gestanden hatte.
Sie war nicht mehr zu sehen.
„Sie ist auf keinen Fall allein in der Bude“, mutmaßte Melvin, der Kopf der drei Gangster, „’n Schlüssel hat sie ja schließlich nicht bei sich gehabt.“
„Nee, bestimmt nicht“, kicherte Paul in Erinnerung an den nackten Körper der jungen Frau.
„Was kann uns schon passieren?“ meinte Richie, „steigen wir endlich aus und räumen wir auf. Wißt ihr, wie lange der Chef schon auf Nachricht wartet?“
„Uns kann eine ganze Menge passieren, wenn wir jetzt Blödsinn machen“, überlegte Melvin laut und schüttelte dann nachdrücklich den Kopf. „Daß die Kleine hier in Shepherd’s Market wohnt, ändert die Lage. Wir sprechen erst mal mit dem Chef. Zurück zur nächsten Telefonzelle, Paul!“
„Wir hätten sie noch vor der Tür umlegen sollen“, ärgerte sich der junge Killer. „War ’ne einmalige Gelegenheit.“
„Mach schon, Paul!“ Melvin beknabberte den Fingernagel des linken kleinen Fingers und dachte nach. Er wollte die Verantwortung nicht mehr allein tragen. Der Fall war ihm aus dem Ruder gelaufen.
„Wollen wir denn nicht wenigstens feststellen, wer in dem Bau wohnt?“ ließ Richie sich vernehmen.
„Steig aus und sieh nach, Richie“, befahl Melvin, „komm aber sofort wieder zurück und unternimm bloß nichts auf eigene Faust!“
Richie verließ den Wagen und schlenderte betont unauffällig zu dem großen Fachwerkhaus. Als er die Haustür erreicht hatte, studierte er das Namensschild unter dem Klingelknopf. Er wußte nicht, daß er zu diesem Zeitpunkt bereits beobachtet wurde.
*
Der Junge war überglücklich.
Parker hatte ihm noch einige Hamster, Schildkröten und ein Meerschweinchen geschenkt, denn die Auskünfte des kleinen Mannes hatten sich als sehr wertvoll erwiesen. Durch ihn hatten Lady Agatha und Josuah Parker von einer gewissen Helen Winters erfahren, die ganz in der Nähe wohnte. Aufschlußreich in diesem Zusammenhang war die Tatsache, daß diese Helen Winters rothaarig war. Eine gezielte Frage danach war von dem Jungen einwandfrei und positiv beantwortet worden.
Parker war ein korrekter Mensch.
Er legte den Gegenwert der geschenkten Tiere in Banknoten auf den Tisch und übersah das Kopfschütteln von Mylady, die das für unnötig hielt.
„Somit dürfte die Existenz von Miß Kathys Doppelgängerin gesichert sein, Mylady“, sagte Parker.
„Sehen wir uns diese Helen Winters an“, forderte Agatha Simpson energisch. „Aber bringt uns das im Moment überhaupt weiter?“
„Sicher nicht, Mylady“, räumte der Butler gemessen ein. „Miß Winters dürfte längst das sein, was man über alle Berge nennt, wenn ich mich so vulgär ausdrücken darf. Da sie entführt werden sollte, ist zu vermuten, daß sie in Dinge verwickelt ist, von deren Gefährlichkeit sie weiß. Daraus wieder ergibt sich der Schluß, Mylady, daß Miß Winters sich auf keinen Fall’ in ihrer Wohnung aufhält.“
„Wir suchen Kathy, Mister Parker, nicht diese Winters! Und sagen Sie mir endlich, wo wir Kathy finden können. Das arme Ding befindet sich wahrscheinlich in Lebensgefahr.“
„Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit ratlos.“
„Dann werde ich jetzt mal die Dinge in die Hand nehmen“, entschied Agatha Simpson energisch. „Hier muß es doch Kellerräume geben. Inspizieren wir sie, Mister Parker. Sie wird wahrscheinlich in einem gräßlichen Loch festgehalten.“
Parker suchte und fand den Zugang. Von dem kleinen Lager aus führte eine schmale Treppe hinunter in zwei Kellerräume, die zimmergroß waren und keineswegs geheimnisvoll wirkten. Es waren auf keinen Fall gräßliche Löcher, wie Mylady vermutet hatte. Durch breite Schächte fiel Licht in die Räume, deren Wände ebenfalls mit Stellagen bedeckt waren. Auch hier stapelte sich billiger, afrikanischer Tand in Massen. Vorherrschend waren erstaunlicherweise wieder die Dämonenmasken, die mit einer Unzahl weißer kleiner Muscheln übersät waren.
Diese Muscheln schienen selbst den Besitzer der Tierhandlung gestört zu haben. In einer Ecke des zweiten Kellers entdeckte der Butler einen kleinen Berg abgelöster Muscheln, die teilweise zerbrochen oder zertreten waren. Die muschellosen Masken lagen gestapelt in einer anderen Ecke.
Mylady hatte es sich in den Kopf gesetzt, Kathy Porter hier zu finden. Verbissen klopfte sie alle erreichbaren Kellerwände nach Hohlräumen oder versteckten Geheimtüren ab. Dazu benutzte sie ihren Pompadour und den darin befindlichen Glücksbringer.
„Sehr enttäuschend“, meinte sie schließlich grimmig. „Sehen wir uns also die Wohnung dieser Maskenliebhaber an, Mister Parker. Ich weiß, daß Kathy ganz in der Nähe ist, ich spüre es.“
„Sehr wohl, Mylady“, gab der Butler höflich zurück und hütete sich zu widersprechen. Seiner Ansicht nach wurde Kathy leider nicht in diesem Haus festgehalten. So einfach war dieser Fall nicht. Hier schien es um wichtige Dinge zu gehen, die möglicherweise sogar schon einen Mord ausgelöst hatten. Er dachte in diesem Zusammenhang an Harry Lancing im Spital.
Lancings Wohnung bestand aus zwei Räumen und einer kleinen Pantry. Lady Agatha und Butler Parker erreichten sie auf dem Umweg über das Treppenhaus und sahen sich einem Chaos gegenüber. Ein Tornado schien durch die kleine Wohnung gerast zu sein, alles war verwüstet und auf den Kopf gestellt worden. Hier schien man mit verzweifelter Wut nach ganz bestimmten Dingen gesucht zu haben, was Parker auch diskret äußerte.
„Drücken Sie sich gefälligst deutlicher aus“, raunte Lady Agatha ihren Butler an, „nach welchen Dingen?“
„Es muß sich um einen mehr oder weniger kleinen Gegenstand handeln“, antwortete Parker und deutete, auf die zerschnittenen Sitzpolster und Matratzen.
„Also Rauschgift!“ Agatha Simpson wußte es wieder mal ganz genau.
„Unter Umständen, Mylady.“
„Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht“, meinte sie und sah den Butler triumphierend an. „Denken Sie doch mal an die vielen kleinen zerbrochenen Muscheln unten im Keller.“
„Sofort, Mylady.“
„Warum sind sie von den Masken wohl gelöst worden?“
„Mylady haben eine bestimmte Theorie?“
„Worauf Sie sich verlassen können, Mister Parker.“ Sie nickte grimmig und stolz zugleich. „Diese Muscheln enthielten Rauschgift.“
„Ein erstaunlicher Aspekt, Mylady.“
„Nicht wahr?“ Agatha Simpson freute sich über die Anerkennung. „Lancing ließ sich diesen billigen afrikanischen Tand hierher nach London schicken. Die Muscheln auf den Masken waren gefüllt mit, sagen wir, Heroin oder einem anderen Rauschgift. Glauben Sie, die Zollbeamten hätten sich jede Maske und Muschel einzeln angesehen? Ausgeschlossen! Lancing nahm diese Masken in Empfang, löste die Muscheln und dann aus ihnen das Rauschgift. Können Sie sich einen raffinierteren Trick vorstellen, Mister Parker? Ich nicht!“
„Das oft zitierte Ei des Kolumbus, Mylady“, antwortete der Butler zurückhaltend.
„Man muß eben Phantasie haben, Mister Parker“, stellte die Detektivin selbstzufrieden fest. „Und diesen Trick werde ich in meinem nächsten Kriminalroman verwenden. Das Leben schreibt eben doch die besten und unglaublichsten Geschichten.“
„Wie wahr, Mylady.“ Parker hatte sich die Behauptungen seiner Herrin durch den Kopf gehen lassen und gestand sich ein, daß er sich die von den Dämonenmasken abgelösten Muscheln nicht genau genug angesehen hatte. Das mußte so schnell wie möglich nachgeholt werden.
Da sie Kathy immer noch nicht aufgespürt hatten, verließen sie die Wohnung des Zoohändlers Harry Lancing. Während Lady Simpson bereits zu Parkers hochbeinigem Wagen ging, schritt der Butler gemessen hinunter in den Lagerkeller und versorgte sich hier