Georg Markus

Wenn man trotzdem lacht


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und wurde schließlich zu der Bühne, auf der Fritz Grünbaum die moderne Conférence erfand. Während sich seine Vorgänger meist durch anzügliche Witze und billige Späße hervortaten, faszinierte er durch geistreiches Wortspiel, oft mit aktuellen Bezügen. Vom Keller des Theaters an der Wien aus wurde Grünbaum auf den Wiener und Berliner Revue- und Kabarettbühnen zur absoluten Nummer eins. Der 1,55 Meter kleine und nicht gerade attraktive Fritz Grünbaum wusste seine Chance zu nützen – auch indem er sein wenig vorteilhaftes Äußeres voll Selbstironie in Reimform beschrieb.

      Ich bitte, beginnen wir mit der Figur.

       Es ist doch sicher, dass meine Statur

       An Größe und Breite und überhaupt

      Keine michelangelesken Reminiszenzen erlaubt.

       Ja, dass ich im Urteil der sehenden Leute

      Eher quasi einen Missgriff der Schöpfung bedeute.

      Nennen Sie meine Bedenken nicht kleinlich,

       So klein wie ich sein, ist wirklich peinlich …

      Und über seinen schütteren Haarkranz dichtete er:

      Am liebsten ließe ich mich von mir scheiden,

       Ich kann nämlich Leute mit Glatze nicht leiden …

       Innerlich trag ich den Lockenschatz

       Und äußerlich scheint mir die Sonn auf die Glatz!

      Für die damalige Zeit außergewöhnlich waren auch die auf offener Bühne vorgetragenen »Publikumsbeschimpfungen« Fritz Grünbaums:

       Wenn ich so abends im Cabaret

       Schmonzes plaudernd auf dem Podium steh

       Da grübel ich oft so in mich hinein:

       Wie reizend könnt mein Beruf doch sein

      Und wie wär mir beim Cabaret alles doch recht

       Wenn’s nur kein Publikum geben möcht …

      An dieser Stelle unterbrach sich Grünbaum eines Abends, blickte durch seine dicken Brillen in die erste Tischreihe und sagte: »Meine sehr geehrten Damen und Herren, da ganz vorne. Es ist schon schlimm genug, dass ich Sie in dieser Zeit essen sehen muss, aber muss ich Sie auch noch essen hören?« Um dann mit seinem Gedicht fortzufahren:

       Ich hab einen Hass auf das Publikum!

      Ich schwör’s – ich schau mich nicht einmal um.

       Wenn ich hier auf dem Podium steh

      Und notgedrungen hinunterseh

       Natürlich – jetzt schrei’n Sie sofort drauf »Oho!«

      Aber was soll ich mir tun? Es ist trotzdem so.

       Und wenn Sie auch schrei’n, dass die Ohren mir klingen

       Sie können ja doch nicht zur Liebe mich zwingen!

      Im Herbst 1922 sprang dem 29-jährigen Schauspieler Karl Farkas im Wiener Tagblatt das Inserat »Das Cabaret Simplicissimus sucht Nachwuchskräfte« ins Auge. Er bewarb sich als »Blitzdichter« und forderte Kabarettdirektor Egon Dorn bei seinem Vorstellungsgespräch auf, ihm aktuelle Themen oder prominente Namen zu nennen, auf die er ein Gedicht machen würde. Dorn rief ihm »Leo Slezak« zu, worauf Farkas in der Sekunde dichtete: »Glaubt mir, dass ich euch keinen Schmäh sag’, der beste Sänger ist der Slezak.« Der junge Schauspieler wurde engagiert und trat von nun an täglich im Simpl auf. Das Publikum rief ihm die Namen berühmter Künstler zu, die er zu Kurzgedichten formte: »Die Frau, der ich mein Interesse lieh, das ist die Paula Wessely.« Als ihm eines Abends der Name des Geigers Jan Kubelik zugerufen wurde, »blitzdichtete« Farkas gleich vierzeilig:

      Wenn ich in der Stube lieg’,

      Denk ich an den Kubelik.

      Der hat sogar bei Richard Strauss,

      Die allerbeste Strichart ’raus.

      Farkas war am 28. Oktober 1893 als Sohn des aus Ungarn stammenden Schuhfabrikanten Moriz Farkas in Wien zur Welt gekommen. Die Vorzeichen, Schauspieler oder gar Kabarettist zu werden, standen schlecht, denn sein Vater bekämpfte die künstlerischen Neigungen seiner beiden Söhne vehement. Bis es zu einer Katastrophe kam. Karls neunzehnjähriger Bruder Stefan wollte akademischer Maler werden, wurde aber vom Vater gezwungen, in die familieneigene Schuhfabrik einzusteigen. Da erhängte sich Stefan Farkas in seinem Zimmer in der elterlichen Wohnung.

      Der Vater erkannte nun, wohin sein autoritäres Verhalten geführt hatte. Noch unter schwerem Schock stehend, sagte er zu Karl, für den er bereits eine Karriere als Rechtsanwalt vorgesehen hatte: »Mein Sohn, ich will dich zu nichts zwingen. Mach deine Matura und werde dann, was du für richtig hältst.«

      Karl Farkas absolvierte die Handelsakademie und die Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien. Nach dem Krieg rüstete er als Leutnant ab, war als Schauspieler, Opern- und Operettenregisseur in Olmütz, Mährisch-Ostrau und Linz tätig.

      Im Herbst 1921 kam er an die Neue Wiener Bühne, spielte Klassiker und Komödien. »Doch auf die Idee, Kabarettist zu werden, wäre ich nie gekommen«, erzählte er später, »da Kabarettisten für mich in dieser Zeit noch zur Gattung niederer Lebewesen zählten.«

      Die Inflation der frühen Zwanzigerjahre machte es nötig, über den eigenen Schatten zu springen und sich um einen Nebenerwerb zu kümmern, um überleben zu können.

      Farkas wurde nach seinem Vorsprechen im Simpl sehr bald als neuer Star unter den Wiener Kabarettisten gefeiert und war über Nacht eine Berühmtheit. Die Wiener stürmten das Kabarett auf der Wollzeile, um die neuesten Farkas-Reime zu hören – etwa in dem Lied Pflückt ein Mädel Ribisel zur Musik von Ralph Benatzky:

      In Wien geht man so gern auf Urlaub,

      Genießt die Wälder im Naturlaub.

      Doch muss man, ist die Kasse klein,

      Sich in Gastein kastein.

      Und statt ans Mittelmeer zu fahren,

      Hat man keine Mittel mehr zu fahren.

      Im Schrebergarten pflückt man heut’,

       Die Urlaubsfrüchte mit der Maid:

      Pflückt ein Mädel Ribisel,

      Zwickt man sie ins Knie bissl.

      Pflückt das Mädel Orchideen,

      Kriegt sie häufig Storchideen.

      Pflückt der Jüngling grüne Mandeln,

      Kriegt er Sehnsucht anzubandeln.

      Pflückt er mit ihr Rosmarien,

       Was geht’s uns an, loss’ mar ihn …

      Neben Grünbaum zählte nun auch Farkas zur ersten Garnitur der Conférenciers, für deren Berufsstand er selbstverständlich eine originelle Beschreibung fand:

      Ein Conférencier ist ein Mann, der dem Publikum möglichst heiter zu erklären versucht, dass es heutzutage nichts zu lachen gibt.

      Doch im Mittelpunkt blieb weiterhin Farkas’ Genie als Blitzdichter. »Es war atemberaubend«, erinnerten sich Simpl-Besucher, »die Leute riefen ihm die dümmsten Sachen zu – und Farkas machte daraus in Sekunden ein kluges Gedicht«. Als etwa der in Genf beheimatete Völkerbund 1922 den Sanierungsplan für Österreich genehmigte, »schüttelte« Farkas den Unterschied zwischen »Frankfurtern« und »Wienern« aus dem Ärmel:

      Die Frankfurter