Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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      »Natürlich«, stöhnte Thomas Laufenberg. Das hatte ihm zu seinem Glück gerade noch gefehlt.

      Dr. Adrian Winter gehörte zu denjenigen Ärzten der Kurfürsten-Klinik, die dem neuen Verwaltungsdirektor nach wie vor äußerst mißtrauisch, wenn nicht sogar mit versteckter Feindseligkeit gegenüberstanden. Thomas wußte eigentlich gar nicht, warum das so war, denn er bemühte sich wirklich nach Kräften, das medizinische Personal der Klinik in jeder Hinsicht zu unterstützen – aber es war ihm bisher nicht gelungen, Dr. Winter davon zu überzeugen, daß er auf seiner Seite stand und nicht etwa gegen ihn arbeitete.

      Und nun also gab es einen Fall, der wieder für einen Zusammenstoß sorgen würde. Denn natürlich konnte es nicht akzeptiert werden, daß Patienten sich weigerten, ihre Personalien vollständig anzugeben. Und wenn Dr. Winter die Patientin aufgenommen hatte, dann mußte er auch dafür sorgen, daß alle notwendigen Informationen über sie vorlagen. Er brauchte sie ja nicht unbedingt selbst zu beschaffen, aber er mußte zumindest dafür sorgen, daß sich jemand um die Angelegenheit kümmerte.

      »Geben Sie mir bitte die Unterlagen, ich werde mal sehen, was sich tun läßt«, sagte er und streckte seine Hand aus.

      Sabine Meyer reichte ihm die schmale Mappe mit so sichtbarer Erleichterung, daß er unwillkürlich lächeln mußte. »Sie sind wohl froh, daß Sie die lästige Angelegenheit los sind, Frau Meyer, was?«

      Sie nickte und floh aus seinem Zimmer, aber das merkte er schon nicht mehr, denn er hatte sich bereits in die spärlichen Informationen vertieft, die die Kurfürsten-Klinik bisher über die Patientin Doris Willbrandt hatte zusammentragen können.

      *

      Lukas Bromberger war nervös. Er war am Vortag erst sehr spät abends aus Frankfurt zurückgekehrt und hatte es deshalb nicht gewagt, Feli noch anzurufen, obwohl er sie zuvor mehrmals nicht erreicht hatte. Er wußte ja, daß sie eine Menge zu tun hatte, nicht nur mit ihrer Arbeit – sie war Innenarchitektin –, sondern jetzt auch mit den Vorbereitungen für die Hochzeit. Er konnte nicht erwarten, daß sie jederzeit erreichbar war. Sie schaltete ihr Handy oft ab, wenn sie ihre Ruhe haben wollte, obwohl er sie vor seiner Abreise gebeten hatte, das nicht zu tun. Er haßte Tage, an denen er Feli nicht sah, aber noch schlimmer wurden sie, wenn er nicht einmal mit ihr sprechen konnte.

      Sein bester Freund Wolfgang Ostermann hatte ihm schon oft gesagt, daß er ihn zu besitzergreifend fand, und insgeheim gab Lukas ihm recht. Er versuchte sich auch immer wieder zusammenzunehmen, aber leider gelang ihm das häufig nicht. Und wenn dann noch eine Situation eintrat wie die jetzige – Feli war nicht zu Hause, sie war auf dem Handy nicht zu erreichen, und die Sekretärin ihres Chefs fragte sich ebenfalls schon, wo sie blieb –, in solchen Situationen fehlte nicht viel, um Lukas vollständig die Fassung verlieren zu lassen.

      Er biß die Zähne zusammen und rief ihre Eltern an. »Hier ist Lukas«, meldete er sich, als er die Stimme von Felis Mutter hörte. Bevor er weitersprechen konnte, rief Marianne Markwart erleichtert: »Gott sei Dank, endlich meldet sich wenigstens einer von euch beiden mal, Lukas! Was ist denn in Feli gefahren, daß sie plötzlich von der Bildfläche verschwindet, wo wir so viel zu besprechen haben? Wo ist sie?«

      In seinem Kopf rasten die Gedanken. Ihre Eltern haben also auch nichts von ihr gehört! Auf einmal bekam er es mit der Angst zu tun. Feli war kein Mensch, der einfach verschwand, ohne eine Nachricht zu hinterlassen – wieso war ihm das nicht gleich klargewesen? Aber er hatte ja wieder einmal nur an sich gedacht und sich geärgert, daß sie nicht erreichbar gewesen war, als er das Bedürfnis gehabt hatte, mit ihr zu sprechen. Was für ein dämlicher Egoist bin ich doch! dachte er, aber das half ihm natürlich auch nicht weiter.

      »Lukas?« fragte Marianne Markwart beunruhigt. »Bist du noch dran?«

      Er mußte ihr die Wahrheit sagen, alles andere hatte keinen Zweck. »Ja, bin ich. Entschuldige bitte, Marianne. Ich habe eigentlich bei euch angerufen, weil ich hoffte, daß Feli bei euch ist. Es ist nämlich so, daß ich sie von Frankfurt aus nicht erreicht habe – und seit ich zurück bin, erreiche ich sie auch nicht. Sie ist nicht zu Hause, im Büro ist man schon sauer, weil sie nicht auftaucht, und ihr Handy ist abgeschaltet.«

      Für einige scheinbar endlose Sekunden war es totenstill in der Leitung. Dann fragte Felis Mutter mit völlig veränderter Stimme: »Was hat das zu bedeuten, Lukas?«

      »Ich weiß es nicht«, antwortete er, und die Verzweiflung, die er empfand, war seiner Stimme deutlich anzuhören. »Vielleicht gar nichts. Vielleicht hat sie einen wichtigen Termin und hat nur vergessen, im Büro Bescheid zu sagen. In zwei Stunden ist sie wieder da, ruft an und hat eine einleuchtende Erklärung. Und wir haben uns ganz umsonst Gedanken gemacht.«

      »Aber du glaubst nicht, daß es so ist.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

      »Stimmt«, gab er zu. »Ich glaube nicht daran. Aber bevor wir uns verrückt machen, rufen wir zuerst noch ein paar Leute an, die wissen könnten, wo sie ist. Vielleicht hat sie auch plötzlich schreckliche Angst vor der Hochzeit bekommen und heult sich bei einer Freundin aus.«

      »Daran glaubst du auch nicht«, sagte Marianne Markwart. »Und ich tue es genausowenig. Wenn ihr nur nichts passiert ist, Lukas. Das alles sieht ihr gar nicht ähnlich – einfach zu verschwinden, meine ich.«

      »Ich weiß.« Seine Stimme klang rauh, und er räusperte sich, als es ihm auffiel. »Ich weiß«, wiederholte er, »aber laß uns Ruhe bewahren. Ich werde jetzt ein paar Telefonate führen und wenn niemand etwas von ihr gehört hat, überlegen wir, wie wir weiter vorgehen.«

      »Ich werde Gerd noch nichts sagen«, meinte sie ängstlich.

      »Das würde ich auch nicht tun an deiner Stelle, das würde seinem Herzen sicher nicht gut bekommen«, sagte Lukas mit erzwungener Ruhe. »Wenn dir noch jemand einfällt, bei dem sie sein könnte, dann ruf bitte dort an. In einer halben Stunde spätestens melde ich mich wieder bei dir.«

      »Ist gut, Lukas.« Er hörte die Tränen in ihrer Stimme und legte rasch auf. Es fiel ihm auch so schon schwer genug, sich zu beherrschen. Eine weinende Schwiegermutter konnte er jetzt nicht gebrauchen.

      Er griff zu einem Block und fing an, ihn mit Namen von Personen zu füllen, bei denen sich Feli eventuell aufhalten könnte. Aber plötzlich hielt er inne. Das war doch alles Unsinn! Es war Mittwochnachmittag, da arbeiteten fast alle Leute, die sie kannten. Wenn Feli irgendwo war, dann mußte es mit ihrem Beruf zusammenhängen. Seufzend griff er zum Telefon, um erneut in dem Architekturbüro anzurufen, in dem Feli seit einem Jahr arbeitete.

      *

      »Bitte, Frau Willbrandt, sagen Sie mir jetzt, wo Sie versichert sind. Und dann brauchen wir noch Ihre Adresse in Hamburg. Es ist doch auch in Ihrem Interesse, daß die Formalitäten möglichst schnell geregelt werden.«

      Sie wandte der Schwester ihr Gesicht zu und gab ihr mit klarer Stimme Auskunft. Die Überraschung war der anderen deutlich anzusehen. Sie hatte offenbar erneut damit gerechnet, keine Auskunft zu bekommen. Eifrig schrieb die junge Schwester alles auf, was sie ihr diktierte, und dann verließ sie sehr zufrieden das Zimmer.

      Das war’s also. Erleichtert sah sie ihr nach. Sie war froh, wieder allein zu sein. Es gab soviel, worüber sie nachdenken mußte. Dieser Krankenhausaufenthalt war in ihrem Plan nicht vorgesehen gewesen, aber jetzt mußte sie eben sehen, wie sie mit der Situation zurechtkam.

      Ihr war in der vergangenen Nacht einiges klargeworden, und deshalb hatte sie beschlossen, diesmal auf die Fragen Antwort zu geben. Es war nicht in ihrem Interesse, in dieser Klinik besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Im Gegenteil. Und zum Glück ging es ihr bereits bedeutend besser. Von einer Lungenentzündung war nicht mehr die Rede, man würde sie ohnehin bald entlassen. Sie würde mit Frau Dr. Martensen heute darüber reden. Die resolute Ärztin, die gerade Dienst in der Notaufnahme hatte, nahm sich die Zeit, immer mal wieder bei ihr vorbeizukommen und sie zu fragen, wie es ihr ging.

      Als hätte sie geahnt, was die junge Frau gerade dachte, betrat Dr. Julia Martensen das Zimmer genau in diesem Augenblick. »Nun, Frau Willbrandt?« fragte sie freundlich. »Wie fühlen Sie sich jetzt?«

      »Ganz