die Theatergeschichte eingegangen, sondern auch als Autor. Auch wenn es nur ein Sketch ist, den Hans Moser schrieb, so wurde dieser zum Auftritt seines Lebens, hat er doch 1923 seine bekannteste Solonummer, den Dienstmann, selbst verfasst. Auf einem Bahnhof nähert sich Moser als Dienstmann gemächlichen Schritts einem wegen baldiger Zugabfahrt nervös wartenden deutschen Ehepaar, neben dem ein großer Koffer steht. Der Herr fordert den Dienstmann auf, das unhandliche Gepäckstück ehestmöglich zum Bahnsteig zu bringen. Moser betrachtet den Koffer skeptisch von allen Seiten.
DIENSTMANN: Wia nehm man denn?
HERR: Wie?
DIENSTMANN: Wia nehm man denn?
HERR: Mensch, ich versteh Sie nicht.
DIENSTMANN (versucht Hochdeutsch zu sprechen): Wie nehmen wir ihm denn?
HERR: Das müssen Sie doch wissen.
DIENSTMANN: ’s is a Unglück, wenn aner net Deutsch versteht. Alani bring i’n net aufi, da miassen Sie aa a bissl nachhelfen, und das Fräulein aa.
DAME (empört): Was, ich soll einen Koffer tragen?
DIENSTMANN: Koffer tragen! I brauch ihn ja nur aufg’legt. In dem Moment, wo ich ihn aufg’legt hab, so renn ich ja eh damit wie a Wiesel.
HERR: Also, wo soll ich ihn denn nehmen?
DIENSTMANN: No beim Henkel, drum haben wir ihn ja dran, net. Passen S’ auf, Fräulein, Sie nehmen ihn am besten (er überlegt) mit’n Untergriff.
DAME: Mit dem Untergriff?
DIENSTMANN: Sei Lebtag, sie kann ihn gar net anders nehmen, sie kann ihn nur mit’n Untergriff nehmen. Also, sammas?
HERR: Wie? Ich versteh Sie nicht!
DIENSTMANN: Also, sind mir soweit?
HERR: Ja, doch!
DIENSTMANN: Na, also, dann gehma …
Hans Moser wurde am 6. August 1880 als Sohn eines Bildhauers und einer Milchfrau in Wien geboren. Dem Umstand, dass seine Vorfahren väterlicherseits aus Frankreich stammten, verdankte er seinen eigentlichen Namen Johann Julier. Er absolvierte die Handelsschule, arbeitete in der Buchhaltung eines Lederwarengeschäfts und nahm Sprechunterricht beim Burgschauspieler Josef Moser, dem zu Ehren er sich später Hans Moser nannte.
Doch kein Theaterdirektor zeigte Interesse an dem 1,58 Meter kleinen Schauspieler aus Wien. Blieb nur die »Schmiere«, die unterste Stufe des Theaterbetriebs, die in schmutzigen Gasthaussälen in Böhmen und Mähren beheimatet war, wo Moser viele Jahre auftrat, ohne die geringste Chance, entdeckt zu werden. Er spielte die jugendlichen Liebhaber, für deren Darstellung er wirklich nicht geschaffen war, hatte aber auch Chor- und Statisterieverpflichtung, musste Kulissen schieben und Theaterzettel austragen.
Keiner glaubte an ihn, nur er selbst wusste von seinem Talent, wie er viel später, bereits als berühmter Mann, in einem Interview feststellte. »Eines möchte ich schon sagen: Das, was ich heute kann, habe ich vor zwanzig Jahren schon gekonnt. Um kein Haar war ich damals anders als heute, ganz gewiss nicht.«
1910 lernte er die Frau kennen, die sich sowohl für sein Privatleben als auch für sein berufliches Fortkommen als Glücksfall erweisen sollte. Blanca Hirschler nahm seine Karriere in die Hand und klapperte nun mit ihm gemeinsam Kabaretts, Varietés und Nachtlokale ab. Sie studierte mit ihm Rollen ein, handelte Verträge aus, kümmerte sich um Engagements. Vor allem aber machte sie ihm Mut und half, seine Depressionen zu überwinden.
Hans Mosers große Stunde schien zu schlagen, als ihn der Kabarettist Heinrich Eisenbach 1912 an sein Budapester Orpheum in der Taborstraße holte, doch das Glück blieb von kurzer Dauer, da der Erste Weltkrieg ausbrach und der 34-jährige Moser einrücken musste. An der Front träumte er davon, einmal das zu spielen, womit seine berühmten Kollegen im Eisenbach-Ensemble ihre Erfolge feierten: eine Solonummer.
Als er nach dem Krieg den späteren Lehár-Librettisten Fritz Löhner-Beda kennenlernte, packte er die Gelegenheit beim Schopf und bat ihn, einen Einakter für ihn zu schreiben. So entstand Der Hausmeister vom Siebenerhaus, mit dem der nun schon 42 Jahre alt gewordene Schauspieler endlich auf sich aufmerksam machen konnte. Und wirklich: Die berühmte Komikern Gisela Werbezirk sah Moser in einem kleinen Kabarett und engagierte ihn als Partner für das Lustspiel Frau Lohengrin.
Nun schrieb sich Moser den Dienstmann auf den Leib. Daraufhin wurde er für die Revue Wien gib’ acht! ans Ronacher geholt, und von da an ging alles Schlag auf Schlag. Hubert Marischka, der Direktor des Theaters an der Wien, entdeckte Moser als »Dritter-Akt-Komiker« für Kálmáns Gräfin Mariza und übertrug ihm von da an eine Traumrolle nach der anderen. Als Moser in Bruno Granichstaedtens Der Orlow als Billeteur brillierte, kam Max Reinhardt, um ihn zu sehen – und sofort zu engagieren.
Von einem Tag zum anderen stand er, der kurz zuvor noch der »Schmiere« angehört hatte, an vorderster Front. Moser wurde einer der Lieblingsschauspieler Max Reinhardts, der ihm die Rollen gab, für die er geschaffen war.
Ab Mitte der Dreißigerjahre zählte Moser zu den meistbeschäftigten und bestbezahlten Filmstars. Er drehte hundertfünfzig Filme, oft so trivialen Inhalts, dass sie ohne sein Mitwirken unvorstellbar wären. Doch sein Auftreten adelte die banalste Handlung. Moser war bereits 53 Jahre alt, als er 1933 in dem Willi-Forst-Film Leise flehen meine Lieder einen kleinen Pfandleiher so überwältigend menschlich darstellte, dass er in einer Zeitung zum ersten Mal als »Volksschauspieler« bezeichnet wurde.
In seiner Glanzzeit war es Mode, Hans Moser zu imitieren. Bei einem Frühlingsfest, so erzählte man sich, sei eine Preiskonkurrenz veranstaltet worden, bei der die drei