schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen. Die Hände, die vor ihr auf dem Tisch lagen, fuhren unruhig hin und her. Er wartete geduldig, bis sie erneut zu sprechen begann.
»Das auch«, sagte sie endlich, »aber das Hauptproblem ist ein anderes.«
Aha, dachte er. Nun kommt’s also. Er hatte die junge Schwester noch nie so durcheinander gesehen und fragte sich besorgt, was sie ihm wohl als nächstes anvertrauen würde.
»Ich glaube, ich war gerade dabei, mich zu verlieben, Herr Dr. Winter«, sagte Caroline in diesem Augenblick. »Und ich denke, ich müßte dem Mann sagen, was mit mir ist, oder?« Sie hob den Kopf und sah ihn an. »Wir waren neulich zum Essen verabredet, und ich wollte es ihm ganz bestimmt erzählen, aber ich habe es nicht fertiggebracht. Und er hat überhaupt nicht gewußt, was mit mir los ist und warum ich so komisch war. Zum Schluß war er ganz in sich gekehrt. Ich habe alles falsch gemacht, ich wollte ihn doch nicht verletzen, aber ich habe einfach die richtigen Worte nicht gefunden. Können Sie sich das vorstellen?«
Jetzt weinte sie, und erschrocken stand er auf und setzte sich neben sie. Er legte einen Arm um sie, zog sie an sich und strich ihr beruhigend über die schönen blonden Haare. »Nicht weinen«, sagte er leise. »Das läßt sich doch alles klären, Caroline. Sie erzählen ihm eben beim nächsten Mal, was mit Ihnen los ist. Natürlich müssen Sie es ihm sagen…«
»Aber vielleicht habe ich gar keinen Krebs, dann muß er von der Operation doch überhaupt nichts erfahren«, weinte sie.
»Und warum nicht?« fragte Adrian. »Sie sagen, Sie sind dabei, sich in den Mann zu verlieben – warum wollen Sie ihm dann verschweigen, was Sie im Augenblick stark bewegt und auch beunruhigt? Es ist vielleicht ein bißchen viel für eine ganz junge Liebe, wenn sie gleich mit solch existentiellen Fragen belastet wird, aber Sie tun niemandem einen Gefallen, wenn Sie darüber schweigen. Und schon gar nicht, wo der Mann ja bereits gemerkt hat, daß Sie verändert sind. Er ist ja sicher auch darüber beunruhigt.«
Jetzt nickte sie, holte ein Taschentuch heraus und wischte sich damit die Tränen ab. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich wollte Ihnen wirklich nicht unbedingt etwas vorheulen.«
»Kein Problem«, versicherte er lächelnd. »Geht’s wieder?«
Sie nickte, aber er sah, daß ihr noch immer Tränen in den Augen standen, und so blieb er neben ihr sitzen.
»Könnten Sie mich nicht operieren?« fragte sie plötzlich.
»Sie wissen, daß ich Unfallchirurg bin«, gab er zu bedenken. »Normalerweise führe ich solche Operationen nicht durch.«
»Das weiß ich, aber zu Ihnen habe ich Vertrauen.«
»Ich operiere Sie gern, wenn Sie das unbedingt wollen«, sagte er ruhig, »aber ich finde, Sie sollten darüber noch einmal in Ruhe nachdenken.«
Sie schüttelte so heftig den Kopf, daß ihr die blonden Haare ins Gesicht flogen. »Ich muß darüber nicht mehr nachdenken. Bei Ihnen würde ich mich sicher fühlen, Herr Dr. Winter. Ich habe ohnehin schon Angst genug – die wäre bei einem anderen Arzt noch viel größer, das können Sie mir glauben.«
Adrian gab nach. »Na schön. Aber lassen Sie mich wenigstens vorher mit den Kollegen darüber reden – ich will nicht, daß es böses Blut gibt, weil ich meine Kompetenzen überschreite.«
Sie nahm das nicht ernst. »Wenn Sie operieren wollen, gibt es bestimmt kein böses Blut. Alle wissen doch, was Sie können, Herr Dr. Winter.«
Er lächelte über dieses Kompliment, sagte aber nichts dazu. »Und wann?« fragte er.
»Meine Ärztin hat gesagt, so schnell wie möglich.«
Er nickte. »Dann reden Sie mal sofort mit Ihrem Freund, Caroline«, sagte er. »Wenn es geht, operieren wir Sie noch diese Woche.«
*
Tim Brown verließ die Kurfürsten-Klinik mit eiligen Schritten. Er wollte außerhalb etwas essen, wo er nicht von neugierigen oder aufmunternden Blicken verfolgt wurde. In den letzten Tagen war es eher noch schlimmer geworden mit der allgemeinen Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde. Er wußte nicht, woran das lag, aber er hoffte inständig, daß es bald wieder aufhörte. Er konnte es nicht leiden, so im Mittelpunkt zu stehen, und er verstand auch nicht, was die Leute so sehr an ihm faszinierte. Es konnte doch nicht nur daran liegen, daß er zur Zeit der einzige Südafrikaner an der Klinik war? So wahnsinnig interessant war das auf Dauer schließlich auch nicht. Er war ja noch nicht einmal dunkelhäutig – seinem Äußeren nach hätte er ohne weiteres als Einheimischer durchgehen können.
Er seufzte unwillig und wandte sich dann in Gedanken wieder dem Thema zu, das ihn augenblicklich am stärksten beschäftigte: Caroline. Seit dem verunglückten Abendessen hatte er sie nicht wiedergesehen. Noch immer wußte er nicht, was er von jenem Abend halten sollte. Was war nur los gewesen? Hatte es an ihm gelegen? Aber er war sich keiner Schuld bewußt, sie war schon von Anfang an merkwürdig gewesen, also mußte vorher etwas passiert sein, das diesen Stimmungsumschwung bei ihr bewirkt hatte.
Er war gekränkt, daß sie ihn nicht ins Vertrauen gezogen hatte. Denn er war ganz sicher gewesen, daß auch sie ihn gern hatte – es hatte bei ihnen beiden auf Anhieb gefunkt. So konnte er sich nicht geirrt haben! Aber vielleicht hatte sie das bei ihrer ersten Begegnung genauso gesehen und dann später festgestellt, daß sie sich getäuscht hatte? Das kam schließlich vor, es war noch nicht einmal ungewöhnlich. Beim ersten Mal fand man jemanden ganz großartig, aber auf den zweiten Blick fragte man sich dann, wo man eigentlich seine Augen gehabt hatte…
Er blieb stehen, als er in Gedanken soweit gekommen war. War es wirklich möglich, daß es sich bei Caroline so verhielt? Das wäre eine Katastrophe für ihn. Denn er selbst hatte sie bei ihrem zweiten Treffen noch anziehender gefunden als beim ersten Mal. Er war seiner Gefühle ganz sicher gewesen und hatte sich unglaublich gefreut, sie wiederzusehen.
Außerdem hatte er in der kommenden Woche einige Tage Urlaub, und insgeheim hatte er darauf gehofft, daß Caroline sich vielleicht auch freinehmen könnte. Dann hätten sie gemeinsam irgendwohin fahren können. Doch nun sah es nicht so aus, als würden sich diese Träume verwirklichen lassen.
Langsam ging er weiter, und direkt vor sich sah er auf einmal die Frau, über die er gerade so heftig nachdachte. Sie saß auf der Terrasse eines kleinen Restaurants, und sie war nicht allein. Tim blinzelte ein paarmal, weil er hoffte, er habe sich geirrt, und die schöne blonde Frau, die Dr. Adrian Winter dort drüben in den Armen hielt und zärtlich streichelte, sei gar nicht Caroline.
Wie in Trance ging er noch einige Schritte weiter, bis er so nahe war, daß es nicht mehr den geringsten Zweifel an der Richtigkeit seiner Wahrnehmung geben konnte. Dort saßen Caroline und Dr. Winter, und es war offensichtlich, wie nahe sie sich standen.
Hastig drehte er sich um und ging den gleichen Weg zurück, den er gekommen war. Sie hatten ihn nicht gesehen, zum Glück nicht. Das wäre ungeheuer peinlich gewesen. So war das also. Das erklärte natürlich Carolines Verwirrung bei ihrem letzten Treffen. Sie hatte ihn zwar nett gefunden, aber keineswegs war sie in ihn verliebt gewesen. Und als sie dann hatte feststellen müssen, daß er anfing, sich Hoffnungen zu machen, da war es ihr peinlich gewesen, ihn in seine Schranken weisen zu müssen.
Ich Idiot, beschimpfte er sich selbst. Sie hat mich nett gefunden, mehr nicht! Und ich habe mir Gott weiß was eingebildet…
Unglücklich setzte er seinen Weg fort. Sie war also mit Dr. Adrian Winter zusammen, einem der wenigen Kollegen, die ihm von Anfang an rundum sympathisch gewesen waren. Der Notaufnahmechef hatte einen ausgezeichneten Ruf als Chirurg und schien sich grundsätzlich nicht am Klinikklatsch zu beteiligen. Er hatte den neuen Arzt aus Südafrika mit großer Selbstverständlichkeit begrüßt und ihm weder dumme noch aufdringliche oder neugierige Fragen gestellt.
Dr. Winter und Caroline, dachte er noch immer wie betäubt. Warum hat sie nichts davon gesagt? Aber das war eine dumme Frage, wie er sehr wohl wußte. Warum sollte Caroline ihm intime Einzelheiten aus ihrem Privatleben erzählen, wo sie einander doch kaum kannten?
Weil ich in sie verliebt bin! dachte er