Er beschloß, sie direkt zu fragen. Versteckspiel lag ihm nicht, außerdem hatte er sich so sehr auf diesen Abend mit ihr gefreut. Er wollte nicht, daß etwas Unausgesprochenes zwischen ihnen stand.
»Ist etwas passiert, Caroline?« fragte er behutsam.
Sie sah ihn erschrocken an – es kam ihm zumindest so vor, als sei sie erschrocken. Oder wirkte sie nicht eher wie jemand, den man ertappt hat? Er wurde noch verwirrter, stellte seine Frage aber trotzdem noch ein zweites Mal. »Sie wirken so bedrückt«, sagte er leise. »Bitte, sagen Sie mir doch, was Sie quält.«
Caroline schluckte. Wie schön wäre es, jetzt einfach zu reden, diesen dunklen Augen anzuvertrauen, was ihr Leben seit dem Besuch bei ihrer Ärztin überschattete. Sie hatte die besten Absichten, sie wollte ihm die Wahrheit sagen, aber als sie schließlich den Mund öffnete, um ihm zu antworten, da kamen ganz andere Worte heraus, als sie gewollt hatte. »Ich bin nur ein bißchen müde, Tim, das ist alles. Kein Grund zur Beunruhigung.«
Er war enttäuscht. Sie hatte kein Vertrauen zu ihm, was hatte er auch erwartet? Sie kannten sich schließlich kaum, und nur weil er sich gleich in sie verliebt hatte, mußte es ihr nicht genauso gehen. Er hätte sie nicht fragen sollen, schließlich stand ihm eine solche Frage gar nicht zu.
»Tut mir leid«, sagte er, und er hörte selbst, wie steif das klang und wie distanziert sich seine Stimme auf einmal anhörte. Das hatte er gar nicht gewollt, aber er mußte sich wappnen gegen die riesige Welle von Schmerz und Enttäuschung, die jetzt auf ihn zurollte. Caroline empfand offensichtlich nicht so für ihn wie er für sie. Er war zu schnell gewesen – wie so oft in seinem Leben. Wenn er ein Ziel hatte, dann stürmte er bedenkenlos darauf zu, und oft genug hatte er andere Menschen dadurch nur verschreckt.
»Wir sollten bestellen«, sagte er, und nun klang seine Stimme schroff, als wolle er den Abend möglichst schnell hinter sich bringen.
Genauso verstand es Caroline. Warum sagte sie ihm nicht die Wahrheit? Jetzt konnte sie es noch tun, vielleicht würde dann die steile Falte auf seiner Stirn wieder verschwinden, seine Augen würden wieder warm und freundlich blicken, und er würde ihr sagen, daß das alles halb so schlimm sei und daß er natürlich immer für sie dasein werde…
Doch sie sagte nichts. Und auch Tim schwieg eigensinnig. Sie waren beide erleichtert, als der Kellner schließlich kam, denn nun hatten sie wenigstens etwas zu tun, das sie ablenkte.
*
»Was ist denn heute für ein Tag?« fragte Frau Senftleben ein wenig verwirrt, als Adrian am Montagmorgen auf Zehenspitzen in ihr Zimmer trat, da er angenommen hatte, sie würde noch schlafen.
»Montag«, antwortete Adrian. »Montagmorgen, Frau Senftleben, ich muß in die Klinik. Meine Schwester kommt sicher jeden Augenblick, machen Sie sich keine Sorgen.«
»Ich mache mir keine Sorgen«, erwiderte seine Nachbarin lächelnd. »Sie machen sich welche. Das müssen Sie aber nicht, Adrian, mir geht es wirklich schon viel besser, und zur Not komme ich jetzt auch allein zurecht.«
»Ich möchte aber nicht, daß Sie allein sind, Frau Senftleben«, sagte er hartnäckig. In diesem Augenblick wurde die Wohnungstür aufgeschlossen, und er atmete auf. »Da ist Esther ja schon«, sagte er erleichtert. »Na, das hat ja wunderbar geklappt.«
Esther rief leise: »Adrian?«
»Hier bin ich, bei Frau Senftleben«, rief er zurück. »Komm ruhig herein, unserer Patientin geht es viel besser.«
»Guten Morgen«, sagte Esther, als sie Frau Senftlebens Schlafzimmer betrat. »Tut mir leid, Adrian, daß ich so spät bin, aber wir hatten noch ein Zwillingspärchen, das uns Kummer gemacht hat. Und du weißt ja, Zwillinge üben eine magische Anziehungskraft auf mich aus – kein Mensch weiß, warum das so ist!« Sie gab ihrem Zwillingsbruder einen liebevollen Kuß auf die Wange und wandte sich dann der Patientin zu.
»Frau Senftleben, wieso sind Sie denn schon wach? Adrian behauptet doch immer, daß Sie die reinste Nachteule sind und den halben Vormittag verschlafen.«
Carola Senftleben lächelte, sie wirkte tatsächlich ziemlich verschlafen. »Es ist eben im Augenblick alles ziemlich durcheinander. Das kommt durch die Krankheit. Aber keine Sorge, wenn alles wieder normal läuft, dann nehme ich meine liebgewordenen alten Gewohnheiten wieder auf.«
»Ich muß los«, sagte Adrian. »Wiedersehen, Frau Senftleben, tschüß, Esther. Bis heute abend.«
Weg war er. Die beiden Frauen lächelten einander an, dann sagte Frau Senftleben besorgt: »Sie sind doch sicher völlig kaputt, Esther! Legen Sie sich nur gleich hin, um mich müssen Sie sich nicht kümmern, mir geht’s schon wieder gut.«
Aber Esther schüttelte energisch den Kopf. »So schnell muß ich nicht schlafen. Zuerst einmal möchte ich etwas essen, und ich denke, Ihnen würde ein Frühstück auch nicht schaden, wo Sie doch nun schon einmal wach sind.«
»Frühstück?« fragte Frau Senftleben erstaunt. »Um diese Zeit? Es ist doch noch fast Nacht.«
Esther lachte und war bereits auf dem Weg in die Küche. »Von wegen!« rief sie. »In einer Viertelstunde, Frau Senftleben. Und wehe, Sie schlafen mir vorher wieder ein!«
*
Das Telefon klingelte, und Stefanie Wagner meldete sich sofort. Sie war immer schon sehr früh im Hotel, weil sie dann am besten arbeiten konnte. Viele der Angestellten wußten das und riefen sie deshalb frühmorgens an, um ihr ihre Probleme vorzutragen.
Am Anfang hatte es sie gestört, weil sie zu den Dingen, die sie sich vorgenommen hatte, oft genug nicht kam, aber mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt und fand es sogar gut. Die aktuellen Probleme im Hotel waren schließlich am wichtigsten. Alles andere konnte in der Regel warten. Oft jedenfalls hatte sie schon sehr viel erledigt, wenn ihre Kolleginnen und Kollegen überhaupt erst eintrafen.
Aber diesmal war es niemand aus dem Hotel, sondern jemand von außerhalb. »Steffi?« fragte eine wohlvertraute Stimme.
»Tim!« rief sie erfreut. »Was macht die Liebe? Treibt sie dich etwa so früh aus dem Bett?«
»Nein«, antwortete er niedergeschlagen.
»Was ist los?« fragte sie. »Ihr habt euch doch noch einmal getroffen, oder?«
»Ja, eben. Und es war eine einzige Katastrophe, Steffi.«
»Wieso?«
Er erzählte es ihr. Nach einem rundum gelungenen Abend klang es wirklich nicht, das mußte sie zugeben. »Aber so schnell gibt man nicht auf«, sagte sie energisch. »Ihr kennt euch kaum, also ist es nicht verwunderlich, daß sie dir nicht sofort ihr Herz ausschüttet. Vielleicht ist das Problem auch so geartet, daß man nicht gern darüber spricht. Frag sie beim nächsten Mal etwas eindringlicher, sie wird schon reden.«
»Dann hätte sie es jetzt auch schon tun können«, wandte er nicht ganz zu Unrecht ein.
»Trotzdem finde ich, daß du dich zu schnell entmutigen läßt«, sagte sie. »Vielleicht hat sie nicht gewußt, wie sie das, was sie bedrückt, zum Ausdruck bringen soll. Du kennst solche Situationen doch auch, Tim. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du bei den ersten kleinen Schwierigkeiten schon aufgibst.«
»Ich gebe nicht auf«, versicherte er, »aber ich bin mutlos. Die Sicherheit, die ich neulich hatte, daß sie meine Gefühle erwidert, ist weg. Ich zweifele, und ich bin sehr unglücklich seit diesem Abend.«
»Verständlich«, meinte Stefanie. »Ruf sie an und frag sie, was los war.«
»Nein, das mache ich nicht. Ich warte, bis wir uns wiedersehen. Du meinst also, es muß noch nicht alles verloren sein?«
»Das meine ich sogar ganz bestimmt!« sagte sie energisch. »Was ist los mit dir? So verzagt kenne ich dich ja gar nicht!«
»Die Liebe«, sagte er in dem kläglichen Versuch, sich über sich selbst lustig zu machen, »verändert eben auch den stärksten Mann.«
»Halt mich auf dem laufenden«,