Chance hätte ich, ›nein‹ zu sagen?« fragte sie lächelnd.
»Keine«, gab er zu. »Es sei denn, Sie wollen mich unglücklich machen.«
»Will ich nicht«, versicherte sie. »Aber ich will dann alles wissen, machen Sie sich darauf gefaßt.«
»Über Frau Markwart?« fragte er.
»Natürlich, was dachten Sie denn?«
»Ich werde sie fragen, ob ich es Ihnen erzählen darf. Ärzte unterliegen nämlich der Schweigepflicht, wissen Sie.«
Sie lächelte. »Ja, das habe ich schon gehört.«
Einen wundervollen Augenblick lang verlor er sich in diesem Lächeln, dann riß er sich zusammen. »Bis heute abend also, Frau Wagner! Ich ruf Sie vorher an.«
Weg war er, und Stefanie ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl sinken. War sie tatsächlich der Ansicht gewesen, daß dies ein furchtbarer Tag war? Es war der schönste Tag seit langem, wenn sie es sich ganz genau überlegte. Sie hoffte nur, daß Frau Markwart nichts Ernstes fehlte, denn sie fand sie sehr sympathisch.
*
»Herr Dr. Winter hat gerade angerufen«, meldete Bea. »Wir bekommen eine Patientin, die über Schwindelgefühle und Kopfschmerzen klagt. Sie hat im King’s Palace gewohnt und ist dort einer Hotelangestellten aufgefallen. Er selbst kommt nach.«
»King’s Palace, soso!« Bernd Schäfer schnalzte mit der Zunge. »Soviel Geld möchte ich auch mal haben, daß ich es mir leisten könnte, dort zu wohnen.«
»Würde mich nicht interessieren«, behauptete Julia Martensen. »Ein paar hundert Mark dafür bezahlen, daß ich schlafe? Also, das finde ich wirklich übertrieben, da fielen mir bessere Dinge ein, die ich mit meinem Geld machen könnte.«
»Vielleicht ist der Frau von den Preisen dort schwindelig geworden«, ulkte Oberschwester Walli, und Bea kicherte vergnügt. Doch sie hörten sofort auf zu scherzen, als sich die Flügeltüren der Notaufnahme öffneten und die Sanitäter mit der angekündigten Patientin hereinkamen.
»Na, dann mal los«, murmelte Julia und wollte den Männern gerade die erste Frage stellen, als ihre Augen groß wurden. »Das ist ja Frau Willbrandt!« rief sie aus. »Davon hat Dr. Winter überhaupt nichts gesagt! Oder, Bea?«
»Einen Namen hat er nicht genannt«, antwortete Bea, die nichts verstand, weil sie in den letzten Tagen keinen Dienst in der Notaufnahme gehabt hatte.
Die Patientin öffnete die Augen und sah die Ärztin schuldbewußt an.
Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, stand auf einmal Adrian Winter neben seiner Kollegin.
Julia wandte sich ihm sofort zu und fragte leise: »Wo kommt sie denn jetzt plötzlich her? Hast du sie etwa gefunden? War das deine geheimnisvolle Verabredung für die Pause?«
Er antwortete ebenso leise: »Mal wieder falsche Vermutungen über das angestellt, was ich in meiner Freizeit mache, teure Kollegin, was?« Laut fuhr er fort: »Ich erklär’ dir alles später, Julia. Unsere Patientin heißt übrigens nicht Doris Willbrandt, sondern Felicitas Markwart – und sie ist auch nicht aus Hamburg, sondern aus München. Sie braucht eine Infusion, und wenn es ihr besser geht, lassen wir das CT machen.«
»Und dann erklärst du mir hoffentlich, was sich hier eigentlich abspielt!« sagte Julia ein wenig spitz. Sie konnte es nicht leiden, wenn man sie im unklaren ließ.
»Ja, du kannst dich darauf verlassen!« versprach er, und dann beugten sie sich über ihre schon wieder sehr blaß aussehende Patientin, die jetzt endlich dazu kam, die Ärztin anzusprechen.
»Tut mir leid, Frau Dr. Martensen«, sagte Felicitas leise. »Ich wollte Ihr Vertrauen nicht mißbrauchen.«
»Schon gut«, sagte Julia rasch. »Jetzt sorgen wir erst einmal dafür, daß es Ihnen bald besser geht. Und dann erfahre ich hoffentlich, was hinter der ganzen Geschichte steckt.«
Sie sprachen nur noch das Nötigste, während sie die Patientin gründlich untersuchten. Adrian gab seiner Kollegin währenddessen die notwendigen medizinischen Informationen, und immer wieder traf ihn ein erstaunter Blick. Auch Julia Martensen begann zu ahnen, daß sie es mit einer tragischen Geschichte zu tun hatten.
*
»Ja, bitte?« Es war später Nachmittag, und nichts hätte Thomas Laufenberg lieber getan, als seinen Arbeitsplatz endlich zu verlassen und irgendwo mit Freunden gemütlich essen zu gehen. Er sehnte sich nach unkomplizierten Gesprächen über alles, was ihn interessierte – nur sollte darin das Thema »Krankenhaus« möglichst keine Rolle spielen. Er war es leid – zumindest für heute.
Als sein Besucher eintrat, verbarg er sein Erstaunen nicht. »So oft haben wir uns in all den Wochen zuvor nicht gesehen wie jetzt innerhalb weniger Tage, Herr Dr. Winter.«
Adrian nickte. »Ich weiß. Aber ich habe Neuigkeiten für Sie – über Doris Willbrandt.«
»Setzen Sie sich. Einen Kaffee?«
»Ja, gern, ich kann etwas gebrauchen, was mich wieder munter macht. Das war ein harter Tag heute.«
»Für mich auch«, erwähnte der Verwaltungsdirektor beiläufig. »Erzählen Sie, was haben Sie herausgefunden?«
»Ich versuche, es kurz zu machen«, sagte Adrian sachlich. »Sie heißt in Wirklichkeit Felicitas Markwart, und sie leidet an einem Hirntumor. Diese Diagnose hat sie erst vor kurzem erfahren, und sie hat vollkommen panisch reagiert. Sie wollte in einigen Wochen heiraten, hatte aber nach dieser Diagnose das Gefühl, ihrem zukünftigen Mann keine kranke Frau zumuten zu dürfen. Und deshalb hat sie beschlossen, eine Heldin zu sein und ihn glauben zu lassen, daß sie ihn aus mangelnder Liebe nicht heiraten könne. Auf diese Weise, hoffte sie, würde er leichter über die Trennung hinwegkommen.«
Er schwieg, und einige Sekunden lang war es sehr still im Zimmer. Thomas Laufenberg rührte sich nicht, sondern wartete, bis Adrian weitersprach.
»Sie hat also ihrem Verlobten einen entsprechenden Brief geschrieben – aber das ist noch nicht alles, was sie getan hat. Sie hat beschlossen, für immer aus München wegzugehen, und hat also auch ihren Eltern geschrieben und ihren Job gekündigt. Und dann hat sie eine kleine Reisetasche gepackt und ist Hals über Kopf weggefahren.«
»Meine Güte«, murmelte Thomas Laufenberg.
»Ja«, sagte Adrian nachdenklich. »Eine richtige Kurzschlußhandlung. Sie ist überzeugt davon gewesen, daß nun alles zuende ist, und sie hat keinen Ausweg gewußt. Da ist sie erst einmal weggelaufen, ohne großen Plan. Sie hatte ihre Briefe geschrieben, ein paar Sachen eingepackt, aber mehr nicht. Erst als sie in Berlin war, ist ihr allmählich klargeworden, daß sie nicht besonders gründlich überlegt hatte. Und daß sie vermutlich nicht so einfach verschwinden konnte, wie sie sich das zunächst gedacht hatte. Aber noch immer war sie entschlossen durchzuhalten.«
Wieder machte Adrian eine Pause. Er dachte kurz nach und fuhr dann fort: »Sie hat ihr Gepäck in einem Schließfach deponiert und ist losgefahren. Vor Aufregung hatte sie während der gesamten Reise weder gegessen noch getrunken, und sie war ziemlich müde. Also hat sie sich auf eine Parkbank gesetzt und ist einfach eingeschlafen. Sie weiß selbst nicht, warum sie sich nicht sofort ein Hotelzimmer genommen hat. Es war eben so, daß sie ziemlich durcheinander war. Als sie aufwachte, war ihr schwindelig und schlecht vor Hunger, Durst und Kälte. Und da ist sie wohl ohnmächtig geworden. Genau in diesem Augenblick fand sie der Rentner, der dann den Rettungswagen gerufen hat. Nun war sie in einer schwierigen Situation, denn sie wollte ja nicht gefunden werden. Den Rest der Geschichte kennen wir alle.«
»Ist der Hirntumor operabel?« fragte der Verwaltungsdirektor.
»Deshalb bin ich hier«, antwortete Adrian. »Er ist schon ziemlich groß, es muß ein schnell wachsender Tumor sein, aber er ist operabel. Wir können Frau Markwart natürlich zurück nach München schicken, damit sie dort operiert wird…«
Thomas Laufenberg unterbrach ihn. »Will sie denn operiert werden?« fragte er