der sich noch immer große Sorgen um seine Nachbarin machte. Erst im Laufe der letzten Stunden war ihm klargeworden, wie groß die Rolle war, die sie in seinem Leben spielte.
Als er zurückkehrte, fand er Esther nicht mehr im Wohnzimmer, sondern er hörte sie leise in Frau Senftlebens Küche klappern. »Was machst du denn hier?« erkundigte er sich erstaunt.
»Rinderbrühe«, antwortete sie lakonisch. »Ein Wunder-Heilmittel, das solltest du eigentlich wissen. Ich habe noch schnell Fleisch und Knochen und ein bißchen Gemüse gekauft. Wir können Frau Senftleben schließlich keine Tütensuppe anbieten.«
Er wurde verlegen. »Hab’ ich schon gemacht«, gestand er.
»Echt?« Sie schüttelte den Kopf mit den kurzen blonden Haaren, die sie viel jünger erscheinen ließen, als sie tatsächlich war. »Und was hat sie gesagt?«
»Nichts. Sie hat sie geschluckt. Aber du hättest mal ihr Gesicht sehen sollen.«
*
Frau Dr. Hallwachs, Carolines Gynäkologin, ließ sich Zeit mit ihrer Untersuchung. Ab und zu murmelte sie vor sich hin, dann griff sie zu dem Stab, der zum Ultraschallgerät gehörte, und führte ihn ein. Aufmerksam sah sie auf den Monitor, die Augenbrauen zusammengezogen, während sie den Stab in Carolines Unterleib vorsichtig bewegte.
»Ist etwas nicht in Ordnung, Frau Dr. Hallwachs?« fragte Caroline schließlich, als das Schweigen der Ärztin ihr zu lange dauerte.
»Es sieht ganz so aus, Frau Stellmann«, lautete die Antwort. »Die kleine Zyste am rechten Eierstock, die wir beim letzten Mal festgestellt hatten, ist seitdem enorm gewachsen, das gefällt mir überhaupt nicht. Außerdem sitzt jetzt am linken Eierstock ebenfalls eine. Ich dachte zunächst, ich hätte mich vielleicht getäuscht, aber so ist es leider nicht.«
Sie zog den Stab heraus und setzte ihre Untersuchung mit den Händen fort.
»Was heißt das?« fragte Caroline.
»Das heißt, daß die gutartige Geschwulst bösartig geworden sein könnte«, antwortete die Ärztin. »Das muß nicht so sein, aber es ist möglich. Klarheit wird nur eine Operation bringen.«
Caroline war so erschrocken, daß sie zunächst gar nichts sagen konnte. Mit einem solchen Untersuchungsergebnis hatte sie nicht gerechnet, das mußte sie erst einmal verarbeiten.
Frau Dr. Hallwachs beendete ihre Untersuchung und sagte ruhig: »Sie können sich jetzt wieder anziehen, Frau Stellmann. Dann überlegen wir, was wir machen.«
Caroline erhob sich wie betäubt von dem Untersuchungsstuhl und verschwand in der Umkleidekabine. War sie das wirklich gewesen, die vor einer Stunde überaus fröhlich von zu Hause weggegangen war? Die sich in Tagträumen über einen Mann namens Timothy Brown verloren hatte?
Sie kehrte in das Sprechzimmer der Ärztin zurück und nahm auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz.
»Sie müssen sich operieren lassen, Frau Stellmann«, sagte ihre Ärztin ernst. »Das ist die einzige Möglichkeit, um Klarheit zu gewinnen.«
»Wenn… also, wenn es ein bösartiger Tumor ist«, sagte Caroline leise, »was bedeutet das dann? Daß ich niemals Kinder bekommen kann?«
Frau Dr. Hallwachs nickte. »Wenn es so ist, dann müssen beide Eierstöcke und auch die Gebärmutter entfernt werden. Alles andere wäre zu gefährlich.« Sie sah in das blasse Gesicht ihrer Patientin und fügte hinzu: »Aber es ist genauso gut möglich, daß die Geschwulst gutartig ist.«
»Glauben Sie das?« fragte Caroline.
»Ich kann Ihnen darauf keine Antwort geben, Frau Stellmann. Das starke Wachstum gefällt mir nicht – das könnte ein Indiz für die Bösartigkeit sein. Ich sage ausdrücklich ›könnte‹, denn auch gutartige Tumore wachsen.«
Sie machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Sie müssen sich operieren lassen, dann sind wir sicher. Bei dieser Operation wird ein sogenannter Schnellschnitt gemacht – und je nachdem, wie das Ergebnis ist, wird lediglich die Geschwulst entfernt oder eben auch die Organe.«
»Was für eine Aussicht«, sagte Caroline schwach. »Man läßt sich in Narkose versetzen und weiß nicht, was einen erwartet, wenn man wieder aufwacht: Ist man noch ein ganzer Mensch oder nicht?«
»Ein ganzer Mensch werden Sie in jedem Fall sein!« Die Stimme der Ärztin war warm und ruhig. »Sie dürfen sich jetzt nicht von Ihren Phantasien verrückt machen lassen, Frau Stellmann.«
»Würde es Ihnen anders gehen, wenn Sie an meiner Stelle wären?« fragte Caroline leise. »Würden Sie ruhig bleiben?«
Frau Dr. Hallwachs dachte nach und antwortete ehrlich: »Nein, wahrscheinlich nicht.« Dann sah sie in ihren Unterlagen nach und fragte: »Sie arbeiten doch in der Kurfürsten-Klinik, nicht wahr? Sie sollten sich dort operieren lassen, die Chirurgie hat einen ausgezeichneten Ruf.«
»Ich weiß nicht, ob ich von Leuten operiert werden will, die ich kenne und mit denen ich hinterher zusammenarbeiten muß«, entgegnete Caroline. »Darf ich wenigstens noch ein paar Tage darüber nachdenken?«
Die Ärztin gab ihre Antwort indirekt. »Sie sollten sich so bald wie möglich operieren lassen, Frau Stellmann.«
*
»Du siehst großartig aus. Dir bekommt Berlin offenbar gut«, stellte Stefanie Wagner fest, nachdem sie Tim Brown in einem der Restaurants des King’s Palace begrüßt hatte, wo sie zusammen zu Mittag essen wollten. Es war die einzige Möglichkeit, sie zu sehen, hatte sie ihm erklärt. Sie hatte einfach zu viel um die Ohren im Augenblick, um sich mit jemandem abends zu verabreden. Oft genug blieb sie bis zehn oder sogar noch länger im Hotel.
»Ja«, bestätigte er lächelnd. »Berlin tut mir gut. Ich hab’ mich verliebt, Steffi.«
Sie tat, als sei sie über die Maßen überrascht. Schließlich mußte er nicht wissen, daß sie das schon gemerkt hatte, als sie ihn auf der Dachterrasse mit dieser schönen Blonden hatte sitzen sehen…
»Wie schön, Tim! Da werden sich deine Eltern aber freuen, daß die heißersehnte große Familie endlich in den Bereich des Möglichen rückt!«
Aber Tim winkte erschrocken ab. »So weit ist es noch längst nicht, Steffi. Die Frau weiß ja noch gar nichts von ihrem Glück. Vielleicht erwidert sie meine Gefühle überhaupt nicht. Es ist ja auch noch ganz frisch, ich habe sie schließlich gerade erst kennengelernt…«
Sie unterbrach ihn lachend. »Aber trotzdem bist du dir schon so sicher, daß du mir von ihr erzählst. Das muß ja dann Liebe auf den ersten Blick gewesen sein.«
»Auf den ersten nicht«, erwiderte er. »Aber ich glaube, es war ungefähr der dritte oder vierte. Auf jeden Fall ist es ziemlich schnell gegangen, da hast du schon recht.«
»Und wer ist sie? Wie hast du sie kennengelernt?« fragte Stefanie neugierig.
Er erzählte ihr, wie Caroline ihm buchstäblich in die Arme gefallen war. »Und stell dir vor, sie ist Krankenschwester an der Kurfürsten-Klinik!«
»Und dort habt ihr euch noch nie gesehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist ja ein riesiger Komplex, da läuft man sich nicht ständig über den Weg. Wahrscheinlich können zwei Leute dort jahrelang arbeiten, ohne sich jemals zu begegnen.«
»Arzt und Krankenschwester«, sagte sie nachdenklich, »das klingt fast wie aus einem Roman.«
»Oder wie direkt aus dem Leben«, meinte er. »Du weißt doch, daß manche Romane dem Leben sehr nahekommen. Es ist nun einmal so, daß die meisten Menschen sich am Arbeitsplatz kennenlernen. Ärzte und Schwestern verbringen sehr viel Zeit miteinander – oft mehr als mit ihren jeweiligen Partnern. Bei Chefs und Sekretärinnen ist das doch ganz ähnlich.«
»Ich weiß«, seufzte sie und dachte an Andreas Wingensiefen. Ihr Chef war ein sehr attraktiver Mann, der seine Freundinnen häufig wechselte. Er hatte auch schon mit einer seiner Sekretärinnen eine Affäre gehabt, die sich dann hinterher