kann ich nicht so gut wie kochen«, stellte seine Nachbarin sachlich fest, doch ihre blauen Augen blitzten vergnügt. »Es ist gefüllt Poularde. Und vorher gibt es eine Endiviencremesuppe.«
»Ich dachte immer, daraus macht man Salat. Aus Endivien, meine ich.«
»Normalerweise schon. Aber Sie wissen ja, daß ich gern etwas Neues ausprobiere. Wir können gleich anfangen zu essen. Wein bekommen Sie heute nicht. Ich habe mir eine Woche ohne Wein verordnet – nur mal so, um zu sehen, ob es mir schwerfällt. Und wenn Sie trinken und ich nicht, dann fällt es mir garantiert zu schwer.«
Sie verblüffte ihn immer wieder. »Ich mache mit«, sagte er sofort. »Gute Idee, Frau Senftleben.«
»Also, was gab’s heute so Schlimmes?« erkundigte sie sich, während sie ihre Teller mit Suppe füllte.
Er erzählte ihr ohne zu zögern die ganze Geschichte und sparte auch den Fast-Zusammenstoß mit Thomas Laufenberg nicht aus. Sie hörte ihm wie immer aufmerksam zu.
»Lecker, die Suppe«, sagte er, als er seinen Bericht beendet hatte.
»Finde ich auch. Und Sie machen sich jetzt also Sorgen um diese junge Frau, die sich einfach selbst entlassen hat?«
»Ja, das tue ich«, gab er zu.
»Verständlich«, meinte sie nachdenklich. »Sie hat Ihnen etwas verheimlicht.«
»Das ist eine sehr vornehme Art auszudrücken, daß sie uns nur Lügen aufgetischt hat, Frau Senftleben.«
Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. »Das meine ich nicht, Adrian. Sehen Sie denn nicht, daß da noch etwas anderes dahinterstecken muß?«
»Doch, das sehe ich sehr wohl – aber ich bin nun mal kein Hellseher. Ich kann nicht die Gedanken meiner Patienten lesen. Wenn sie sich mir nicht anvertrauen, dann kann ich ihnen auch nicht helfen. Und Frau Willbrandt hat sich niemandem anvertraut. Sie hat sich von Anfang an sehr zurückgezogen.«
»Sie hat sicher ihre Gründe gehabt«, erwiderte Frau Senftleben gelassen. »Ich verstehe, daß die Sache Ihnen nahegeht, aber jetzt denken Sie bitte einmal logisch: Die Frau steckt in Schwierigkeiten, aber sie wollte nicht erzählen, was ihr Problem ist. Das müssen Sie zunächst einmal akzeptieren. Sie haben keinen Fehler gemacht. Es war die Entscheidung der Patientin, keinen Arzt zu Rate zu ziehen und sich selbst zu entlassen. Das ist nicht schön für Sie – aber nicht zu ändern.«
»Sie haben natürlich recht«, gab er zu. »Aber sie geht mir trotzdem nicht aus dem Kopf. Ich will wissen, was mit ihr los ist.«
»Gut, das verstehe ich. Es würde mir genauso gehen, glaube ich. Aber Sie sollten zumindest aufhören, sich Vorwürfe zu machen – denn das tun Sie doch, oder nicht?«
»Ja, das tue ich.«
Sie räumte die leeren Suppenteller ab und holte die Poularde aus dem Backofen. Sofort verstärkte sich der köstliche Duft in der Küche, und Adrian sagte reumütig: »Ein Jammer um das wunderbare Essen, daß wir dabei kein angenehmeres Gesprächsthema haben!«
»Reden Sie keinen Unsinn!« Frau Senftleben machte ein strenges Gesicht, während sie das Fleisch schnell und geschickt tranchierte und auf zwei vorbereitete Teller legte. »Man muß über das reden, was einen bewegt, sonst erstickt man daran. Jedenfalls ist das meine Meinung.«
»Und Sie haben wie immer recht. Also, was soll ich jetzt tun in dieser Angelegenheit?«
»Die Angelegenheit hat ja mehrere Seiten, und über eine ganz bestimmte haben wir noch gar nicht gesprochen. Nämlich über Ihren Verwaltungsdirektor. Schließen Sie endlich Ihren Frieden mit ihm, Adrian! Mir scheint, Sie haben den Mann falsch eingeschätzt.«
Er machte ein verschlossenes Gesicht. »Aber deshalb muß ich mich ja nicht gleich mit ihm verbrüdern, oder?«
»Wer spricht von verbrüdern?« Sie schüttelte den Kopf. »Sie sind doch sonst ein so liebenswürdiger Mensch. Was fährt nur jedesmal in Sie, wenn die Rede auf ihn kommt?«
»Ich weiß es auch nicht.« Hastig wechselte er das Thema. »Was mache ich nun mit Frau Willbrandt?«
»Wenn ich Sie recht verstehe, würden Sie sie am liebsten suchen – aber ich glaube kaum, daß Sie dazu die Zeit haben«, stellte Frau Senftleben fest.
»Stimmt.«
»Dann kann ich Ihnen nur raten, sich wieder auf diejenigen Patienten zu konzentrieren, die ihre Hilfe brauchen und sie auch haben wollen. Und wenn Ihnen Frau Willbrandt erneut begegnet, dann halten Sie sie beim nächsten Mal so lange fest, bis sie Ihnen die ganze Geschichte erzählt hat.«
Verblüfft sah er in ihre unschuldigen blauen Augen. »Wenn sie mir das nächste Mal begegnet, Frau Senftleben? Ich werde der Frau nie wieder begegnen!«
»Da wäre ich an Ihrer Stelle nicht so sicher«, erwiderte seine Nachbarin lächelnd.
»Und woher wollen Sie das wissen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Meine innere Stimme sagt mir das.«
Darauf schwieg er und widmete sich dem Essen. Je mehr sich sein Magen füllte, desto träger und zufriedener fühlte er sich. Ganz langsam rückten Doris Willbrandt und Thomas Laufenberg in die Ferne, und seine Gedanken kamen endlich zur Ruhe.
Carola Senftleben beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und freute sich, als sie sah, daß sein Gesicht endlich wieder den entspannten Ausdruck annahm, den sie kannte. Ihr lag sehr viel an Dr. Adrian Winter, und es tat ihr weh zu sehen, wenn ihn etwas quälte. Doch jetzt schien es ihr, als sei die Krise überwunden, zumindest für diesen Abend.
*
Stefanie Wagner fegte wieder einmal in ihrem üblichen Tempo durch das King’s Palace, wo sie als Assistentin des Direktors arbeitete. In Wirklichkeit war sie so etwas wie die heimliche Chefin, obwohl sie erst einunddreißig Jahre alt war, denn Direktor Wingensiefen war sehr oft unterwegs und überließ Stefanie dann »den Laden«, wie er sich gelegentlich ausdrückte.
Sie war eine sehr attraktive Blondine, immer äußerst elegant gekleidet – allerdings nicht unbedingt freiwillig. Sie selbst hätte bei der Arbeit lieber Jeans und Turnschuhe getragen, weil sie tatsächlich oft im Hotel unterwegs war. Und wenn sie es besonders eilig hatte, dann verwünschte sie regelmäßig ihre Schuhe mit den hohen Absätzen und die engen Röcke, weil sie sie zwangen, ihr Tempo zu drosseln.
Aber sie hatte sich allmählich daran gewöhnt, und in einem so teuren Hotel wie dem King’s Palace erwarteten die Gäste von den Angestellten elegante Kleidung, das war selbstverständlich. Also hielt sich Stefanie daran. Mittlerweile war sie in Pumps und engen Röcken fast so schnell wie in Jeans und Turnschuhen.
An diesem Morgen gab es Probleme in der Küche, und diese mußten dringend behoben werden. Sie fragte sich, ob sie sich in diesem Hotel eigentlich um jede Kleinigkeit selbst kümmern mußte, aber diese Frage hatte sie sich schon tausendmal mit »Ja« beantwortet. Es lief sonst einfach nicht.
Sie steuerte auf einen der Aufzüge zu, dessen Türen sich genau in diesem Augenblick öffneten. »Glück gehabt!« murmelte sie. Das sparte ihr kostbare Wartezeit. Sie wollte den Aufzug gerade betreten, als sie sich unvermutet einer jungen Frau gegenüber sah, die darin stand und sich gegen eine der Wände lehnte. Sie wirkte sehr bleich.
Stefanie war erschrocken und blockierte sofort die Fahrstuhltüren. Sie trat auf die Frau zu und fragte: »Geht es Ihnen nicht gut? Kann ich Ihnen helfen?«
»Geht schon, danke«, sagte die Angesprochene stockend. »Mir ist – nur ein bißchen schwindelig.«
Unwillkürlich dachte Stefanie, daß sie Schwestern hätten sein können, beide waren sie schlank und hatten lange blonde Locken. »Sie sind Gast hier bei uns, nicht wahr?« fragte sie behutsam, um der anderen Zeit zu geben. Vergessen waren die Probleme in der Küche – ein Gast ging vor.
»Ich habe Sie schon gesehen, meine ich. Mein Name ist übrigens Stefanie Wagner, ich vertrete zur Zeit unseren Direktor.«
»Felicitas