der Verblendung hervor. Gerade dieses Zeichen des verschmähten Opfers sucht mit allen Mitteln Eduard sich zu sichern. Um hohen Preis bringt er es nach dem Feste an sich. Sehr mit Grund heißt es in einer alten Besprechung: »Aber seltsam und schauerlich! Wie die nicht beachteten Vorbedeutungen alle eintreffen, so wird diese eine beachtete trügerisch befunden.« Und an solchen unbeachteten fehlt es in der Tat nicht. Die drei ersten Kapitel des zweiten Teils sind ganz erfüllt von Zurüstungen und Gesprächen um das Grab. Merkwürdig ist im Verlaufe der letzteren die frivole, ja banale Deutung des de mortius nihil nisi bene. »Ich hörte fragen, warum man von den Toten so unbewunden Gutes sage, von den Lebenden immer mit einer gewissen Vorsicht. Es wurde geantwortet: weil wir von jenen nichts zu befürchten haben und diese uns noch irgendwo in den Weg kommen könnten.« Wie scheint auch hier ironisch sich ein Schicksal zu verraten, durch das die Redende, Charlotte, es erfährt, wie strenge ihr zwei Verstorbene den Weg vertreten. Tage, die auf den Tod vordeuten, sind die drei, auf welche das Geburtstagsfest der Freunde fällt. Wie die Grundsteinlegung an Charlottens, so muß auch das Richtfest an Ottiliens Geburtstag unter unglücklichen Zeichen sich vollziehen. Dem Wohnhaus ist kein Segen verheißen. Friedlich aber weiht an Eduards Geburtstag seine Freundin das vollführte Grabhaus. Ganz eigen wird gegen ihr Verhältnis zur entstehenden Kapelle, deren Bestimmung freilich noch unausgesprochen ist, das der Luciane zu dem Grabmal des Mausolos gestellt. Mächtig bewegt den Erbauer Ottiliens Wesen, unvermögend bleibt Lucianens Bemühen bei verwandtem Anlaß seinen Anteil zu wecken. Dabei ist das Spiel am Tage und der Ernst geheim. Solche verborgene doch entdeckt darum nur um so schlagendere Gleichheit liegt auch in dem Motiv der Kästchen vor. Dem Geschenk an Ottilie, das den Stoff ihres Totengewandes enthält, entspricht des Architekten Behältnis mit den Funden aus Vorzeitgräbern. Von »Handelsleuten und Modehändlern« ist das eine erstanden, von dem andern heißt es, daß sein Inhalt durch die Anordnung »etwas Putzhaftes« annahm, daß »man mit Vergnügen darauf, wie auf die Kästchen eines Modehändlers hinblickte«.
Auch das dergestalt einander Entsprechende – im Genannten immer Todessymbole – ist nicht leichthin, wie es R. M. Meyer versucht, durch die Typik Goethescher Gestaltung zu erklären. Vielmehr ist erst dann die Betrachtung am Ziel, wenn sie als schicksalhaft jene Typik erkennt. Denn die »ewige Wiederkunft alles Gleichen«, wie es vor dem innerlichst verschiednen Fühlen starr sich durchsetzt, ist das Zeichen des Schicksals, mag es nun im Leben vieler sich gleichen oder in dem Einzelner sich wiederholen. Zweimal bietet Eduard dem Geschick sein Opfer an: im Kelch das erste Mal, danach – wenn auch nicht mehr willig – im eignen Leben. Diesen Zusammenhang erkennt er selbst. »Ein Glas mit unserm Namenszug bezeichnet, bei der Grundsteinlegung in die Lüfte geworfen, ging nicht zu Trümmern; es ward aufgefangen und ist wieder in meinen Händen. So will ich mich denn selbst, rief ich mir zu, als ich an diesem einsamen Ort so viel zweifelhafte Stunden verlebt hatte, mich selbst will ich an die Stelle des Glases zum Zeichen machen, ob unsere Verbindung möglich sei oder nicht. Ich gehe hin und suche den Tod, nicht als ein Rasender, sondern als einer der zu leben hofft.« Auch in der Zeichnung des Krieges, in den er sich wirft, hat man jene Neigung zum Typus als Kunstprinzip wiedergefunden. Aber selbst hier ließe sich fragen, ob nicht auch deswegen diesen Goethe so allgemein behandelt hat, weil der verhaßte gegen Napoleon ihm vorschwebte. Wie dem auch sei: nicht ein Kunstprinzip allein, sondern ein Motiv des schicksalhaften Seins vor allem ist in jener Typik zu erfassen. Diese schicksalhafte Art des Daseins, die in einem einzigen Zusammenhang von Schuld und Sühne lebende Naturen umschließt, hat der Dichter durch das Werk hin entfaltet. Sie aber ist nicht, wie Gundolf meint, der des Pflanzendaseins zu vergleichen. Kein genauerer Gegensatz zu ihr ist denkbar. Nein, nicht »nach Analogie des Verhältnisses von Keim, Blüte und Frucht ist auch Goethes Gesetzesbegriff, sein Schicksal- und Charakterbegriff in den Wahlverwandtschaften zu denken«. Goethes so wenig wie irgend ein anderer, der stichhaltig wäre. Denn Schicksal (ein anderes ist es mit dem Charakter) betrifft das Leben unschuldiger Pflanzen nicht. Nichts ist diesem ferner. Unaufhaltsam dagegen entfaltet es sich im verschuldeten Leben. Schicksal ist der Schuldzusammenhang von Lebendigem. So hat es Zelter in diesem Werke berührt, wenn er, die »Mitschuldigen« damit vergleichend, von dem Lustspiel bemerkt: »doch ist es eben darum von keiner angenehmen Wirkung, weil es vor jede Tür tritt, weil es die Guten mittrifft, und so habe ich es mit den Wahlverwandtschaften verglichen, wo auch die Besten was zu verheimlichen haben und sich selber anklagen müssen nicht auf dem rechten Weg zu sein.« Sichrer kann das Schicksalhafte nicht bezeichnet werden. Und so erscheint es in den Wahlverwandtschaften: als die Schuld, die am Leben sich forterbt. »Charlotte wird von einem Sohne entbunden. Das Kind ist aus der Lüge geboren. Zum Zeichen dessen trägt es die Züge des Hauptmanns und Ottiliens. Es ist als Geschöpf der Lüge zum Tode verurteilt. Denn nur die Wahrheit ist wesenhaft. Die Schuld an seinem Tode muß auf die fallen, die ihre Schuld an seiner innerlich unwahren Existenz nicht durch Selbstüberwindung gesühnt haben. Das sind Ottilie und Eduard. – So ungefähr wird das naturphilosophisch – ethische Schema gelautet haben, das Goethe sich für die Schlußkapitel entwarf.« Soviel ist an dieser Vermutung Bielschowskys unumstößlich: daß es ganz der Schicksalsordnung entspricht, wenn das Kind, das neugeboren in sie eintritt, nicht die alte Zerrissenheit entsühnt, sondern deren Schuld ererbend vergehen muß. Nicht von sittlicher ist hier die Rede – wie könnte das Kind sie erwerben – sondern von natürlicher, in die Menschen nicht durch Entschluß und Handlung, sondern durch Säumen und Feiern geraten. Wenn sie, nicht des Menschlichen achtend, der Naturmacht verfallen, dann zieht das natürliche Leben, das im Menschen sich die Unschuld nicht länger bewahrt als es an ein höheres sich bindet, dieses hinab. Mit dem Schwinden des übernatürlichen Lebens im Menschen wird sein natürliches Schuld, ohne daß es im Handeln gegen die Sittlichkeit fehle. Denn nun steht es in dem Verband des bloßen Lebens, der am Menschen als Schuld sich bekundet. Dem Unglück, das sie über ihn heraufbeschwört, entgeht er nicht. Wie jede Regung in ihm neue Schuld, wird jede seiner Taten Unheil auf ihn ziehen. Dies nimmt in jenem alten Märchenstoff vom Überlästigen der Dichter auf, in dem der Glückliche, der allzu reichlich gibt, das Fatum unauflöslich an sich fesselt. Auch dies das Gebaren des Verblendeten.
Ist der Mensch auf diese Stufe gesunken, so gewinnt selbst Leben scheinbar toter Dinge Macht. Sehr mit Recht hat Gundolf auf die Bedeutung des Dinghaften im Geschehen hingewiesen. Ist doch ein Kriterium der mythischen Welt jene Einbeziehung sämtlicher Sachen ins Leben. Unter ihnen war von jeher die erste das Haus. So rückt hier im Maße wie das Haus vollendet wird das Schicksal nah. Grundsteinlegung, Richtfest und Bewohnung bezeichnen ebensoviele Stufen des Unterganges. Einsam, ohne Blick auf Siedelungen liegt das Haus, und fast unausgestattet wird es bezogen,. Auf seinem Altan erscheint, indes sie abwesend ist, Charlotte, in weißem Kleide, der Freundin. Auch der Mühle im schattigen Waldgrund ist zu gedenken, wo zum ersten Male die Freunde sich im Freien versammelt haben. Die Mühle ist ein altes Symbol der Unterwelt. Mag sein, daß es aus der auflösenden und verwandelnden Natur des Mahlens sich herschreibt.
Notwendig müssen in diesem Kreis die Gewalten obsiegen, die im Zerfallen der Ehe an Tag treten. Denn es sind eben jene des Schicksals. Die Ehe scheint ein Geschick, mächtiger als die Wahl, der die Liebenden nachhängen. »Ausdauern soll man da, wo uns mehr das Geschick als die Wahl hingestellt. Bei einem Volke, einer Stadt, einem Fürsten, einem Freunde, einem Weibe festhalten, darauf Alles beziehen, deshalb Alles wirken, Alles entbehren und dulden, das wird geschätzt«. So faßt Goethe in dem Aufsatz über Winckelmann den in Rede stehenden Gegensatz. Vom Geschick her ermessen ist jede Wahl »blind« und führt blindlings ins Unheil. Ihr steht mächtig genug die verletzte Satzung entgegen, um zur Sühne der gestörten Ehe das Opfer zu fordern. Unter der mythischen Urform des Opfers also erfüllt sich die Todessymbolik in diesem Geschick. Dazu vorbestimmt ist Ottilie. Als eine Versöhnerin »steht Ottilie da in dem herrlichen« (lebenden) »Bilde; sie ist die Schmerzensreiche, die Betrübte, der das Schwert durch die Seele dringt« sagt Abeken in der vom Dichter so bewunderten Besprechung. Ähnlich Solgers gleich gemächlicher und von Goethe gleich geachteter Versuch. »Sie ist ja das wahre Kind der Natur und ihr Opfer zugleich.« Beiden Rezensenten mußte doch der Gehalt des Vorgangs völlig entgehen, weil sie nicht vom Ganzen der Darstellung sondern von dem Wesen der Heldin ausgingen. Nur im ersten Falle gibt sich das Verscheiden der Ottilie unverkennbar als Opferhandlung. Daß ihr Tod – wenn nicht im Sinn des Dichters so gewiß in dem entschiedeneren seines Werks – ein mythisches Opfer ist, erweist ein Doppeltes zur Evidenz. Zunächst: es ist dem Sinn der Romanform nicht allein entgegen, den Entschluß, aus dem Ottiliens