sie durchgedreht.«
»Wollen Sie sie operieren?«
»Nein, aber ich würde gern assistieren. Ich bin Unfallchirurg, kein Hirnspezialist. Immer vorausgesetzt, sie will sich hier operieren lassen. Sie möchte darüber nachdenken.«
»Es wird offenbar auch Zeit, daß sie nachdenkt!« brummte Thomas Laufenberg. »Und ihre Eltern? Ihr Verlobter? Die sollen doch sicher benachrichtigt werden, damit sie sich nicht länger Sorgen machen. Wenn ich mir vorstelle, was sie durchgemacht haben müssen, nachdem sie diese Briefe erhalten hatten!«
»Ich glaube, sie braucht noch ein bißchen Zeit«, sagte Adrian leise. »Sie schämt sich wohl und weiß noch nicht, wie sie ihnen gegenübertreten soll.«
»Hoffentlich tut sie es bald!«
»Ja, das hoffe ich auch, Herr Laufenberg.« Adrian erhob sich. »Das war’s, was ich Ihnen sagen wollte. Die Probleme der Verwaltung dürften damit jedenfalls gelöst sein – oder nicht?«
»Was?« fragte der andere überrascht. Dann erst verstand er, was Adrian gemeint hatte. »Ach so, ja, sicher. Daran hatte ich jetzt gar nicht mehr gedacht.«
»Aber ich!« versicherte Adrian. »Da können Sie mal sehen, wie sehr mir die Verwaltung am Herzen liegt. Auf Wiedersehen, Herr Direktor!«
Und schon zog er die Tür hinter sich zu. Thomas Laufenberg lächelte vor sich hin. Dr. Winter konnte es einfach nicht lassen zu sticheln – aber in diesem besonderen Fall hätte er es sicher genauso gemacht.
Dann dachte er noch einmal gründlich über das nach, was er soeben gehört hatte, und griff zum Telefon. Er führte zwei längere Gespräche, und als er danach den Hörer auflegte, huschte ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht.
*
»Nun, Frau Markwart, wie geht es Ihnen jetzt?« fragte Adrian, als er die Patientin nach seinem Gespräch mit Thomas Laufenberg noch einmal besuchte.
»Besser«, gestand sie, und zum ersten Mal sah er sie richtig lächeln. »Es hat mir gut getan, mir alles von der Seele zu reden, Herr Dr. Winter. Ich komme mir ziemlich dumm vor, muß ich sagen. Sonst bin ich nicht so, daß ich einfach ohne zu überlegen irgend etwas tue, das müssen Sie mir glauben.«
»Das tue ich«, versicherte er. »Sie vergessen, daß es eine ganz besondere Situation ist, in der Sie waren. Eine solche Diagnose ist schon dazu geeignet, einen zuerst einmal den Kopf verlieren zu lassen. Außerdem sind Sie krank, der Tumor bereitet Ihnen Probleme – Ihre Schwindelgefühle hängen eindeutig damit zusammen. Ich frage mich nur, warum er erst jetzt entdeckt worden ist. Sie müssen doch auch vorher schon Beschwerden gehabt haben!«
»Hatte ich auch«, gab sie zu. »Aber ich habe sie nicht ernst genommen. Sie wissen doch, wie das ist: Man hat immer so viel zu tun, daß man ein bißchen Kopfweh oder Schwindel nicht gleich so wichtig nimmt. Ich habe gedacht, das vergeht wieder, wenn ich mal weniger Streß habe.«
»Das war ein Irrtum.«
»Ja, war es. Und als ich dann die Diagnose hörte, war ich völlig außer mir.«
»Und warum haben Sie nicht wenigstens mit Ihrem Verlobten darüber gesprochen?«
Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, ehrlich, Herr Dr. Winter. Auf einmal dachte ich, er wird mich nie verlassen, selbst wenn er es möchte. Und ich werde niemals sicher sein können, daß er nicht aus Mitleid bei mir geblieben ist.«
»Aber hat man Ihnen denn nicht gesagt, daß der Tumor operabel ist? Daß Sie wieder ganz gesund werden können?«
»Doch. Aber man hört so viele Geschichten von Ärzten, die ihren Patienten nicht die volle Wahrheit sagen! Und dann habe ich gedacht, wenn Lukas mit einer kranken Frau leben muß, die er nicht verlassen kann, weil er zu anständig ist…« Den Rest des Satzes ließ sie unausgesprochen.
»Haben Sie ihn schon angerufen?« fragte Adrian.
»Nein, das mache ich morgen. Ich muß noch ein bißchen Mut sammeln«, gestand sie. »Vor diesem Gespräch fürchte ich mich sehr. Und vor dem Gespräch mit meinen Eltern auch. Ich habe mich unverzeihlich egoistisch und dumm benommen.«
»Dumm vielleicht«, meinte er lächelnd, »aber egoistisch wollten Sie doch gerade nicht sein.«
»Aber ich war es!« rief sie verzweifelt. »Das ist ja das Schlimme. Ich wollte den Menschen, die ich liebe, Schmerz ersparen und habe das genaue Gegenteil erreicht.«
»Sie werden Ihnen verzeihen, Frau Markwart.« Er blickte auf seine Uhr und erschrak. »So spät schon – ich muß Sie jetzt verlassen, Frau Markwart, ich habe eine Verabredung. Wir sehen uns morgen wieder. Schlafen Sie gut.«
»Ich versuch’s. Übrigens, Herr Dr. Winter – wenn Sie wollen, können Sie Frau Wagner die Wahrheit erzählen. Sie hat sich so nett um mich gekümmert, daß ich finde, sie hat ein Anrecht darauf.«
»Wie kommen Sie darauf, daß ich es ihr erzählen will?«
»Ich wußte nicht, ob Sie das wollen, aber Frau Wagner möchte bestimmt gern wissen, woher Sie mich kannten und was hinter meinen Schwindelanfällen steckt.«
»Gut«, sagte er, »ich werde es ihr erzählen.« Er nickte ihr noch einmal zu, dann verließ er das Zimmer.
Als er draußen auf dem Gang war, fing er an zu rennen. Schließlich wollte er zu einer seiner seltenen Verabredungen mit Stefanie Wagner nicht zu spät kommen.
*
Er sah in ihre veilchenfarbenen Augen und wünschte sich, für den Rest seines Lebens an diesem Tisch sitzenbleiben zu können und nichts anderes zu tun, als sie anzusehen. War er verrückt geworden? Ja, ganz sicher.
»Herr Dr. Winter?« fragte Stefanie besorgt. »Ist Ihnen nicht gut?«
Er fuhr auf und strich sich verlegen die kurzen dunkelblonden Haare aus dem Gesicht. »Alles in Ordnung«, versicherte er. »Wollen Sie jetzt die Geschichte von Frau Markwart hören?«
»Wenn Sie sie erzählen dürfen, gern.«
»Sie hat mich ausdrücklich autorisiert.«
»Fein, dann schießen Sie mal los.«
Das tat er, und sie hörte ihm voller Staunen zu. »Das glaube ich einfach nicht!« sagte sie, als er seinen Bericht beendet hatte. Ihr Gesicht sah bekümmert aus. »Soviel Leid! Was muß sie durchgemacht haben in den vergangenen Tagen, Herr Dr. Winter.«
»Könnten Sie nicht wenigstens den Doktor weglassen, wenn Sie meinen Namen nennen? Das klingt so…« Er suchte nach dem richtigen Wort.
Sie kam ihm zu Hilfe. »Unpersönlich?«
»Ja, genau. Es klingt unpersönlich.«
»Sehr gern, Herr Winter«, erwiderte Stefanie mit einem strahlenden Lächeln, das seinen Puls beschleunigte. »Und wie geht es jetzt weiter mit Ihrer Patientin?«
»Ich denke, sie wird zunächst ihre Angehörigen anrufen und sich mit ihnen noch einmal beraten. Und dann wird sie sich hoffentlich operieren lassen bei uns.«
»Hat sie Chancen?«
»Sicher, sonst würden wir die Operation nicht durchführen. Aber ein Risiko bleibt bestehen. Der Tumor ist schon ziemlich groß, sie hat sehr lange gewartet.«
»Ist es ein gutartiger oder ein bösartiger? Entschuldigen Sie, daß ich so dumm frage, aber ich verstehe von Medizin überhaupt nichts.«
»Es ist ein gutartiger Tumor, sonst sähen Frau Markwarts Chancen deutlich schlechter aus. Einen gutartigen Tumor erkennt man daran, daß er sauber abgekapselt ist.«
»Ach so.« Sie trank von ihrem Wein. »Ich mache mir Vorwürfe«, sagte sie nach einer Weile, »daß ich Sie nicht schon beim ersten Mal angerufen habe, als ich ihr begegnet bin. Da ging es ihr ja auch schon schlecht.« Sie erzählte Adrian von ihrem ersten Zusammentreffen mit Felicitas Markwart.
»Machen Sie