Blutdruck. Kein Grund zur Sorge.«
Davon war Stefanie durchaus nicht überzeugt, aber sie wollte Frau Markwart nicht widersprechen. »Ich begleite Sie auf Ihr Zimmer, Frau Markwart. Welche Nummer?«
»Vierhundertunddrei.«
Schweigend drückte Stefanie auf den Knopf, die Fahrstuhltüren schlossen sich, und sie fuhren nach oben. Nachdenklich betrachtete sie die junge Frau, deren Wangen allmählich wieder etwas Farbe annahmen. Nie im Leben sind das nur Kreislaufprobleme, dachte sie und sagte laut: »Soll ich einen Arzt rufen, Frau Markwart? Ich mache mir Sorgen um Sie.«
Täuschte sie sich, oder erschrak die andere wirklich über diesen Vorschlag?
»Nicht nötig«, versicherte Felicitas Markwart eilig. »Es geht mir schon wieder gut, vielen Dank, Frau Wagner. Ich ruhe mich jetzt ein bißchen aus, dann geht es sicher wieder.«
»Wie Sie wünschen. Aber wenn Sie Hilfe brauchen, dann melden Sie sich bitte – entweder bei mir oder bei unserem Zimmerservice.«
»Ja, das mache ich.«
Sanft blieb der Fahrstuhl stehen, und die Türen öffneten sich geräuschlos. Felicitas Markwart schwankte erneut, als sie die stützende Wand verließ und den ersten zögernden Schritt tat. Unauffällig griff Stefanie nach ihrem Ellbogen und geleitete sie zu ihrem Zimmer. Dort wartete sie, bis die junge Frau aufgeschlossen hatte, und wiederholte: »Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, Frau Markwart…«
Doch die andere ließ sie nicht ausreden. »Danke, es ist jetzt wirklich alles in Ordnung. Ich lege mich gleich ins Bett.«
»Gute Besserung«, war alles, was Stefanie noch sagen konnte, dann hatte sich die Tür bereits geschlossen. Nachdenklich kehrte sie zum Fahrstuhl zurück. Die Frau war krank, daran hatte sie keinen Zweifel. Doch warum wollte sie sich nicht helfen lassen?
*
Lukas Bromberger saß ganz allein in seiner Wohnung und betrank sich. Das tat er nur selten, aber wenn er es tat, dann gründlich. Und an diesem Abend war er der Ansicht, daß er die Gedanken in seinem Kopf irgendwie zum Schweigen bringen mußte, wenn er nicht verrückt werden wollte.
Feli hatte ihn verlassen. Sie liebte ihn nicht genug, um ihn zu heiraten. Und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, hatte sie es ihm auch noch durch einen Brief mitgeteilt, statt ein Gespräch mit ihm zu führen, wie es unter erwachsenen Menschen üblich war. Wie lange hatte sie schon gewußt, daß sie ihn nicht liebte? Wie lange hatte sie ihm schon Theater vorgespielt?
Er öffnete eine neue Flasche Wein.
Bisher hatte der Alkohol leider nicht die gewünschte Wirkung gehabt, denn er dachte immer noch über Feli nach. Über Feli und sich.
Das Telefon klingelte, und er beschloß, nicht abzunehmen. Dann fiel ihm ein, daß es vielleicht Feli war, die von Reue geplagt wurde und ihn anrief, um ihm zu sagen, daß alles ein schrecklicher Irrtum sei. »Bromberger«, nuschelte er.
»Was ist denn jetzt mit dir los?« fragte sein Freund Wolfgang Ostermann. »Du klingst, als wärst du betrunken, Lukas.«
»Bin ich leider noch nicht genug«, teilte Lukas ihm undeutlich mit.
»Was ist los? Ich bin gerade erst zurückgekommen und wollte nur schnell hören, wie’s dir geht. Wir haben uns immerhin seit einer Woche nicht gesprochen.« Wolfgang war auf einer Dienstreise in New York gewesen.
»Feli is’ weg«, berichtete Lukas, und beinahe hätte er angefangen zu weinen, als ihm erneut das ganze Ausmaß seines Unglücks bewußt wurde.
»Weg?« fragte Wolfgang verwirrt. »Wohin?«
»Weiß ich nicht«, antwortete Lukas. »Sie hat mich verlassen.«
»Jetzt? Kurz vor der Hochzeit?« Es war Wolfgangs Stimme deutlich anzuhören, daß er nicht glaubte, was Lukas sagte. »Komm schon, Lukas. Ihr habt euch gestritten, und jetzt denkst du, daß alles zuende ist. Das kommt kurz vor der Hochzeit öfter vor – so eine Art Panik vor dem endgültigen Schritt.«
»Sie ist weg, hab’ ich dir doch gesagt. Sie ist abgehauen, weg aus München. Und sie hat nicht nur mir geschrieben, sondern auch ihren Eltern. Und in ihrem Büro hat sie gekündigt.«
Nach diesen Auskünften schwieg Wolfgang zunächst einmal. Die Sache schien doch ernster zu sein, als er zuerst angenommen hatte. Dabei hörte sich das, was Lukas sagte, völlig unglaubwürdig an, schließlich kannte er Feli und wußte, zu welchen Handlungen sie fähig war und zu welchen nicht. Sie war jedenfalls nicht der Typ, der Briefe schrieb und dann sein ganzes Leben einfach hinter sich zurückließ. Irgend etwas mußte Lukas ihm verschweigen – etwas, das Licht in diese Angelegenheit hätte bringen können.
Nach einigen Sekunden des Nachdenkens sagte er ruhig: »In einer halben Stunde bin ich bei dir. Versuch in dieser Zeit nicht weiter zu trinken, okay? Sonst kannst du nämlich gar nicht mehr reden.« Dann legte er auf.
Lukas starrte auf die gerade geöffnete Flasche Wein, die vor ihm stand. Dann murmelte er: »Bitte schön, warte ich eben mit dem Trinken. Aber nicht lange, Wolfgang. Nicht lange!«
*
Adrian erwachte am nächsten Morgen frisch und ausgeruht und widmete Carola Senftleben ein paar Gedanken voller Zuneigung. Der Aufenthalt in ihrer Küche war wieder einmal ideal für ihn gewesen. Wie immer hatte sie recht gehabt mit dem, was sie gesagt hatte – und als er sich an die gefüllte Poularde erinnerte, lächelte er unwillkürlich. Köstlich war sie gewesen, einfach köstlich.
Er machte am offenen Fenster ein paar Dehn- und Streckübungen, duschte ausgiebig und leistete sich dann, weil es noch recht früh war, ein üppiges Frühstück. Kurze Zeit später betrat er leise pfeifend die Notaufnahme. Es war nicht so, daß er nicht mehr an die rätselhafte Doris Willbrandt gedacht hätte, aber er fand sich allmählich mit dem ab, was passiert war. Es war ohnehin nicht mehr zu ändern.
Ihm fiel ein, daß Monika Ullmann Urlaub genommen hatte, und er fragte sich, wen man ihm an ihrer Stelle zugeteilt hatte. Gleich darauf stellte er fest, daß er keinen Grund hatte, sich zu beklagen, denn Oberschwester Walli hatte Dienst. Darüber freute er sich aufrichtig.
Walli war eine hübsche, etwas füllige Brünette, die schon öfter versucht hatte, sich einen neuen Vornamen zuzulegen. Sie hieß nicht etwa Waltraud, sondern – noch schlimmer, fand sie – Walburga. Das war ein Name, der in heutiger Zeit eindeutig Seltenheitswert hatte und gelegentlich auch ungläubige Nachfragen hervorrief. Sie konnte ihn deshalb nicht leiden und bat ihre Kolleginnen und Kollegen von Zeit zu Zeit, sie doch bitte »Katrin« zu nennen – so hätte sie nämlich gern geheißen. Aber selbst die Gutmütigsten gaben es nach drei Versuchen auf, weil sie sich ständig versprachen. Walli blieb Walli, auch wenn ihr das nicht gefiel.
Sie stammte aus Bayern, hatte sich aber in einen Musiker verliebt und war ihm nach Berlin gefolgt. Hier lebte sie nun seit mehreren Jahren, gelegentlich von Heimweh nach den Bergen geplagt, aber andererseits auch schon eine halbe Berlinerin. Walli war gerade neunundzwanzig geworden, sie trug einen modischen Pagenkopf und war in jeder Hinsicht eine Bereicherung des Teams der Notaufnahme.
»Willkommen, Oberschwester!« begrüßte Adrian sie mit ernstem Gesicht.
»Danke, Notaufnahmechef«, erwiderte sie mit frommem Augenaufschlag. Dann lachte sie vergnügt und sagte: »Ich freue mich, mal wieder hier zu arbeiten. Fast könnte man sagen, daß ich euch vermißt habe.«
»Das hören wir aber gern«, sagte Bernd Schäfer, der auch gerade eintraf. »Die meisten sind froh, wenn sie mit uns möglichst wenig zu tun haben. Oh, da kommt ja auch die jüngste Mitarbeiterin der Notaufnahme. Guten Morgen, Schwester Bea!« Er strahlte über das ganze Gesicht bei ihrem Anblick.
Die sonst so freche junge Lernschwester errötete heftig. Ihre kurzen blonden Haare standen ihr ausgezeichnet, und sie wußte sehr genau, wie hübsch sie war. Aber die offene Bewunderung von Dr. Schäfer brachte sie immer wieder in Verlegenheit. Sie hatte ihn wirklich gern, so wie man einen viel älteren Bruder gern hat. Bei Männern, die sie nicht mochte, konnte sie sehr kratzbürstig sein,