Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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ich Thomas Laufenberg.«

      »Vielleicht solltest du ihn nicht vergessen, sondern ihn statt dessen unvoreingenommen betrachten«, schlug Bernd vor. »Ich glaube nämlich, er ist gar nicht so übel, wie du denkst.«

      Adrian Winter sah ihn mit einem langen Blick an. »Du also auch?« fragte er. »Julia ist ja schon längst auf seiner Seite.«

      Bernd schüttelte verzweifelt den Kopf. »Was ich nicht verstehe, Adrian, ist folgendes: Warum gehst du davon aus, daß ihr beide auf verschiedenen Seiten steht? Verfolgt ihr denn nicht die gleichen Interessen – nämlich, daß diese Klinik so gut funktioniert wie irgend möglich?«

      »Das habe ich doch schon mal irgendwo gehört!« murmelte Adrian und tat so, als würde er heftig nachdenken. Dann rief er voll gespielter Überraschung: »Ja, jetzt fällt’s mir auch ein, wo! Es war der neue Verwaltungsdirektor höchstpersönlich, der genau das gleiche gesagt hat!«

      »Ich geb’s auf!« sagte Bernd seufzend. »Du willst ihn nicht mögen, so ist das nämlich.«

      Sie kamen nicht dazu, ihre Unterhaltung fortzusetzen, weil ein junger Mann gebracht wurde, der mit seinem Motorrad von der Straße abgekommen war und sich auf einer Wiese mehrfach überschlagen hatte.

      Adrian war insgeheim froh, daß er nicht länger über Thomas Laufenberg reden mußte, denn er hatte den schrecklichen Verdacht, daß Bernd Schäfer vielleicht recht hatte mit seiner Ansicht, und er fühlte sich noch längst nicht imstande, das zuzugeben.

      *

      Feli war nirgends aufzutreiben. Niemand hatte sie gesehen, niemand hatte mit ihr gesprochen an dem Tag, als Lukas in Frankfurt gewesen war – und danach auch nicht. Außerdem war niemandem an den Tagen davor etwas Besonderes an ihr aufgefallen, auch Lukas nicht, wie er sich selbst eingestehen mußte. Er zerbrach sich den Kopf, ob er irgend etwas übersehen haben könnte, aber ihm fiel nichts ein. Feli war wie immer gewesen. Es hätte keinerlei Irritation gegeben.

      Je mehr Lukas telefonierte, desto nervöser wurde er, und desto mehr verdichtete sich die Ahnung, daß tatsächlich etwas passiert sein mußte. Feli war wie vom Erdboden verschwunden, und irgendwann kam der Zeitpunkt, wo es unmöglich war, sich mit harmlosen Erklärungen zu beruhigen.

      »Wir müssen die Polizei verständigen«, sagte Lukas am späten Nachmittag zu Marianne und Gerd Markwart. Er war vor wenigen Minuten bei seinen zukünftigen Schwiegereltern eingetroffen, um mit ihnen zu besprechen, was als nächstes unternommen werden sollte.

      Felis Vater war sehr blaß, er hatte bereits Medikamente für sein Herz eingenommen. Aufregung war Gift für ihn, aber es war nicht möglich gewesen, die Tatsache, daß seine Tochter verschwunden war, noch länger vor ihm geheimzuhalten.

      »Wirklich, ich sehe keine andere Möglichkeit mehr«, fuhr Lukas eindringlich fort. »Wir haben alles versucht, ohne Erfolg. Wenn ich das richtig sehe, habe ich vorgestern abend zum letzten Mal mit ihr telefoniert. Gestern war ich in Frankfurt und habe sie nicht erreicht, heute ebenfalls nicht. Ich habe niemanden gefunden, der nach vorgestern abend noch Kontakt mit ihr hatte.«

      »Ich verstehe das alles nicht«, sagte Gerd Markwart mühsam. Er war ein großer, schlanker Mann mit grauem Haar und dunklen Augen, in denen jetzt die Angst zu lesen war, die er um seine Tochter hatte. Er war so nervös, daß er nicht ruhig sitzenbleiben konnte. Unablässig wanderte er in dem großen Zimmer umher, den Rücken leicht gebeugt.

      »Kein Mensch kann einfach so verschwinden, Lukas«, fuhr Gerd Markwart fort. »Wenn wir auch nur geahnt hätten, daß du sie gestern gar nicht erreicht hast…«

      »Das hilft uns jetzt nicht weiter, Gerd.« Lukas unterbrach seinen zukünftigen Schwiegervater, so höflich er konnte. »Feli ist weg – daran gibt es keinen Zweifel mehr. Ihre Kollegen im Büro haben geschworen, daß sie keinen auswärtigen Termin hatte. Und sie halten es für ausgeschlossen, daß sie einen Termin hatte, von dem niemand anders etwas wußte. Es war sogar so, daß für heute vormittag eine wichtige Besprechung angesetzt war – und diese Besprechung war auch in Felis Terminkalender eingetragen. Ich habe die Eintragung mit eigenen Augen gesehen. Und ich bin auch in ihrer Wohnung gewesen. Dort sieht es so aus wie immer, man denkt, sie müsse jeden Augenblick zur Tür hereinkommen. Es muß also etwas passiert sein.«

      »Laß uns die Polizei verständigen, Gerd«, bat Marianne Markwart mit zitternder Stimme. »Damit wir wenigstens das Gefühl haben, etwas zu tun. Es macht mich ganz krank, hier zu sitzen und zu warten.«

      Lukas nickte ihr dankbar zu. »Ganz meine Meinung, Marianne. Soll ich allein gehen, oder wollt ihr mich begleiten?«

      »Wir kommen mit«, entschied Gerd Markwart, und seine Frau nickte.

      »Gut, dann laßt uns bitte sofort gehen«, erwiderte Lukas und sprang auf. »Je eher etwas unternommen wird, desto besser!«

      Eine Viertelstunde später erschienen sie auf einem Polizeirevier und gaben Felis Verschwinden zu Protokoll.

      *

      »Ja, ganz richtig!« Adrian Winter verzog das Gesicht, aber das konnte die Dame am anderen Ende der Leitung nicht sehen. Sie machte ihn wahnsinnig mit ihrer überaus gründlichen Art und den ständigen Nachfragen. Er hatte sich nach Doris Willbrandt erkundigt, und sie hatte sich zunächst mehrfach rückversichert, daß er überhaupt das Recht hatte, sie um Auskünfte zu bitten. Aber offenbar war es ihm jetzt gelungen, sie zu überzeugen, daß er tatsächlich Arzt an einer renommierten Berliner Klinik sei, denn sie schien nun doch geneigt zu sein, ihm zu helfen.

      »Wie heißt Ihre Patientin?«

      »Doris Willbrandt!« sagte er und unterdrückte einen Seufzer. Das hatte er ihr bestimmt schon dreimal gesagt. Er wiederholte auch noch einmal ihre Adresse und ihre Versicherungsnummer und wartete.

      Diesmal kam die Antwort erstaunlich schnell. »Da muß ein Irrtum vorliegen, Herr Dr. Winter. Eine Doris Willbrandt ist bei uns nicht versichert. Und die Versicherungsnummer kann ohnehin nicht stimmen – die ist auf keinen Fall von uns.«

      »Was heißt das?« fragte er. Tief unten in seinem Magen fühlte er Übelkeit aufsteigen. Wenn Thomas Laufenberg recht hatte mit seiner Vermutung, daß die Patientin falsche Angaben gemacht hatte…

      »Sie hat zwei Stellen zu wenig – unsere Nummern sind neunstellig«, erklärte sie ihm freundlich. »Ich fürchte also, ich kann Ihnen nicht helfen. Vielleicht liegt eine Verwechslung vor?«

      »Wahrscheinlich«, murmelte er. »Vielen Dank für Ihre Mühe. Auf Wiederhören.« Er legte hastig auf und erinnerte sich plötzlich wieder sehr deutlich daran, daß er von Anfang an das Gefühl gehabt hatte, mit Frau Willbrandt würde etwas nicht stimmen. Er würde sie fragen müssen, warum sie falsche Angaben gemacht hatte. Normalerweise wäre das nicht tragisch gewesen, so etwas kam immer mal wieder vor. Aber in diesem ganz besonderen Fall paßte es ihm nicht – und der Grund dafür war der neue Verwaltungsdirektor.

      Er schüttelte den Kopf über sich, als er sich bei diesem Gedanken ertappte. Sonst benahm er sich doch eigentlich nicht so kindisch. Es wäre wirklich besser, sich mit dem Mann endlich zu arrangieren, die meisten anderen taten es schließlich auch. Und einige schätzten Thomas Laufenberg sogar – er mußte also auch seine Qualitäten haben, wenn ihm selbst diese bisher auch verborgen geblieben waren.

      »Probleme?« fragte dann eine freundliche Männerstimme, und Adrian sah auf.

      »Hallo, Werner. Ja, könnte man so sagen.«

      »Erzähl sie mir, vielleicht kann ich dir helfen. Zufällig habe ich gerade ein paar freie Minuten, bevor ich den nächsten Patienten in Tiefschlaf versetzen darf. Oder möchtest du lieber allein sein und weiter grübeln?«

      Adrian erwiderte das Lächeln seines Kollegen Werner Roloff und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich war gerade in Gedanken so weit, mir einzugestehen, daß ich mich wie ein Idiot benehme.«

      »Hört sich interessant an«, meinte Werner Roloff. »Also?«

      Adrian erstattete kurz Bericht. Werner Roloff hörte ihm aufmerksam zu. Er war viel älter als Adrian, aber trotz