Hanna Nolden

Let´s play love: Leon


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wollte sie am Nachmittag gucken. Am Vormittag ging es erst einmal zu einem Auswärtsspiel mit ihrem Team. Ihre Mutter fuhr sie zum Platz und von dort aus wollte sie mit den Mädchen fahren. Der Trainer hatte vor Jahren einen alten amerikanischen Schulbus gekauft, weil die meisten Mädchen aus Vanys Team aus ärmeren Familien kamen, deren Eltern keine Autos hatten oder sonst eine Möglichkeit, die Mädchen zu Auswärtsspielen zu fahren. Als Vany ausstieg, schleifte der Schwabbelschrank gerade einen Sack mit Bällen zum Bus. Ihm standen Schweißperlen auf der Stirn. Vany schüttelte es innerlich, sie war jedoch entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. Sie begrüßte die Kolleginnen und den Trainer und der Empfang war genauso herzlich wie beim letzten Mal. Voller Vorfreude auf das Auswärtsspiel stieg Vany in den Bus, setzte sich hinten rechts ans Fenster und schloss kurz die Augen. Es tat gut, hier zu sein! Nichts war so sehr »Vany« wie Fußball und nachdem sie eine Woche lang das Gefühl gehabt hatte, in zwei verschiedene Persönlichkeiten auseinander zu brechen, fühlte sie sich heute zum ersten Mal seit langem vollkommen als sie selbst. Als sie merkte, dass jemand sich neben sie setzte, schlug sie die Augen auf und unterdrückte einen spontanen Brechreiz. Dirk Ahlfeld! Natürlich.

      »Na, bist du aufgeregt, Schnegge?«

      »Warum?«, knurrte sie. »Ist nicht mein erstes Auswärtsspiel.«

      Ihr war Dirks Nähe geradezu unangenehm bewusst. Er strahlte eine unglaubliche Hitze ab und Vany konnte einen leichten Schweißgeruch wahrnehmen, gerade noch überdeckt von Muttis Waschmittel.

      »Wie läuft es denn in der neuen Schule?«, fragte sie übertrieben freundlich. »Du hast bestimmt schon viele Freunde gefunden, oder?«

      »Klar«, erwiderte er und fixierte sie mit seinen kleinen Schweins­augen. »Aber die Mädchen sind alle nicht so hübsch wie du, mein Schneckchen.«

      Er griff in ihr Haar und drehte eine Strähne zwischen seinen Fingern.

      »Oder so durchgeknallt«, setzte er nach.

      Vany hielt die Luft an. Sie war kurz vorm Platzen. Ein Wort noch und es würde gewaltig knallen. Da ertönte Trainer Burkhardts Stimme: »Dirk, dein Platz ist hier vorne! Antanzen! Sofort!«

      Dirk grinste dümmlich und sprang auf. »Bis später, Schnegge!«

      Vany holte tief Luft. Sie hatte das Bedürfnis, sich die Haare auszureißen, dort, wo das Ekelpaket sie berührt hatte. Jule setzte sich neben sie.

      »Der Typ spinnt echt total! Den müssen wir unbedingt loswerden!«

      »Der ist nur meinetwegen hier. Tut mir leid, dass ich ihn euch aufgehalst habe.«

      »Der wird schon sehen, was er davon hat«, schnaubte Jule. »Wir können auch anders. Und du bist längst nicht die einzige, die er angrapscht. Widerlicher Kerl!«

      Vany sah sie aus großen Augen an. »Er grapscht euch an?«

      Jule zuckte die Achseln. »Wann immer er kann. Beim Überreichen der Wasserflasche, bei der Auswechslung. Mal ein Klaps auf den Po, mal eine leichte Berührung am Arm. Nie zu auffällig.«

      »Habt ihr dem Trainer davon erzählt? Ich meine, Bälle und Trikots hin oder her. Sowas geht nicht!«

      Jule verzog den Mund. »Ich fürchte, dafür ist er nicht weit genug gegangen.«

      »Lasst euch das nicht zu lange gefallen. Ehrlich, das spielt ihm bloß in die Hände und ermutigt ihn.«

      »Wir passen auf uns auf. Versprochen.«

      Vany nickte, aber sie hatte ein ungutes Gefühl dabei. Immerhin war sie Kapitänin gewesen und fühlte sich für ihr Team verantwortlich. Sie konnte nicht zulassen, dass eines der Mädchen von dem Widerling belästigt wurde. Sie nahm sich vor, den Trainer nach dem Spiel abzupassen und darauf anzusprechen.

      Das Spiel selbst war ein hart umkämpftes 2:2 und Vany war trotz des Unentschiedens zufrieden mit den Mädchen. Auf der Rückfahrt war Dirk stiller. Die Arbeit am Spielfeldrand schien ihn anzustrengen, obwohl er einzig dafür zuständig war, die Wasserflaschen anzureichen. Das hätte Vany sich sogar mit Krücken zugetraut! Vany setzte sich auf der Rückfahrt neben Cahide, sprach mit ihr ein paar Spielzüge durch und gab ihr Tipps fürs nächste Spiel. Mit jeder Minute gewann sie mehr an Selbstvertrauen. Eigentlich sollte sie Trainerassistentin sein, solange sie nicht spielen konnte, nicht der Schwabbelschrank!

      Als ein Großteil der Mädchen gegangen oder abgeholt worden war und sämtliches Material im Vereinshaus verstaut war, fing Vany Trainer Burkhardt ab.

      »War ein tolles Spiel heute«, begann sie. »Auch wenn es zum Sieg nicht gereicht hat.«

      »Uns fehlt derzeit unsere begabteste Torjägerin«, gab der Trainer schmunzelnd zurück. Vany fühlte sich geschmeichelt, ging aber nicht darauf ein. Bei jedem anderen mochten ihr Worte schwerfallen, doch mit dem Trainer hatte sie stets gut reden können.

      »Ich habe mich auf der Hinfahrt mit Jule unterhalten und sie hat mir etwas anvertraut, das mir Sorgen macht.«

      Trainer Burkhardt zog eine seiner buschigen Augenbrauen hoch. »Es geht um Dirk, oder?« Er seufzte. »Keine Sorge, ich habe ihn im Blick und ja, ich habe bemerkt, was er tut. Immerhin habe ich die Verantwortung für euch. Ich werde ihn mir zur Brust nehmen.«

      Vany atmete erleichtert auf. »Das wäre super!«

      »Ich find’s klasse, dass du hier bist. Sehen wir uns nächste Woche?«

      »Ich werde da sein«, versprach sie und verließ das Vereinshaus, um zu gucken, ob ihre Mutter schon auf dem Parkplatz stand. Da verstellte der Schwabbelschrank ihr den Weg.

      »Na, haben wir ein bisschen getuschelt?«

      Wenigstens sparte er sich die Schnegge! Vany ging um ihn herum und sagte abfällig: »Was ich mit meinem Trainer bespreche, geht dich mal so gar nichts an!«

      »Ach? Pass bloß auf, was du sagst! Mein Papa ist …«

      »Papperlapapp!«, unterbrach sie ihn schnippisch. »Mir egal, was dein Papa ist und wie viel Geld er hat. Das gibt dir lange nicht das Recht, hier den großen Macker raushängen zu lassen. Und behalt in Zukunft lieber deine Finger bei dir. Vergiss nicht, dass ich immer noch an Krücken gehe. Du solltest dich an meine Krücken erinnern, oder?«

      Dirks Mund klappte auf und wieder zu wie bei einem fetten Karpfen. Vany indes spazierte einfach davon und stieg zu ihrer Mutter ins Auto, das zum Glück schon auf dem Parkplatz stand.

      »Das hat aber gedauert«, wurde sie begrüßt.

      »Hatte was mit dem Trainer zu besprechen«, entschuldigte sich Vany. Sie hätte stolz darauf sein sollen, wie sie diese Situation gemeistert hatte, allerdings ging ihr nicht aus dem Kopf, wie das Ekelpaket ihre Haare berührt hatte. Sie fühlte sich schmutzig und angewidert und wollte nur nach Hause.

      Ihre Mutter ging in die Küche, um das Essen vorzubereiten, und Vany schloss sich oben im Bad ein. Sie betrachtete sich im Spiegel und zog an ihren Haaren. Es schüttelte sie vor lauter Ekel und sie huschte schnell in ihr Zimmer, um das Haarfärbemittel zu holen. Wasserstoffperoxid war jetzt genau das richtige, um die Erinnerung an den Schwabbelschrank und seine Wurstfinger in ihrem Haar auszubleichen. Sie las sich die Gebrauchsanweisung gewissenhaft durch und folgte den einzelnen Schritten. Der Geruch brannte in den Augen und Vany riss das Fenster weit auf. Während der Einwirkzeit blieb sie im Bad sitzen und las sich die Beschreibungen all der anderen Dinge durch, die sie am Vortag gekauft hatte. Bei einigen Sachen waren sogar Schminktipps aufgedruckt, die für Vany genauso gut Hieroglyphen hätten sein können. Sie konnte es kaum erwarten, nach dem Mittagessen nach Tutorials zu suchen. Es wurde wirklich Zeit für eine Veränderung! Allerdings war sie auf so eine krasse Veränderung dann doch nicht vorbereitet. Als sie nach dem Ausspülen vor dem Spiegel stand und wie sonst nach dem Föhn griff, fiel ihr beim flüchtigen Blick auf ihr Spiegelbild fast die Kinnlade runter. Sie legte den Föhn zur Seite und fuhr sich mit beiden Händen durch das vanillefarbene Haar.

      »Wahnsinn!«, hauchte sie. »Ich bin tatsächlich blond! Ich sehe aus wie Jazz!«

      Sie kicherte und schob in Gedanken ein »oder wie