Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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Und warum sollte sie ausgerechnet bei ihrem Namen die Wahrheit gesagt haben? Dann bestünde ja die Gefahr, sie vielleicht doch noch ausfindig zu machen.«

      »Da ist was dran«, gab Adrian zu. »Die ganze Geschichte dieser Patientin ist rätselhaft – das war sie von Anfang an. Sie war ohne Bewußtsein, als sie gefunden wurde, und wir haben uns das mit ihrer Unterkühlung erklärt und damit, daß sie offenbar längere Zeit nichts zu sich genommen hatte. Aber ganz zufriedenstellend fand ich diese Erklärung von vornherein nicht.«

      »Hatten Sie etwas anderes vermutet?« fragte Thomas Laufenberg.

      »Vermutet wäre zuviel gesagt, aber wir wollten eine Computertomographie machen lassen, um ganz sicherzugehen, daß wir nichts übersehen haben. Sie hat sich geweigert. Angeblich hatte sie Platzangst, sie wollte nicht in eine Röhre geschoben werden.«

      »Mhm. Sie wird nicht wieder auftauchen, denke ich. Glauben Sie, daß sie ernsthaft krank ist?«

      »Das wäre möglich, und es würde zumindest einiges erklären. Allerdings frage ich mich immer noch, warum sie auf einer Parkbank gelegen hat. Und warum sie nichts gegessen und getrunken hat. Irgendwie paßt das alles nicht zusammen.« Adrian erhob sich. »Ich komme für die Kosten auf, das wollte ich Ihnen nur sagen.«

      Überrascht hob der andere den Kopf. »Wie kommen Sie denn auf die Idee? Das kommt überhaupt nicht in Frage.«

      Adrian lächelte ein wenig schief. »Ich möchte mir nicht nachsagen lassen, daß meine Nachlässigkeit bei der Beschaffung von Patientendaten dazu geführt hat, daß der Klinik ein Schaden entstanden ist.«

      Thomas Laufenberg grinste auf einmal über das ganze Gesicht, und Adrian stellte zu seiner größten Überraschung fest, daß er aussah wie ein Junge, der gerade jemandem einen gelungenen Streich gespielt hat. »Gute Idee, Herr Dr. Winter. Ich glaube, das sollte ich allgemein einführen. Jeder haftet persönlich für die Fehler, die er macht. Innerhalb eines Jahres ist die Kurfürsten-Klinik eines der reichsten Krankenhäuser dieser Republik, das garantiere ich Ihnen. Gleichzeitig wird allerdings das Personal völlig verarmt sein.«

      Er wurde wieder ernst. »Ich danke für Ihr Angebot, aber ich muß es ablehnen. So etwas kommt nun einmal vor, und es wird die Klinik nicht ruinieren, das können Sie mir glauben.«

      Adrian biß sich auf die Lippen. Es paßte ihm nicht, daß der andere ihm gegenüber Großzügigkeit demonstrierte, aber er wollte das Gespräch nicht dadurch verlängern, daß er widersprach. Also nickte er nur kurz und sagte: »Wie Sie wollen. Auf Wiedersehen .«

      »Auf Wiedersehen«, erwiderte Thomas Laufenberg freundlich.

      Und was war das jetzt? fragte sich Adrian, als er zurück zur Notaufnahme eilte. Wieso war er jetzt stinkfreundlich, wo er doch vorher so den Direktor hatte raushängen lassen? Er wurde aus dem Mann nicht klug, aber zumindest konnte er ihm, was Doris Willbrandt betraf, keinen Vorwurf mehr machen. Er hatte sich fair verhalten, anders konnte man es nicht ausdrücken.

      *

      So, die Klinik hatte sie verlassen, niemand hatte sie aufgehalten. Das war also erst einmal geschafft. Nun mußte sie nur noch ihre Sachen aus dem Schließfach holen. Das Geld, das sie bei sich gehabt hatte, war natürlich weg – wahrscheinlich hatte es ihr jemand geklaut, als sie auf dieser Parkbank eingeschlafen war. Egal, sie hatte genug.

      Sie fragte sich mittlerweile, warum sie ihre Sachen eigentlich in dieses Schließfach gebracht hatte, statt sich sofort ein Hotelzimmer zu suchen? In der Klinik hatte sie jede Menge Zeit zum Nachdenken gehabt, und da war ihr aufgefallen, wie dumm sie sich verhalten hatte. Kopflos war sie gewesen! Ohne richtig nachzudenken war sie aufgebrochen, und dann, als sie hier angekommen war, hatte sie zunächst einmal nicht weitergewußt.

      Sie erinnerte sich daran, wie sie durch Berlins Straßen gelaufen war, stundenlang. Das Gepäck hatte sie deponiert, so hatte nichts sie behindert. Sie mußte viele Kilometer zurückgelegt haben, den Kopf voll wirrer Gedanken und so unglücklich wie niemals zuvor in ihrem Leben.

      Unglücklich – ja, das war sie immer noch. Sie verbot sich jeden Gedanken an das, was sie zurückgelassen hatte. Denn wenn sie das tat, wenn sie anfing, sich zu erinnern, dann würde sie das, was sie sich vorgenommen hatte, nicht durchstehen.

      Jetzt war es erst einmal wichtig, an ihre Sachen zu kommen, sich irgendwo umzuziehen und sich ein anständiges Hotel zu suchen. Und dann erst würde sie weitersehen. Sie hatte noch immer keinen Plan, aber zumindest würde sie nicht noch einmal so dumm sein, nichts zu essen und zu trinken und in einer kühlen Nacht auf einer Parkbank einzuschlafen.

      Daran allein, dachte sie selbstkritisch, kann man sehen, wie durcheinander ich bin. Noch nie zuvor habe ich eine solche Dummheit gemacht. Ich muß vernünftig nachdenken und planen von jetzt an.

      Sie hatte den Bahnhof erreicht und ging eilig auf die Schließfächer zu. Gleich darauf hatte sie ihre Reisetasche in der Hand und sah sich suchend um. Sie würde in eines der Cafés gehen und sich dort auf der Toilette umziehen. Und dann würde sie sich mit einem Taxi in eines der besten Hotels am Platze fahren lassen. Sie freute sich schon auf ein ausführliches Bad. Niemand würde ihr von nun an mehr Fragen nach Versicherungsnummern und Angehörigen stellen, die benachrichtigt werden sollten…

      *

      »Guten Morgen, Marianne«, sagte Lukas Bromberger mit belegter Stimme, als sich seine zukünftige Schwiegermutter am Telefon meldete. »Ich wollte nur hören, ob ihr beide zu Hause seid.«

      »Ja, sicher«, antwortete sie hilflos. »Wo sollen wir sonst sein? Gerd ist krankgeschrieben, es geht ihm gar nicht gut. Gibt es etwas Neues?«

      »Ja, deshalb rufe ich an. Kann ich gleich bei euch vorbeikommen? Ich möchte euch etwas zeigen.«

      »Was denn, Lukas?« fragte Marianne Markwart ängstlich. »Etwas Schlimmes?«

      »Wie man’s nimmt. Es ist ein Brief von Feli. Er ist heute morgen angekommen. Und sie schreibt, daß sie euch auch einen geschickt hat.«

      »Einen Brief? Das heißt, es geht ihr gut? Sie ist nicht verletzt oder entführt oder…?«

      »Nein, ist sie nicht«, antwortete Lukas hastig. »Habt ihr ihren Brief noch nicht bekommen?«

      »Die Post war noch nicht da. Aber, Lukas…«

      »Ich komme jetzt, ja? Alles andere besprechen wir dann.« Er legte rasch auf, rief in der Agentur an, daß er später kommen werde, und verließ die Wohnung.

      Zehn Minuten später parkte er das Auto bereits vor dem Haus seiner Schwiegereltern. Marianne Markwart empfing ihn an der Haustür. Ihre sonst so rosigen Wangen waren diesmal blaß, und sie sagte mit seltsam ausdrucksloser Stimme: »Wir haben ihren Brief gerade gelesen. Als du aufgelegt hattest, kam der Briefträger.«

      Er folgte ihr ins Haus und begrüßte Gerd Markwart wortlos, nur mit einem festen Händedruck.

      Sie gingen ins Wohnzimmer und ließen sich in die großen weichen Sessel sinken. Lukas reichte seinen Schwiegereltern den Brief, den er bekommen hatte – und er nahm den in Empfang, den Feli ihnen geschrieben hatte. Sie lasen, und drückende Stille legte sich über den Raum. Schließlich landeten beide Briefe auf dem Tisch, der vor ihnen stand, und sie sahen einander an. Zunächst sprach niemand ein Wort.

      Gerd Markwart war es schließlich, der das Schweigen brach: »Ich kann das nicht glauben, Lukas. Jemand muß sie gezwungen haben, das zu schreiben. Das kann nicht Felis freier Entschluß gewesen sein.«

      »Ich weiß es nicht«, sagte Lukas, der sich so elend fühlte wie noch nie in seinem Leben. »Wenn sie mich wirklich nicht liebt und keinen anderen Ausweg gesehen hat, als einfach wegzugehen, hier alles zu verlassen und…«

      »Aber gerade das glaube ich nicht!« beharrte Felis Vater. »Sie hätte mit dir gesprochen oder mit uns! Sie wäre nicht einfach auf und davon gegangen wie eine Diebin! Du kennst Feli doch, sie sagt immer geradeheraus, was sie denkt. Sich bei Nacht und Nebel aus ihrem und unserem Leben wegzuschleichen, das paßt einfach nicht zu ihr.«

      Gegen seinen Willen erwachte in Lukas erneut so