»Hoffentlich geht alles gut aus«, meinte Frau Senftleben nachdenklich. »Komisch, Adrian, ich kenne die Frau ja gar nicht, aber Sie haben mir so anschaulich von ihr erzählt, daß ich das Gefühl habe, sie sei eine gute Bekannte von mir.«
»So revanchiere ich mich eben für die hervorragende Verpflegung«, sagte er und lächelte sie voller Zuneigung an. »Sonst kann ich ja nicht viel für Sie tun, Frau Senftleben.«
Sie strahlte vergnügt. »Müssen Sie auch nicht. Sie tun mehr als genug für mich, glauben Sie mir das. Heute gehen Sie wohl früh schlafen?«
Er nickte. »Muß ich unbedingt, ich will morgen fit sein. Das wird ein anstrengender Tag, der Tumor sitzt nämlich an einer Stelle, die nicht ganz einfach zu erreichen ist.«
»Ich werde an Sie denken«, versprach seine Nachbarin. »Und an die Patientin auch. Sehen Sie, daß ich recht hatte, als ich sagte, Sie würden sie wiedersehen?«
»Ja, das ist mir auch wieder eingefallen, Frau Senftleben. Sie haben eben doch so eine Art sechsten Sinn.«
Sie räumte die Teller ab, und er wollte ihr helfen. Doch sie hinderte ihn energisch daran. »Bleiben Sie bloß sitzen und kommen mir hier nicht in die Quere. Es gibt noch Nachtisch. Und danach verschwinden Sie in Ihrer Wohnung und legen sich ins Bett.«
»Ist gar nicht so gesund mit vollem Magen«, wagte er einzuwerfen.
»Ach was, voller Magen! Das war ein leicht bekömmliches Essen, und die Portionen waren klein!«
Er grinste und wartete brav, bis sie ihm ein Schüsselchen Schokoladencreme vorsetzte. Während er sie genußvoll in sich hineinlöffelte, überlegte er sich, daß er demnächst schon wieder einen Grund hatte, Stefanie Wagner anzurufen. Schließlich mußte er ihr berichten, wie die Operation verlaufen sein würde.
»Was ist los?« erkundigte sich Frau Senftleben. »Sie sehen so aus, als hätten sie gerade im Lotto gewonnen.«
»Das kommt von Ihrer Schokoladencreme, Frau Senftleben!« log Adrian hastig. »Sie macht mich einfach glücklich!«
Natürlich sagte er nicht die Wahrheit, doch das störte sie nicht. Was immer Adrian Winter glücklich machte, sie gönnte es ihm.
*
Im Operationssaal war nichts zu hören außer dem Summen der Geräte, dem leisen Klirren der Operationsbestecke und gelegentlichen Anweisungen, die der Operateur Dr. Gehlen gab. Adrian und er hatten den Tumor auf dem Monitor genau im Blick. Er saß, wie sie bereits vorher gewußt hatten, an einer schwierigen Stelle, aber Dr. Gehlen war nach wie vor optimistisch, daß sie es dennoch schaffen würden, ihn vollständig zu entfernen.
Das gesamte Operationsteam war sehr konzentriert. Dr. Gehlen gehörte zu jenen Operateuren, die Gespräche im OP nicht schätzen. Auch Musik hatte er sich verbeten. Deshalb war es ungewöhnlich ruhig, und unwillkürlich dämpfte jeder, der etwas zu sagen hatte, seine Stimme.
Die Patientin lag regungslos auf dem Operationstisch. Ihr Kreislauf war stabil, von daher rechnete niemand mit Komplikationen. Werner Roloff war der Anästhesist, Adrian und er hatten sich vor der Operation mit freundschaftlichem Schulterklopfen begrüßt. Sie freuten sich beide über die Zusammenarbeit. Bei der Gelegenheit hatte Werner seinem jüngeren Kollegen zugeflüstert: »Stimmt es, daß du beim Verwaltungsdirektor gewesen bist, um ihm ein Lob auszusprechen?« Er hatte bei dieser Frage ein ironisches Funkeln in den Augen gehabt.
»Woher hast du das denn schon wieder?« hatte Adrian völlig verblüfft zurückgefragt, doch sie waren nicht dazu gekommen, die Angelegenheit zu vertiefen, denn ihre Kollegen waren in diesem Augenblick gekommen, so daß eine Unterhaltung nicht mehr möglich gewesen war.
Leise erklärte Dr. Gehlen jetzt dem jungen Notaufnahmechef jeden seiner Schritte, und Adrian war froh über diese Gelegenheit, sein Wissen auf einem Gebiet aufzufrischen, mit dem er nicht allzu häufig zu tun hatte. Fasziniert beobachtete er die Präzision, mit der der Tumor aus seinem Versteck geschält wurde, und wieder einmal fand er, daß er den schönsten Beruf der Welt hatte.
*
Lukas Bromberger war bleich vor Aufregung und Anspannung und Felis Eltern ging es nicht anders. Wie lange konnte denn eine solche Operation noch dauern? Es kam Lukas vor, als sitze er schon endlos hier, aber immer, wenn er einen Blick auf seine Uhr warf, war der Zeiger gerade mal wenige Minuten vorangekrochen.
Marianne Markwart zerknüllte nervös ein Taschentuch in ihren Händen, während ihr Mann still neben ihr saß, den Kopf zurückgelegt, die Augen geschlossen.
Und dann endlich öffneten sich die Türen des OP, und mehrere Leute strömten heraus. Die drei wartenden Menschen sprangen auf und sahen ihnen entgegen, aber niemand würdigte sie eines Blickes. Dann aber kam Dr. Winter mit einem älteren Arzt auf sie zu. »Herr Dr. Gehlen, dies sind die Eltern der Patientin, Frau und Herr Markwart. Und ihr Verlobter, Herr Bromberger.«
»Wie geht es ihr?« fragte Marianne Markwart mit zitternden Lippen.
»Die Operation ist gut verlaufen, Frau Markwart«, sagte Dr. Gehlen mit ruhiger Stimme. »Wir haben den Tumor vollständig entfernen können, es hat keinerlei Komplikationen gegeben. Ich muß sagen, schon lange habe ichkeine Operation mehr durchgeführt, bei der alles so glatt verlaufen ist. Allerdings hatte ich auch einen erstklassigen Chirurgen an meiner Seite!« Er schlug Adrian Winter freundschaftlich auf die Schulter. »Wenn Sie sich jemals von der Unfallchirurgie verabschieden wollen, Herr Kollege, bei mir ist immer Platz für Sie.«
Er verabschiedete sich, und Adrian sagte: »Es stimmt, was Dr. Gehlen gesagt hat. Die Operation ist sehr gut verlaufen. Sie müssen sich keine Sorgen mehr machen.«
Marianne Markwart weinte leise in den Armen ihres Mannes, dem selbst die Tränen in den Augen standen. Auch Lukas Bromberger schämte sich seiner Rührung nicht. »Wann wird sie aufwachen?« fragte er. »Wann können wir sie sehen?«
»Lassen Sie ihr Zeit bis morgen, dann wird sie sogar schon wieder mit Ihnen sprechen«, antwortete Adrian. Er wußte, daß sich die Anspannung, unter der die drei gestanden hatten, erst ganz allmählich lösen würde, und so blieb er noch eine Zeitlang bei ihnen und wiederholte seine beruhigenden Aussagen. Er hatte das Gefühl, das sei er Felicitas Markwart schuldig.
*
Felicitas schlug die Augen auf und sah Dr. Winter neben ihrem Bett sitzen. Er lächelte freundlich, und sie fragte: »Ist alles vorbei?«
»Ja«, antwortete er. »Und es ist alles gut gegangen, Frau Markwart. Der Tumor ist weg. Sie müssen sich zwar von jetzt an regelmäßig untersuchen lassen, aber im Augenblick ist alles in bester Ordnung. Haben Sie starke Schmerzen?«
»Ja, der Kopf tut ziemlich weh«, gestand sie. »Aber das macht nichts. Wenn ich nur weiß, daß ich noch einmal eine Chance habe…«
»Natürlich haben Sie eine Chance. Sie hatten immer eine«, sagte er sanft und erhob sich. »Hier sind noch andere, die mit Ihnen sprechen und sich mit eigenen Augen davon überzeugen möchten, daß es Ihnen gutgeht. Auf Wiedersehen, Frau Markwart, bis später.«
»Ich verdanke Ihnen so viel, Herr Dr. Winter, das weiß ich«, sagte sie. »Und ich werde es nie vergessen.«
»Nicht so wichtig«, meinte er. »Wichtiger ist, daß Sie heiraten und glücklich werden.« Er ging zur Tür und winkte die drei Menschen herein, die davor warteten.
Er sah noch, daß Lukas Bromberger sich über die Patientin beugte und ihr einen zärtlichen Kuß gab, dann schloß er leise die Tür hinter sich. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß es zwar nicht ganz passend sein würde, Stefanie Wagner jetzt schon anzurufen, aber er würde es trotzdem tun. Und er würde sie fragen, ob sie bald wieder einmal mit ihm ausgehen wolle…
Der Zusammenprall kam für die junge Frau völlig unerwartet. Sie war so in ihre Gedanken versunken gewesen,